Vor ihm auf dem Boden lag ein Mann unter dutzenden Ästen begraben und fluchte wie ein Rohrspatz. Der Fremde war klein und schien schon ziemlich alt, den zottelig grauen Haaren und dem buschigen Bart nach zu urteilen. Er zappelte wütend, konnte sich aber nicht befreien.
Magnus war überrascht, aber auch verwirrt.
Was machte ein Fremder in ihrem Garen? Und dann noch unter einem Haufen Ästen, die aus dem Nirgendwo herzukommen schienen.War es ein Einbrecher? Aber warum sollte ein Einbrecher so unvorsichtig sein? Und warum sollte er ausgerechnet bei ihnen einbrechen? Hier gab es doch kaum Wertgegenstände, für die sich so ein Aufwand lohnen würde.
Seid sein Vater nämlich gestorben war, kam kaum Geld ins Haus, denn es fehlte jemand, der arbeitete. Deshalb mussten sie auch all die Hausangestellten entlassen, die für Magnus immer so etwas wie Freunde gewesen waren. Momentan lebten sie von dem Witwengeld aus Liliths erster Ehe und dem Erbe seines Vaters.
~Bist du festgewachsen oder stehst du auch in deiner Freizeit nur blöd in der Gegend rum?! Hilf mir!~, kommandierte der ältere Mann wütend.
Aus Gewohnheit überging Magnus den abwertenden Kommentar und machte sich stadessen gehorsam daran, die Äste vom Haufen zu entfernen, um den Mann zu befreien.
Seine Tränen waren getrocknet und er spürte die salzigen Spuren nur noch auf seinen Wangen. Wahrscheinlich sahen seine Augen dennoch wässrig aus und waren rot, aber das kümnerte ihn ersteinmal nicht. Auch seine laufende Nase ignorierte er. All die Trauer, die aufschaukelnden und selbstvernichtenden Gefühle und Gedanken hatten sich zurückgezogen, wie das Meer bei Ebbe.
Er funktionierte beinahe mechanisch, denn gerade fühlte er nichts und er war dankbar dafür. Stadessen konzentrierte er sich einfach auf seine Arbeit und entkam somit kurz allen Sorgen.
~Geht's vielleicht noch langsamer? Selbst meine Oma ist schneller als du!~, schimpfte der Fremde unverblümt weiter.
Magnus ließ es sich nicht anmerken, aber langsam begann ihn der unfreundliche Fremde zu nerven.
~Ich würde Euch ja schneller befreien, aber wenn Ihr so rumzappelt, wird das nichts.~, antwortete er ruhig.
Seine Stimme klang durchaus freundlich und nur jemand, der ihn ziemlich gut kannte, würde merken, dass diese Freundlichkeit nicht vollkommen echt war.Eigentlich dachte er nicht so, denn selbst in seinen Gedanken, die nun wirklich niemand lesen konnte, war er stets höflich. Er beleidigte niemanden oder stellte sich schlimme Szenarian vor, die einer unfreundlichen Person widerfahren sollten.
Aber irgendwie war auch gerade alles anders. Der Wunsch, den Worten seiner Mutter zu folgen, war irgendwie fort. Genauso wie der stille Optimismus und sein Tageswunder. Seine Hoffnung war erloschen und lag nur noch als Glut vor. Man könnte sie noch anfachen, aber dazu war Magnus einfach nicht in der Lage.
Zu tief saß der Schmerz, den die Worte seiner Stiefmutter in ihm ausgelöst hatten. Zu tief saß diese Hoffnungslosigkeit und die damit einhergehenden dunklen Gedanken, die ihn Stück für Stück auffraßen. Langsam, aber sicher wurde das Licht ausgelöscht und er war nicht dazu in der Lage, um diesen Vorgang aufzuhalten. Das war frustrierend.
Endlich hatte er die Zweige so weit beseitigt, dass er nun vor einem dicken Ast stand, der dem Fremden so zu schaffen machte, dass er sich nicht selbst befreien konnte.
Mit beiden Händen packte er den Ast und zog einmal kräftig daran.Sofort jaulte der Fremde auf vor Schmerz.
~Sag mal spinnst du!? Das tut weh!~
Darauf wäre Magnus nie gekommen.Dennoch bewahrte er äußerlich die Ruhe, als er antwortete~Ich weiß und das tut mir leid. Ich werde es jedoch nochmals versuchen müssen und es wäre nett, wenn Ihr mir dabei helft.~
~Und wie?~~Ihr zählt bis drei und dann ziehe ich mit einem Ruck den Ast von Euch herunter. Das wird wahrscheinlich nochmals wehtun, aber sonst kommt Ihr nicht frei. Einverstanden?~
~Habe ich denn eine andere Wahl?~
~Ich fürchte nicht.~, erklärte Magnus und lächelte schwach.Dann griff er erneut nach dem Ast und war dankbar für die robusten Lederhandschuhe, die seine Hände vor Splittern schützten.
~Eins. Zwei ... ~, zählte der Fremde, als Magnus bereits heftig an dem Ast zog. So hatte er den Überraschungsmoment auf seiner Seite und schaffe es tatsächlich, den Ast von dem Mann herunterzurollen.
Er gab einen zufriedenen Laut von sich, als er sich stolz die Hände rieb. Es hatte funktioniert.
Während der Fremde aufstand, schimpfte er natürlich weiter~Kannst du etwa nicht bis drei zählen? Ich habe dich wirklich für klüger gehalten als ein Stück Holz.~
~Wenn Ihr aber bei drei angekommen wärt, hättet Ihr mich wahrscheinlich erneut aufgehalten, weil ihr den Schmerz fürchtet. So aber wart Ihr zu überrascht, um zu reagieren und genau das war der Plan~, erklärte er ruhig,~Kann ich Euch sonst noch irgendwie helfen?~
Der Fremde war tatsächlich ziemlich klein. Er ging Magnus gerade mal bis zur Taille und erinnerte ihn mit seinen kantigen Gesichtszügen, dem Rauschebart und der abgewetzten Kleidung etwas an das Rumpelstilzchen, das er aus seinem Märchenbuch kannte. Es fehlte nur noch das Feuer, um das der Fremde herumtanzen konnte.
~Stimmt irgendetwas nicht oder warum sonst siehst du so verheult aus?~, fragte ihn der Fremde abrupt.
Überrascht zog Magnus die Augenbrauen hoch. Der ältere Mann wetterte erst gegen ihn und nörgelte an allem herum und dann fragte er ihn plötzlich nach seinem Wohlergehen?
Das war nicht nur überraschend sondern auch seltsam. Warum sollte er sich plötzlich für Magnus interessieren? Oder tat er das gar nicht und fragte nur aus reiner Höflichkeit?
Das erschien ihm absurd, denn bisher war der fremde Mann alles andere als nett zu ihm gewesen.
Was führte er nur im Schilde?Doch selbst, wenn es ihn wirklich kümmern sollte, Magnus konnte ihm einfach nicht sagen, was ihn bedrückte.
Einerseits fehlten ihm die passenden Worte, um sein Gefühlschaos zu beschreiben und andererseits ... Er wollte kein Mitleid, denn er bezweifelte, dass der Mann etwas anderes für ihn übrig haben würde als das. Es würde nichts ändern, wenn er sein Problem aussprach und so beschloss er, die Wahrheit zu umschiffen.~Es ist nichts. Nichts wichtiges zumindest. Aber kann ich sonst noch irgendwie helfen?~
~Jeder findet etwas anderes wichtig~, sagte der Frende plötzlich und umging seine Frage damit schon zum zweiten Mal,~Manchen ist es wichtig, immer gepflegt auszusehen oder in allen Dingen perfekt zu dein. Andere hingegen achten stets darauf, dass sich die Menschen, die ihnen etwas bedeuten, keine Sorgen um sie machen. Diese sind viel lieber für andere da als für sich selbst. Das ist ersteinmal eine lobenswerte Eigenschaft, doch sie kann ebenso leicht von den Falschen zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt werden. Und, um auf deine Frage zurückzukommen, ich glaube, es wird Zeit, dass jemand endlich mal dir unter die Arme greift. Dafür würde ich mich allerdings erst kurz umziehen.~
Mit diesen Worten ließ er Magnus sprachlos wie verwirrt zurück, um sich hinter eine hohe Hecke zu begeben.
Er hatte plötzlich so anders geklungen. Nicht halb so unfreundlich, sondern viel mehr lehrend. So hatte er sich immer die Stimme seines Hauslehrers vorgestellt, wenn er denn je einen gehabt hätte. Sanft, aber weise. Ruhig, aber bestimmt. Einfach angenehm. Eine Stimme, die zum Zuhören einlud.
Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, wie der fremde Mann zurückkam, aber als er aufsah, traf es ihn wie ein Schlag.
Wie...?
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Das Wunder in jedem Tag (Malec)
Fanfic[Abgeschlossene Geschichte] -Kurzer Textauszug- Es gibt keine vollendete Perfektion, denn wir sind nur Menschen. Wenn man von jemanden verlangt, perfekt zu sein, ist man es meist selbst nicht. Stadessen sollte man doch viel lieber daran arbeiten, si...