Schlaflose Nächte

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Hel lag in einem der Gästezimmer im Turm und starrte an die Decke. Sie versuchte immer noch zu verstehen, was diese Hexe ihnen über den Fluch gesagt hatte. Aber, wenn es wahr ist, was Elphaba vermutete, dann würde das eventuell bedeuten, dass die griechischen Götter sich das selbst angetan haben?!
Warum sollten sie das tun? Warum sollte man seine Götterkraft opfern, damit man ein "normales, menschliches" Leben führen kann?!
Das ist doch Schwachsinn, dachte Hel mürrisch und schüttelte vehement den Kopf. Nein, das konnte nicht sein. Sie kannte die griechischen Götter. Die liebten ihr Dasein als Götter. Immerhin waren die es, die immer die größten Parties schmissen. Deren Parties waren so bekannt, dass die nordischen Götter oft eifersüchtig wurden und Loki sich oft selbst einlud.
Hel verzog ihr Gesicht. Egal, welche Party es war, ihr Vater Loki würde immer einen Weg finden sich selbst einzuladen. Sie rollte mit den Augen und rollte zur Seite, um aus dem Fenster zu schauen. Der Mond leuchtete hell in ihr kleines Zimmer. Sie atmete tief durch und verdrängte die alte Wut auf ihren Vater. Sie hatte gehofft, es würde irgendwann mal vorbei sein. Dass sie irgendwann einfach nichts mehr wegen ihrem Vater fühlen würde.
Sie seufzte laut und schloss die Augen. Sie spürte das Mondlicht auf ihrer Haut und beruhigte ihre Gedanken. Sie atmete ein paar Mal tief durch und ging das Gespräch mit Elphaba noch einmal durch. Jedes Detail, das sie gesagt hatte. Doch sie kam wieder zu denselben Fragen zurück wie zuvor:
Wenn es wirklich die griechischen Götter waren, wer würde es tun? Hel kannte niemanden, der sein Götter Dasein nicht genoss. Außer ...
Hel stockte und wagte nicht den Gedanken zu Ende zu denken. Ihre Brust zog sich zusammen.
„Persephone und Hades würden das niemals tun", sagte sie sich entschlossen. Sie hatten zwar ihren Status als Totengötterpaar gehasst, aber sie würde niemals so weit gehen. Niemals!
„Das ist doch absurd!", erklärte sie dem Mond und warf dann die Bettdecke von sich. Sie war nicht müde und mit diesen kreisenden Gedanken konnte sie auch nicht schlafen. Sie seufzte und fuhr sich über das Gesicht. Ihr Blick glitt zu dem großen Spiegel auf der anderen Seite des kleines Zimmers. Sie spiegelte sich darin und starrte sich eine Weile an. Dann verzog sie das Gesicht.
Hel erhob sich aus dem Bett und ging zu dem Spiegel. Sie musterte den schlichten Rahmen und berührte das kühle Glas. Sie spürte die Magie durch den Spiegel pulsieren. Der Geruch von Lavender stieg ihr in die Nase. Elphabas Magie roch immer nach Lavender, das hatte sie schon festgestellt.
Auch wenn Hel es nicht zugeben wollte, aber sie bewunderte die Hexe. Sie war schön und selbstbewusst. Ihre Magie war stark wie Hels, dabei war sie nicht mal eine Göttin. Aber sie verhielt sich mehr wie eine Göttin als all die richtigen Göttinen, die Hel bis jetzt kennengelernt hatte.
Hel schaute ihr Spiegelbild an. Ihre linke Körperhälfte bestand aus verbrannter roter Haut und ihre rechte war ebenmäßig und hell. Sie war so geboren geworden und sie erinnerte sich an all den Spott, den sie deswegen über sich ergehen lassen hatte. Sie war immer nur das entstellte häßliche Mädchen gewesen, das ihr Vater ins Totenreich gesperrt hatte, weil er ihren Anblick nicht ertrug. Das wurde ihr zumindest mehrmals gesagt und irgendwann hatte sie angefangen es zu glauben.
Loki, ihr Vater, war immerhin ein gut aussehender und charmanter Gott, wie konnte er nur so eine häßliche Tochter haben?
Hel verzog das Gesicht und sie spürte den alten Schmerz in ihrem Herzen. Tränen brannten ihr in den Augen, wenn sie an all das Leid und den Hass dachte, den sie wegen ihrem unfähigen Vater durchgemacht hatte. Sie hatte sich häßlich und unwürdig gefühlt ... bis sie in die WG mit Anubis, Hades und Persephone gezogen war.
Die Drei hatten sie akzeptiert wie sie war und sie ermutigt, sich selbst mehr zu akzeptieren. Sie hatten ihr eine liebevolle und durchaus merkwürdige Familie gegeben, von der sie sich geliebt fühlte.
Sie ballte die Hände zu Fäusten. Daher konnte und wollte sie nicht glauben, dass Hades und Persephone zu so einem Fluch fähig waren. Sie waren Opfer, wie all die anderen. Hel würde herausfinden, wer ihnen das angetan hatte, damit sie alle wieder gemeinsam glücklich zusammenleben konnten.
„Hel?", erklang Kits Stimme auf einmal durch den Spiegel und die Totengöttin blinzelte irritiert.
„Eh ... ja?" Sie betrachtete den Spiegel konnte aber nichts erkennen, außer ihr eigenes Spiegelbild.
„Kann ich bei dir schlafen?" Kits Stimme war leise und flehend.
Hel wich ein wenig von dem Spiegel zurück. „Bei mir? ... Warum? ... Was ist mit Selena?"
„Als ich aufgewacht bin, war sie nicht mehr in ihrem Zimmer ...", erwiderte Kit mit kleinlauter Stimme. „Und ... und ich kann nicht alleine schlafen."
Hel fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und unterdrückte ein genervtes Stöhnen. Auf einmal überkam sie all die Erschöpfung, die sie bis jetzt heftig zurückgedrängt hatte. All die Magie, die sie gewirkt hatte, hatten ihren Körper geschwächt und sie war so unglaublich müde. Zu müde, um gemein zu dem kleinen Fuchsdämon zu sein.
„Hel?", hörte sie Kits Stimme erneut. Hel atmete tief durch und konnte nicht fassen, was sie gleich sagen würde.
„Ok, Fuchsbaby."
Kit quiekte erfreut auf und mit einem "Plopp" sprang er durch den Spiegel. Hel schaute zu ihm hinab.
„Aber das bleibt unter uns!", warnte sie den Fuchsdämon. „Ich will nicht, dass der Wolf das erfährt, ok?"
Kit nickte und eilte dann zu ihrem Bett, während Hel ihm seufzend folgte. Der kleine Fuchsdämon rollte sich an ihrem Fußende zusammen und schmatzte glücklich.
„Danke, Hel", murmelte er. „Du bist gar nicht so gemein, wie ich dachte."
Hel hob eine Augenbraue. „Naja, ich bin einfach zu müde, um gemein zu sein."
Sie hörte ein Rascheln und merkte, wie Kit sich bewegte. Er kroch näher hoch und drückte sich dann an ihren Arm. Hel zuckte erschrocken zusammen.
„Hey, was machst du da?!"
Kits Nase berührte ihre Haut. Sie war feucht und warm. „Mir ist kalt."
„Bei Odin", murrte Hel und überlegte einen Moment. Dann nahm sie ihre Decke und legte sie über Kit. Kit hob den Kopf und leckte über ihren Finger.
„Urgh! Lass das!", knurrte Hel angeekelt und wischte ihren Finger an der Decke ab.
„Warum ist deine Haut verbrannt?", wollte Kit wissen.
„Ich bin so geboren."
„Ok", meinte Kit leise. „Also ist es etwas besonderes."
Hel zog die Bettdecke zu sich hoch und dachte darüber nach, bis sie Kits leises Schnarchen hörte.
„Und du bist gar nicht so nervig, wie ich dachte", raunte sie leise in die Nacht hinein und schloss dann die Augen, um in einen totengleichen Schlaf zu fallen.

Selena konnte kein Auge zu machen. Sie streifte durch den Turm, als sie bemerkt hatte, dass sie immer noch Erlaubnis dazu hatte. Anscheinend hatte Elphaba das noch nicht geändert. Selena ging zurück zu dem Audienzzimmer und schaute in die Nacht hinaus.
Der Mond würde nur noch wenige Tage brauchen, bis er zu einem Vollmond wurde. Selena wusste, dass das einer der Gründe ihrer schlaflosen Nächte war. Ihre animalische Seite kratzte nah an ihrer Oberfläche und wurde zunehmend stärker. Was bedeutete, dass ihr die Kontrolle umso schwerer fiel. Während ihrer Gefängniszeit hatte man sie immer in eine Einzelzelle zu Vollmond gesperrt und sie zwei Tage dort drinnen gelassen aus Angst, sie könnte jemanden anfallen.
„Wie ich sehe bist du immer noch sehr nachtaktiv an den Tagen vor Vollmond", erklang Elphabas Stimme hinter ihr. Selena hatte aber bereits den Lavender gerochen, bevor sie durch den Spiegel getreten war.
Selena warf Elphaba einen spöttischen Blick über die Schulter zu. „Ja, das hat sich nicht geändert."
„Hör zu, Selena ...", begann Elphaba leise und kam zu ihr an das Fenster. Sie wirkte müde und erschöpft. „... es tut mir Leid, was mit dir passiert ist und ... und dass ich nicht da sein konnte für dich. Ich ..." Elphaba wandte den Blick ab. „Ich war einfach noch zu verletzt und zu stolz."
„Und du hattest alles Recht dazu, Elphi."
Elphaba drehte sich zu Selena um und hob erstaunt die Augenbrauen. „DU gibst mir Recht?"
Selena schmunzelte. „Das Gefängnis ändert dich, Elphi."
Elphaba grinste. „Das merke ich."
„Und es gibt dir viel Zeit darüber nachzudenken, was für ein Idiot man gewesen ist und ... was für bescheuerte Fehler man gemacht hat."
Selena erwiderte Elphabas Blick und eine tiefe Sehnsucht überkam sie. Sie würde die Hexe am liebsten umarmen und sie küssen ... sie nie wieder loslassen. Aber Elphaba machte einen Schritt zurück und Selena wusste, dass es dafür zu spät war.
„Du solltest dich ausruhen, Selena", meinte Elphaba und wandte sich ab. Selena brach es das Herz. „Mit deinen beiden Begleitern brauchst du alle Kraft und Geduld, die du aufbringen kannst."
Die Hexe warf ihr ein Lächeln zu, als sie zum Spiegel zurückging. „Aber danke ... für deine Worte und es war schön, dich wiederzusehen."
Damit verschwand sie in dem Spiegel und Selena war alleine. Sie atmete tief durch und kniff die Augen zusammen, als sie merkte, wie sich Tränen darin sammelten.
Schweigend stand sie vor den Fenstern und starrte in den Nachthimmel. Dunkle Wolken verdeckten die Sterne und den Mond. Selena dachte über Elphaba nach und all die Zeit, die sie zusammen verbracht hatten. Sie waren glücklich gewesen. Selena war glücklich gewesen mit Elphaba, der einzigen Person, die sie jemals aufrichtig geliebt hatte.
Doch so sehr es weh tat und so sehr sie sich wünschte, sie könnte alles wieder gut machen, was sie der schönen Hexe angetan hatte, so wusste sie auch, dass es besser war, wenn Selena kein Teil mehr von Elphabas Leben war. Denn die Hexe verdiente jemand besseren.

Die drei Mythengetiere Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt