Grimmstadt erstreckte sich weit über die Hügel und schmiegte sich an einen großen See, der in der untergehenden Sonne funkelte. Selena schaute auf die hohen Gebäude zurück und fühlte eine alte Sehnsucht. Sie konnte sich noch erinnern, wie die das erste Mal dorthin gekommen war. Mit aufgeregtem Herzen, neugierigen Augen und voller jugendhaftem Tatendrang hatte sie sich von der Stadt verzaubern lassen. Die Jahre, die sie dort gelebt hatte, zählten zu den besten Jahren, die sie jemals hatte.
Doch neben der Melancholie und den wunderbaren Erinnerungen an vergangene Abenteuer schlich sich auch Schmerz in ihr Herz. Dort hatte sie auch Rotkäppchen kennen gelernt und danach war ihr Leben ein einziges Chaos geworden. Danach war alles schief gegangen, was ich hätte nur schief gehen können. Sie hatte die Wahl gehabt mit Elphaba ein glückliches Leben aufzubauen, aber sie hatte sich dagegen entschieden.
Beim heiligen Mond, wie dumm sie damals gewesen war!
„Hey Wolf", drang eine genervte Stimme an Selenas Ohr. Sie drehte sich um und schaute zu Hel, die sie mürrisch anschaute.
„Was genau ist dieser Deal, den du mit Aglaope hast?", wollte Hel wissen und hob eine Augenbraue. Das Misstrauen in ihren stechenden Augen war offensichtlich. Aber irgendwie konnte Selena es verstehen, denn sie würde sich auch nicht trauen, wenn sie Hel wäre.
„Ein ziemlich guter, der uns heil und schnell zu Gretel bringen wird", erklärte Selena knapp und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Weißt du, was ich mich frage?"
Selena verzog das Gesicht. „Nope, aber es interessiert mich ehrlich gesagt auch nicht."
In Hels Augen war ein Funken an Verletzlichkeit zu sehen. Selena wunderte sich darüber und fragte sich, ob Hel auch wie Kit glaubte, dass sie drei Freunde wären.
„Na gut", grummelte Hel und drehte sich weg. Kit saß zwischen den beiden am Boden und hatte dem Gespräch gelauscht. Er war angespannt und hasste es, wenn Hel und Selena stritten.
„Auf was genau warten wir jetzt hier?", wollte er wissen und schaute zu Selena hoch. Selena seufzte.
Alle drei standen auf einem Hügel, nicht weit von Grimmstadt, vor einem dichten Wald. Die Sonne war bereits untergegangen und Dunkelheit legte sich über die Landschaft wie eine weiche Decke.
Selena spürte ein Kratzen in ihrer Seele. Sie merkte, wie der Wolf in ihr an die Oberfläche wollte. Er knurrte und kratzte. Er wollte raus und jagen.
Selenas Blick glitt zu dem dämmernden Himmel hoch und blieb an dem fast vollen Mond hängen. Morgen Nacht würde Vollmond sein und sie würde sich für eine Nacht in eine blutdurstige Bestie verwandeln. Verdammt ....
„Selena?"
Selenas Aufmerksamkeit kehrte zu Kit zurück, der sie besorgt musterte.
„Wir warten auf Aglaope. Sie wird uns zu Gretel bringen", erklärte Selena und mied Kits Blick.
Hel schnaubte neben ihr. „Ist nur die Frage zu welchem Preis."
„Du kannst auch gerne zu Fuß zu Gretel gehen", knurrte Selena.
Hel funkelte sie an. „Wenn ich wüsste wo sie lebt, dann würde ich das machen."
Bevor Selena etwas darauf erwidern konnte, sprang Kit in die Luft und schwebte neben ihr. Er deutete zu etwas in der Ferne.
„Was ist das?!" Seine Augen weiteten sich und Selena drehte sich in die Richtung, in die er zeigte. Ein kleines Segelschiff flog durch die Nacht und hielt direkt auf die drei zu. Die Oberfläche schimmerte seltsam und die weißen Segel leuchteten in der Dunkelheit.
Das Segelschiff steuerte direkt auf die drei zu und eine Leiter fiel über Deck. Selena setzte sich in Bewegung.
„Das ist unsere Mitfahrgelegenheit", erklärte Selena und schaute zu der Leiter. Kit wurde ganz aufregt und flog direkt zur Leiter und hinauf zum Segelschiff.
Selena begann auf die Leiter zu zu rennen, merkte aber dann, dass Hel ihr nicht folgte.
„Hel, worauf wartest du?" Sie warf einen Blick über die Schulter und sah wie Hel das Segelschiff anstarrte.
„Bei Odin ..." Hel verzog das Gesicht und schien sich jeden Moment übergeben zu müssen. Das Segelschiff war fast bei Selena und Hel. Nur noch wenige Meter trennten sie.
„HEL! Beweg dich!"
„Ich kann nicht!", schrie Hel auf einmal zurück.
„Was?!" Selena starrte sie eine Weile sprachlos an, aber entschied sich dann, dass sie nicht die Leiter verpassen wollte. „Na dann bleib eben hier."
Selen verdrehte die Augen und sprang zur Leiter, als Hel aus ihrer Starre brach. „HALT! Warte! Ich ... lass mich nicht zurück!"
Hel zwang sich zu der Leiter zu laufen, die kurz vor dem Wald war. Nur noch wenige Momente und sie würde unerreichbar sein. Selena hang an der Leiter und beobachtete Hel, die zwar folgte aber immer noch zögerlich war. Selena sah ihr an, wie sehr sie mit sich kämpfte.
Für einen Moment überlegte Selena die nervige Totengöttin einfach zurück zu lassen. Aber dann schnipste Hel und Skelettarme schossen aus dem Boden. Hel sprang auf die knochigen Hände und diese katapultierten sie hoch in die Luft.
Selena merkte gleich, dass die Flugbahn falsch war. Hel würde das Schiff verfehlen.
„Hel! Ich fange dich!", schrie Kit auf einmal.
„Was?", entfuhr es Selena verwirrt und sie sah wie Kit von der Reling sprang. Er rauschte auf Hel zu, die mit zappelnden Armen durch die Luft segelte und bereits merkte, dass sie das Schiff verfehlen würde und in den Wald unter ihr krachen würde.
Selena fluchte laut auf, kletterte rasch höher und stemmte dann ihre Füße gegen das Schiff. Sie beobachtete wie Kit Hels Hand packte, aber ihr Gewicht ihn mit sich zog. Er war zu klein und schwach, um sie auf das Schiff zu bringen. Hel schrie panisch auf, während Selena mit der Leiter in der Hand and dem Segelschiff entlang rannte.
„BEI ODIN! ICH WILL NICHT SO SCHMERZHAFT STERBEN!", kreischte Hel und klammerte Kit panisch an sich, der wiederum panisch versucht ihr Gewicht zu tragen. Die zwei segelten immer weiter auf den Wald zu und würden bald unsanft zwischen die Bäume krachen.
Selena sprang von dem Schiff ab und schwang sich mit der Leiter direkt unter die zwei. Mit einer schnellen Bewegung schlang sie einen Arm um Hels Hüfte, während sie den Schwung und deren Gewicht nutze, um sich auf das Segelschiff zu schwingen.
Selena ließ im passenden Moment die Leiter los und landete grazil auf dem Deck mit Hel und Kit in ihren Armen. Beide zitterten und schrieen bis sie merkten, dass sie nicht mehr fielen. Hel stieß Kit von sich, als sie merkte, dass sie ihn an sich klammerte.
„Runter von mir!"
Selena rollte mit den Augen und ließ Hel dann plump auf den Boden fallen. Hel entfuhr ein schmerzhafter Laut und sie funkelte Selena an.
„Das war un..." Hel stoppte, realisierte, dass sie auf einem fliegenden Schiff war und stürmte sofort zurück zur Reling, um sich lauthals zu übergeben. Kit schwebte neben Selena. Beide beobachteten Hel, die sich die Seele aus dem Leib kotzte.
„Da hat wohl jemand Probleme mit der Höhe", merkte Selena amüsiert an, während Kit sich zu ihr drehte. Er fiel ihr um den Hals und drückt seine feuchte Schnauze an ihren Hals.
„Du hast uns gerettet! Danke, danke, danke, danke!"
Selena wurde ein wenig unangenehm zu Mute, aber sie genoss seine Umarmung auch ein bisschen. Dann hörte sie ein Räuspern, das ihre Aufmerksamkeit weckte.
Aglaope stand selbstbewusst hinter dem Steuerrad. Ihre Haare wehten im Wind und sie schaute aus wie die Sturmgöttin höchstpersönlich, wild und unberechenbar.
„Willkommen auf der Sternengesang", meinte sie mit einem breiten Grinsen. „Ich bin froh, dass ihr es alle an Bord geschafft habt."
Selena erwiderte ihr Grinsen und schaute dann an dem Segel hinauf. Das Segel war kein normales Segel. Es war gewoben aus Sternenstaub und mit dem Gesang der Sirenen. Tausende von Sternen funkelten auf der weißen schimmernden Oberfläche, die geschmeidiger Seide glich.
Selena ging hinüber zu Hel, die über der Reling hing. Ihre Arme baumelten schwach in der Luft und sie hatte die Augen geschlossen. Kit setzte sich auf die Reling neben Hel und tätschelte ihre Schulter.
„Lass alles raus, Hel. Kotz dich aus", meinte er und Hel schnaubte auf.
„Wow, danke, Fuchsbaby", kommentierte sie sarkastisch. Selena befühlte das Material neugierig. Es war nicht normales Holz. Es waren Muscheln Korallen, die mit einander verschmolzen waren und den Köper des Segelschiffes bildeten.
„Was ist das für ein seltsames Schiff?", wollte Hel mit schwacher Stimme wissen. Selena lächelte und lehnte sich an die Reling. Sie genoss den Wind auf ihrer Haut.
„Das ist eines der letzten Sirenen Schiffe, die es noch gibt. Es besteht aus Muscheln, Korallen und Sternenstaub."
„Und wie kann das fliegen?", wollte Kit neugierig wissen. Selena beugte sich zu ihm und deutete zu Aglaope.
„Aglaope treibt es an mit ihrem Gesang. Wenn du genau hin hörst, dann kannst du ihr Summen hören."
Kit beobachtete Aglaope, die ihren Mund bewegte. Er spitzte die Ohren und versuchte die lauten Windgeräusche um ihn zu ignorieren. Und tatsächlich, wenn er sich wirklich konzentrierte, dann konnte er es hören. Aglaopes dunkle, melodiöse Stimme, die ein uraltes Lied sang und deren Melodie das Segelschiff durch die Nacht trug.
„Das ist unglaublich", murmelte Kit beeindruckt.
Selena nickte und schaute hinab auf die dunkles Bäume, über die sie flitzten. „Jap, und es wird uns schnell an unser Ziel bringen."
„Hoffentlich ...", jammerte Hel und übergab sich erneut. Kit rieb ihren Rücken, während Selena in die Nacht hinausschaute. Sie wusste, dass sie bald auf Rotkäppchen stoßen würde, aber wie wusste nicht, ob sie dafür bereit war.
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Die drei Mythengetiere
AdventureScheiß auf: Einer für alle! Wenn die vereinigten Länder der Mythen und Märchen von einem Fluch heimgesucht werden, machen sich drei Helden auf den Weg, den Fluch zu brechen und ihre Welt zu retten. Naja, nicht Helden. Sagen wir ein Ex-Sträfling, ei...