Kapitel 38 - Der Traum einer heilen Welt

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Eine Woche später war es dann so weit. Magnus stand, wahrscheinlich zum letzten Mal, vor den Türen seines Elternhauses.

Er war ziemlich nervös, sogar ein bisschen ängstlich, aber zum Glück war er nicht allein. Alexander hatte ihn nur unter der Voraussetzung gehen lassen, wenn er und sein bester Freund Jace -der Hauptmann der königlichen Garde- ihn begleiteten.

Diese beschützerische Fürsorge rührte ihn zutiefst. Es war zwar noch etwas ungewohnt, dass sich jemand so um ihn sorgte, aber es war gleichzeitig auch ein sehr schönes Gefühl.

Allerdings ging es ihm ja bereits wieder besser. Er war zwar noch immer etwas sehr dünn, aber nicht mehr so geschwächt und schlapp. Auch das Fieber war gegangen, weshalb es aus Magnus' Sicht nichts mehr gab, das ihn von seinem Vorhaben abhielt.

Er wollte seine Sachen aus dem Haus holen, das so lange sein zu Hause gewesen war, nun jedoch nur noch ein Ort voll schöner Erinnerungen war.

In den letzten Tagen hatte er gemerkt, dass das hier nicht mehr seine Heimat war, sondern nur noch eine Erinnerung an alles, was war. Dieses Haus war nur noch der letzte Rest eines wunderschönen Traums von einer heilen Welt, den er bald hinter sich lassen würde.

Er wusste, dass das richtig war, aber dennoch spürte er einen kleinen Stich im Herzen.

Plötzlich legte sich eine Hand um seine und drückte sie leicht. Er sah auf und traf sofort auf Alexanders ermutigenden Blick. Er würde ihn unterstützten, egal, was er jetzt tat. Er würde seine Entscheidung respektieren und würde für ihn da sein.

Das schenkte Magnus den Mut, den altmodischen Türklopfer zu betätigen.

Kurz geschah nichts, bis plötzlich die Tür aufgerissen wurde und den Blick auf Lilith freigab.
Sie schien erst überrascht, aber als sie Magnus erkannte, verzerrte sich ihre Miene zu purem Schock.

Er konnte es ihr nicht übel nehmen, immerhin mussste sie bis jetzt wohl gedacht haben, er sei tot. Die Erkenntnis, dass sie ihn in dieser Hütte zum Sterben zurückgelassen hatte, hatte ihn hart getroffen.

Natürlich hatte er gewusst, dass Lilith ihn hasste und verabscheute, aber dass sie ihn umbringen wollte? Das war neu.

Zum Glück war es nicht so weit gekommen und das lag nur an dem hinreißenden Mann neben ihm.

~Magnus! Was machst du- ... Eure Hoheit! Was macht Ihr denn hier?~, fragte sie perplex, während sie hastig knickste.
~Dürfen wir reinkommen?~, fragte Alexander mit einem ungewöhnlich harten Unterton.

So kannte Magnus ihn nicht. Zu ihm war er nämlich stets freundlich, hilfsbereit und liebevoll gewesen. Jetzt jedoch wirkte er regelrecht kalt.
Ein Drücken seiner Hand beruhigte ihn und versicherte ihm still, dass er sich nur jetzt so verhielt und eigentlich nicht so war.

Lilith nickte hastig, bevor sie sich umdrehte und in den Salon stiefelte. Alexander wollte ihr gerade folgen, wurde aber von Magnus zurückgehalten, der mitten in der Eingangshalle stehen geblieben war.

~Was ist los? Fühlst du dich nicht gut?~, fragte ihn Alec besorgt.

Die letzte Woche hatten sie damit verbracht sich kennezulernen und während einer ihrer Gespräche hatte ihm der junge Prinz gesagt, dass er ihn genauso gut mit der Kurzform seines Namens ansprechen könnte. Alexander würde so förmlich klingen, aber das war Magnus egal.

Er mochte den vollen Namen seines Liebsten und das hatte er ihm mit heißen Wangen auch gestanden. Nun erinnerte er sich mit einem Lächeln daran.

~Doch, es ist alles ok, nur würde ich lieber gleich meine Sachen packen als mit Camille, Sebastian und Lilith nochmal in einem Raum zu sein.~
~Klar, soll ich mitkommen? Oder Jace?~
~Nein, das bekomme ich schon alleine hin.~, versicherte ihm Magnus mit einem Lächeln, während er kurz zu Jace sah, der sich diskret im Hintergrund hielt.

~Wenn du meinst.~, antwortete er, schien aber noch nicht ganz überzeugt.
Magnus lächelte deshalb nur ermutigend und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Wange, bevor er sich von ihm löste und in den Keller ging.

Anscheinend hatte jemand provisorisch aufgeräumt, denn es lag nicht mehr alles kreuz und quer auf dem Boden verstreut.

Ohne sich groß umzusehen, suchte er die Briefe seines Dads und alle anderen Dinge seiner Erinnerungsbox, die nicht vollkommen zerstört waren, zusammen und legte sie wieder in die Kiste, die noch immer auf seiner Schlafmatratze lag. Dazu kamen noch ein paar Kleidungsstücke, Chairmans Lieblingswollknäul und noch weitere Dinge, die wichtig sein könnten.

Während er das Nötigste in seiner kleinen Reisetasche verstaute, kamen plötzlich drei kleine Gestalten aus der Ecke geschossen und sprangen ebenfalls auf die Matratze. Die kleinen Mäuse.

Magnus lächelte und war erleichtert, dass es ihnen offenbar gut ging. Kurz darauf gesellte sich ein bekannter Kater hinzu.
~Ich freu mich so, euch wiederzusehen~, sagte Magnus ehrlich,~Macht euch bereit. Wir werden bald an einem besseren Ort sein.~

Sanft hob er eine Maus nach der anderen in die Tasche, damit sie den Transport hoffentlich gut überstehen würden.
~Es wird alls gut gehen, haltet nur still.~

~Ich dachte nicht, dass du noch immer so dumm bist und denkst, die Tiere könnten dich verstehen.~, meinte plötzlich jemand.

Magnus versteifte sich und wollte sich gerade zu der Person umdrehen, als er gepackt und mit sich gezerrt wurde. Mit einem lauten Knall fiel die Tür zu und er fand sich in einem kleinen, dunklen Raum wieder.

Diese wurde früher als Abstellkammer benutzt und noch immer wurde hier allerlei Krempel aufbewahrt, aber man konnte in den drei Regalen mittlerweile auch eine beträchtliche Anzahl an Messern, Ketten und alten Gürteln finden.

Magnus blieb aber nicht viel Zeit, sich umzusehen, denn er wurde so fest gegen eine Wand gedrückt, dass ihm die Luft wegblieb. Sebastian stand vor ihm und seine dunklen Augen funkelten diabolisch in der Dunkelheit.

~Einen Mucks und du wirst dieses Haus nicht mehr lebend verlassen.~, zischte er.

Magnus' Herz raste vor Angst und dennoch versuchte er nach Hilfe zu schreien, denn allein würde er sich nicht befreien können. Dazu war Sebastian zu stark und er zu sehr unter Schock.

Allerdings verließ kein Laut seine Lippen, denn die Faust seines Stiefbruders traf mit voller Wucht auf sein Gesicht und machte jegliche Hoffnungen, hier rauszukommen, zunichte. Kurz tanzten rote Punkte vor seinem inneren Auge und ihm wurde schwindelig, während ein heißer Schmerz in seinem Gesicht explodierte.

~Verstanden?~

Magnus wimmerte nur vor Schmerz und versuchte nochmals sich zu befreien, aber Sebastians Griff um seine Schultern war so fest, dass er sich nicht rührten konnte.
Er hatte ja schon unter normalen Umständen kaum eine Chance gegen seinen Stiefbruder, aber jetzt? Jetzt war zusätzlich noch geschwächt, was seine Chancen, aus eigener Kraft freizukommen, minimierte.

Er begann zu zittern, als er spürte, wie eine Messerklinge seinen nackten Unterarm hinabfuhr. Dabei hinterließ sie einen flachen Schnitt, der leicht blutete, aber vor allem brannte wie Feuer.

Dennoch verließ kein Laut seine Lippen. Dazu war er zu sehr in seiner Angst gefangen. Er fühlte sich einfach so hilflos und ausgesetzt.

Grob wurde der Handschuh von seiner Hand gerissen und er noch enger gegen die Wand gepresst. Er erschauderte, als er Sebastians Atem gegen seinen Hals prallen spürte.

Er hatte Angst, panische Angst.
Er versuchte krampfhaft sie runterzukämpfen, aber es hatte keinen Zweck.

Er hatte sich schon immer vor Sebastian gefürchtet, immerhin war er derjenige, der Liliths Strafen an ihm ausübte. Er hatte ihn mehr als nur einmal verletzt, weshalb er ihm lieber aus dem Weg ging. Jetzt mit ihm in diesem kleinen Raum zu sein, verstärkte diese Furcht nur noch.

Die Zuversicht, die Alexander ihm schenkte, war verflogen und das einzige, das er hören konnte, war sein tobender Herzschlag.

~Sieh es als eine Art Abschiedsgeschenk.~, wisperte er bedrohlich, bevor es begann.

Das Wunder in jedem Tag (Malec)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt