Auf der Speisekarte heute: Lebkuchenhexen, Götteropfer und allerlei Emotionen

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Elphaba seufzte und erhob sich aus ihrem Stuhl. Sie strich sich ihre Hose und ihr Hemd glatt. Selena bewunderte dabei ihren wohl geformten und starken Körper.
„Die Lebkuchenhexe." Elphaba schaute zu Selena, die die Augen aufriss.
„Die Mutter von Hänsel und Gretel?!", entfuhr es ihr und sie schüttelte den Kopf. „Elphaba, bist du dir sicher? ... ich meine, weißt du, was du da behauptest?"
„Selena, du weißt genauso gut wie ich, dass die Lebkuchenhaushexe die letzten Jahre an schwerer Depression gelitten hat. Sie war kaum noch fähig irgendetwas zu tun und deswegen hat Gretel ihre Aufgaben übernommen", sagte Elphaba mit ruhiger Stimme. „Für jemanden wie sie, die keinen Sinn mehr im Leben gesehen hat, wäre dieser Fluch ein Ausweg gewesen ... und sie ist vor etwa einen Jahr ... gestorben."
„Vor etwa einem Jahr sind auch Hades und Persephone verschwunden ...", warf Hel nachdenklich ein. „Wahrscheinlich als der Fluch aktiviert wurde, haben sie das Gedächtnis verloren und sind deswegen nie zurück gekommen."
„Hades?", wollte Selena neugierig wissen. „Der griechische Totengott Hades? Der Herr der Unterwelt?"
Hel nickte, leicht genervt. „Ja! Wer denn sonst? Oder kennst du einen anderen Hades, Wolf?"
„Ich bin nur erstaunt, dass du ihn kennst. Aber wahrscheinlich kennen sich alle Totengötter irgendwie unter einander, oder?", hakte Selena nach und strich gedankenverloren Kit über sein Fell. Der kleine Fuchsdämon fing leise an US schnurren, während er selig auf ihrem Schoß weiterschlief.
Hel verzog das Gesicht. „Wir lebten zusammen in einer WG. Hades, seine Frau Persephone, Anubis und ich. Aber vor einem Jahr, wie gesagt, haben sie uns verlassen. Bis vor ein paar Tagen Hades zurück kam, ... völlig verstört und ohne Persephone. Die befindet sich wohl immer noch in der griechischen Myhtologie und denkt Hades sei tot ... was naja, momentan auch stimmt."
„Bist du deswegen hier?", fragte Selena erstaunt. „Um Persephone zu finden?" Sie hätte nicht gedachte, dass Hel so einen selbstlosen Grund hatte.
„Ihr habt eine Totengötter WG?", fragte Elphaba und schaute genauso erstaunt wie Selena.
Hel seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Bei Odin, was glotzt ihr denn jetzt so? Ist es so unglaubwürdig, dass ich in einer WG wohne mit anderen Totengötter und mit ihnen befreundet bin?"
„Eh, ja", erwiderte Selena ehrlich und Hel warf ihr einen giftigen Blick zu. 
„Ich muss sagen, so eine Totengötter WG klingt sehr interessant", gestand Elphaba.
„Ja, ist zum Tot lachen", meinte Hel trocken. Elphaba lachte amüsiert. Selena mochte ihr Lachen und in dem Moment merkte sie, wie sehr sie es vermisst hatte. Wie sehr sie Elphaba vermisst hatte.
Verdammt, ich hätte nicht herkommen sollen, dachte Selena und versuchte ihre Gefühlsregungen in den Griff zu bekommen.
„Ist der Tod dieser Lebkuchenhexe dann auch das Opfer, von dem die Königin gesprochen hat?", fragte Hel neugierig und Selena schob die Gedanken über Elphaba vehement beiseite. Sie musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. Es ging nicht um die beiden, sondern darum Informationen zu bekommen.
„Nun, ihr Tod war wahrscheinlich Teil des Opfers", erwiderte Elphaba mit ernster Miene. „Aber bei einem Fluch diesen Ausmaßes braucht es mindestens noch ein weiteres großes Opfer. Wahrscheinlich so etwas wie einen Gott, würde ich sagen."
„Einen Gott?", wiederholte Hel erschrocken. „Du meinst, es braucht nicht nur Götterkraft, sondern auch ein Götteropfer?"
Elphaba nickte nachdenklich. „Der Fluch muss SEHR stark sein, wenn er alle Bewohner der griechischen Mythologie beeinflusst. Ich meine ein ganzes Land und alle Bewohner vergessen zu lassen, wer sie sind und welche Kräfte sie haben? DAS braucht einiges an Götter- und Hexenkraft."
„Was heißt einiges?", wollte Selena wissen. Elphaba seufzte und schob ihre Hände in die Hosentaschen. Sie schaute zu dem großen Spiegel, aus dem sie vor etwa zwei Stunden gekommen waren. Ihre schwarzen Haare hatte sie mittlerweile aus dem Dutt gelöst und sie legten sich in weichen Wellen über ihre schmalen Schultern.
„Ich würde sagen, auch wenn ich nicht die genauen Details kenne, dass die Lebkuchenhexe zwei Götter dazu gebraucht hat, wenn wir davon ausgehen, dass sie es war. Ein Gott, der sich opfert oder ... geopfert wird, und ein Gott, der seine Gotteskraft beisteuert, die er aber in dem Prozess verlieren wird."
„Aber es würde doch auffallen, wenn auf einmal ein Gott tot ist!", beharrte Hel. Selena sah ihr an, wie unwohl ihr der Gedanke war, dass einer der Götter geopfert worden war. Elphaba hob die Schultern und lächelte, allerdings reichte es nicht bis zu ihren Augen.
„Außer es ist einer der griechischen Götter", erklärte sie. „Immerhin wissen wir nicht, wer alles noch in der verfluchten griechischen Mythologie lebt und wer nicht ..."
„Willst du damit behaupten, dass zwei griechische Götter dahinter stecken?", staunte Selena und Hel schwieg. Ihr Gesicht war zerknirscht.
„Vielleicht", sagte Elphaba und erwiderte Selenas Blick. „Vielleicht auch nicht. Das ist nur eine Spekulation."
„Das ist nicht nur eine Spekulation, sondern eine ernsthafte Anschuldigung, wenn das bekannt wird", murmelte Hel und schaute zur Decke hoch. Ihre Augenbrauen waren konzentriert zusammengeschoben, während sie darüber nachdachte. Selena hatte sie vorher noch nie so ernst gesehen.
„Es ist keine Anschuldigung", beharrte Elphaba mit ernster Stimme. „Denn ich kann es nicht mit absoluter Sicherheit behaupten, aber soweit ich weiß wurde im letzten Jahr keiner der anderen Götter als vermisst gemeldet, oder?"
Sie schaute zu Hel, die den Kopf schüttelte. „Keiner aus der nordischen Mythologie auf jeden Fall."
„Und im letzten Jahr war auch nie die Rede von einem Gott, der seine Götterkraft verloren hatte, nicht wahr?", überlegte Elphaba weiter, während sie begann in dem Raum herumzulaufen. Eine alte Angewohnheit, wenn sie über etwas nachdachte.
„Nein ...", murmelte Hel und seufzte laut. Ihr gefiel das alles ganz und gar nicht.
„Hel, alles in Ordnung?", fragte Selena und Hel verzog das Gesicht.
„Warum sollte es das nicht sein?"
„Naja, du wirkst etwas ..."
„Ich bin einfach müde! Okay?", herrschte Hel sie an und erhob sich energisch aus ihrem Stuhl. Dann drehte sie sich zu Elphaba. „Elphaba, es ist ziemlich spät und ... wäre es möglich, dass wir die Nacht hier verbringen könnten?"
Elphaba lächelte. „Natürlich Hel, das ist kein Problem. Ich habe bereits die Gästezimmer für euch herrichten lassen."
Selena fragte sich, was mit Hel los war. Warum war sie auf einmal so empfindlich und ernst? Wusste sie etwas, dass Selena nicht wusste?
Selena verengte leicht die Augen und beobachtete wie Hel zu Elphaba ging. Ihr Gang war angespannt und sie wirkte unruhiger als sonst.
„Ich würde mich dann gerne zurückziehen, weil dieses ganze Gelaber von Flüchen und Göttern geht mir echt auf die Knochen."
Elphaba nickte und geleitete sie zum Spiegel. Sie wackelte dreimal mit der Nase und brachte Hel dann in eines der Gästezimmer. Selena nahm den schlafenden Kit in die Arme und stand auf, als Elphaba wieder aus dem Spiegel zurückkam.
„Hel scheint das ziemlich mitzunehmen", meinte Elphaba und suchte Selenas Blick, die um den Tisch lief.
„Ja, scheint so."
„Du bist anders", begann Elphaba und verschränkte die Arme vor der Brust. „Dich mit den beiden zu sehen, ist ..."
„Verrückt? Idiotisch?", half Selena nach, als sie vor Elphaba stehen blieb. Die Hexe war etwa einen halben Kopf kleiner als sie und sie musste ein wenig den Kopf heben, um ihr in die Augen zu schauen.
„Untypisch", meinte Elphaba und verengte leicht die Augen. „Normalerweise lässt du niemanden so schnell an dich ran. Und ich weiß auch, dass du die beiden nicht als dein Rudel bezeichnest. Nicht einmal als Freunde. Vielleicht als Begleiter?"
„Naja ...", begann Selena und neigte unschlüssig den Kopf.
„Warum bist du mit ihnen unterwegs?"
Selena seufzte. „Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Ich wollte die beiden nicht an der Backe haben, aber es hat sich so ergeben ... irgendwie."
Selena schaute auf den schlafenden Kit hinab, der sich an sie gekuschelt hatte. Sie verzog das Gesicht und Elphaba schmunzelte.
Selenas Blick glitt zu der Hexe zurück und sie musterte sie mit einem verschmitzten Lächeln.
„Was?", wollte Selena wissen und verengte die Augen. „Warum schaust du mich so an?"
Elphaba lachte und es ließ Selenas Herz höherschlagen.
„Auch, wenn du es nicht hören willst, aber ich denke, du hast endlich dein Rudel gefunden, du großer böser Wolf."
„AUF GAR KEINEN FALL!"

Die drei Mythengetiere Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt