Kapitel 1 - Morgentee

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~Magnus! Magnus, jetzt beeil dich doch mal!~, schallte eine laute Stimme durchs Haus.

Magnus seufzte leise, während er schnell die Treppen hocheilte. So schnell, wie es mit einem vollen Tablett eben ging.

Er hatte nicht verschlafen. Viel eher hatte er sich gerade ausgiebig um Catarina gekümmert, sein Pferd. Er war mit ihr im Wald gewesen, während die Sonne aufgegangen war und hatte sie anschließend noch verwöhnt, bis er bemerkt hatte, dass er viel zu spät dran war. Dabei wäre er doch viel lieber bei ihr geblieben und hätte sie gestreichelt und geputzt, aber er konnte nicht.

Seine Stiefschwester Camille war da sehr genau, denn sie sagte immer, dass ihr ein Tee am Morgen, den sie sogar noch im Bett trank, immer den Tag erleichterte und ihrer Schönheit guttun würde. Ihr Bruder Sebastian schlief da viel lieber bis in den Mittag hinein und Lilith ... hatte ihre eigenen Angewohnheiten.

Vor der Tür blieb er stehen und atmete tief durch, um sich zu beruhigen, bevor er zweimal an der Tür klopfte.
~Komm rein!~, kam es von drinnen.
Vorsichtig drückte er die Klinke herunter und schob die Tür mit der Schulter auf.

Camilles Gemach war groß, viel größer als die Kammer, in der er schlief, und um einiges unordentlicher. Überall lagen Kleider, Schmuck, Schuhe und allerlei andere Dinge herum, sodass man aufpassen musste, wo man hintrat.

Camille selbst saß in ihrem Nachtkleid auf ihrem Bett, ihre Schlafmaske hatte sie nach oben geschoben und sah ihn genervt an. Also bahnte er sich rasch einen Weg durch das Chaos und stellte das Tablett auf dem Nachttisch ab. Dann goss er den heißen Tee in eine Tasse und gab etwas Honig hinzu, bevor er Camille die Tasse reichte.

~Wie siehst du schon wieder aus? Hab ich nicht gesagt, dass du dich gefälligst ordentlich zu kleiden hast, wenn du in meiner Gegenwart bist?~
~Ja, hast du. Entschuldigung.~, meinte er und sah betreten auf seine, in abgewetzten Lederhandschuhen steckenden, Hände.

Er stimmte ihr insgeheim zu, denn natürlich würde er sich gern besser kleiden. Er würde gern ein elegantes, farbenfrohes Hemd und eine schöne Jacke dazu tragen. Auf einen Zylinder würde er aber gerne verzichten, denn viel lieber wollte er, dass seine Haare selbst ein Kunstwerk waren. Er würde sich gerne wie ein Edelmann kleiden, nur leider hatte er nicht die Mittel dazu.

Und selbst wenn er die Mittel hätte, er bezweifelte, dass seine Stiefmutter das zulassen würde. Diese war nämlich stets darauf bedacht, Magnus klar zu machen, dass sein Platz woanders war. Weit weg von ihr und ihren Kindern.

Ihm machte das nichts aus, denn er bezweifelte, dass sie ihn mochten. Sie akzeptierten ihn nur, weil sie jemanden brauchten, der ihnen half und das an allen Ecken und Enden.

Plötzlich traf etwas Heißes auf seine Brust und er zuckte erschrocken zusammen.
~Das Zeug ist ja glühend heiß! Hab ich dir nicht gesagt, dass mein Tee nur noch lauwarm sein soll, wenn du ihn mir bringst? Bist du wirklich so dumm oder tust du nur so?~, empörte sich Camille und warf die Tasse direkt vor seine Füße, wo sie in Tausend Teile zersprang.

Anscheinend hatte sie ihm auch den Tee übers Hemd gegossen, der dieses nun durchtränkte, sodass seine karamellfarbene Haut darunter zum Vorschein kam.

~Ich- ... Es- ... Es tut mir leid. Ich da-dachte nur, w-weil er dir letztes Mal zu kalt war und ...~
~Was muss ich da hören? Du willst meine Schwester mit zu heißem Tee verbrühen?~, fragte eine bedrohliche Stimme, bei der sich ihm die Nackenhärchen aufstellten.

Sebastian stand im Türrahmen und sah ihn wütend an, seine Augen funkelten diabolisch. Er hatte abwartend die Arme verschränkt und seine scheinbar kohlschwarzen Augen schienen ihn förmlich zu durchbohren.

Magnus senkte den Blick und antwortete betreten~Natürlich nicht. Es war nur ein Versehen.~
~Versehen? Du wolltest, dass ich mich an diesem ungenießbaren Gebräu verbrenne!~, rief sie empört.
~N-nein ... Ich-~, versuchte er sich zu erklären, als er bereits gegen die Wand gedrückt wurde.

Sein Atem stockte, obwohl sein Herz rasend schnell in seiner Brust schlug. Magnus hatte Angst und Sebastians bösartig grinsendes Gesicht machte es nicht besser. Er war stärker als Magnus und drückte ihn fester als nötig gegen die holzvertäfelte Wand.

~Hör zu, keine deiner erlogenden Entschuldigungen macht das gut, was du getan hast. Du hast bereits viel zu viele Fehler begangen, um je Vergebung dafür zu bekommen. Warum sonst sollten deine Eltern tot sein?~

Zu der aufkommenden Panik gesellte sich Schmerz, denn seine Eltern waren schon immer Magnus' wunder Punkt gewesen. Er hatte sich in seinem stillen Kämmerlein oft gefragt, warum das Schicksal so grob mit ihm umging.

Hatte er in einem früheren Leben irgendetwas schreckliches verbrochen, für das er jetzt büßte? Hatte er es verdient, dass er so bestraft wurde? Er wusste es nicht, aber in dunklen Momenten dachte er, dass der Tod seiner Eltern vielleicht irgendetwas mit dieser Strafe zu tun hatte.

Magnus wollte das nicht glauben, denn das würde bedeuten, dass er daran Schuld war, dass sie nun nicht mehr in ihrem Häuslein weilten. Das verletzte ihn mehr als alles andere und Sebastian benutzte diesen dunklen Gedanken gnadenlos gegen ihn.

~Lass ihn los.~, befahl plötzlich Lilith, die im Türrahmen erschienen war.

Sie trug ein enges, tintenschwarzes Kleid und hatte ihre Haare streng nach hinten gebunden, während sie ihren Sohn kalt musterte. Dieser gehorchte sofort und wich so schnell vor ihm zurück, als wäre er giftig.

Magnus schnappte nach Luft und griff sich an die Kehle, bevor er sich aufrichtete und ergeben zu seiner Stiefmutter sah.
Diese schritt nun auf ihn zu und ihr Blick schien kalt wie Eis.

~Was ist vorgefallen?~
~Magnus wollte mich mit einem Tee verbrühen. Dabei wusste er ganz genau, dass ich meinen Tee lauwarm trinke.~, antwortete Camille hochmütig und zeigte auf ihn.

~Ach, wollte er das?~, fragte sie, als wäre er gar nicht mehr im Raum.
~Es tut mir leid.~, sagte er leise.
~Hat sie dich angesprochen? Du redest nur, wenn du etwas gefragt wirst.~, meinte Sebastian.

Nun nickte Magnus lediglich.
Plötzlich packte eine kühle Hand sein Kinn und drückte es hoch.

~Was soll ich nur mit dir machen, Magnus? Ich habe dich hier aufgenommen und nicht weggeschickt, als dein lausiger Vater gestorben ist. Du darfst hier leben und bekommst genug zu essen. Du solltest dich glücklich schätzen. Aber wie dankst du mir all diese Güte? Du verletzt meine Kinder und bringst sie zudem in Rage. Das ist nicht das, was ich mir unter Dankbarkeit vorstelle. Ich bin ja so enttäuscht von dir und deine Eltern würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie erführen, was aus ihrem Sohn geworden ist, nämlich eine unverschämte Enttäuschung~, sagte sie leise zu ihm, bevor sie ihn ruckartig losließ,~Und jetzt machst du nochmal einen Tee, aber genauso wie ihn meine Tochter verlangt.~

Magnus schluckte nur und nickte kurz, bevor er kehrt machte und von lautem Gelächter begleitet in den Keller floh. Womit hatte er das alles nur verdient?

Das Wunder in jedem Tag (Malec)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt