funeral

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"Ungeheuer gibt es wirklich. Und Geister gibt es auch. Sie leben in unserem Inneren. Und manchmal gewinnen sie."
~ Stephen King


D E X T E R

"Bist du bereit?" Besorgt musterte Spencer mich und ich atmete nochmal tief durch, bevor ich nickte. "Ja, wir können." Ein letztes Mal strich ich mein schwarzes Kleid glatt und kontrollierte im Spiegel meine Frisur. Mein Blick fiel auf meine zitternden Hände und auch Spencer bemerkte sie. Rasch nahm er meine Hände in seine und sah mich liebevoll an. "Keine Angst, ich bin hier. Gemeinsam stehen wir das durch." Wieder nickte ich, dann verließen wir mein Schlafzimmer und liefen die Treppe nach unten. Krampfhaft hielt ich mich dabei am Geländer fest, weil ich meinen Beinen noch immer nicht vertraute, obwohl ich seit Wochen Physiotherapie machte und gut vorankam. Zwei Monate waren vergangen, seit ich aus dem Koma aufgewacht war und in wenigen Tagen stand bereits Weihnachten vor der Tür. Doch zuvor würde ich heute eine große Last loswerden. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als Lexie und JJ aus dem Zimmer meiner Tochter traten. Die Blondine hatte Lexie wundervoll die Haare geflochten und ich bemühte mich zu lächeln. "Vielen Dank JJ. Bist du bereit Schätzchen?", erkundigte ich mich bei meiner Tochter und sie nickte. Ich griff nach ihrer Hand und gemeinsam mit JJ und Spencer verließen wir das Haus. Vor der Tür warteten zwei schwarze SUVs, in die wir einstiegen. Morgan saß am Steuer und begrüßte uns mit einem Handschlag, JJ stieg zu Hotch, Rossi und Garcia in den anderen Wagen. Während der Fahrt herrschte Schweigen und ich konzentrierte mich lediglich auf Lexies Hand in meiner. Viel zu schnell erreichten wir unser Ziel und stiegen aus. Still und friedlich lag der Friedhof vor uns und ich atmete tief die kühle Dezemberluft ein. "Wir schaffen das, Mum", sagte Lexie leise und ich sah sie lächelnd an. "Ich weiß, mein Schatz. Und ich bin so froh, dass du bei mir bist und wir das gemeinsam durchstehen." Sie nickte zustimmend, dann hörte ich, wie ein weiteres Auto neben uns hielt. Es waren meine Eltern, die uns lächelnd umarmten und auch das Team begrüßten. Dann nahm ich einen vertrauten Geruch neben mir wahr und musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass es Spencer war. Seine Hand suchte vorsichtig nach meiner und wir verschränkten unsere Finger miteinander, dann liefen wir los. Die kleine Friedhofskapelle war bis auf das Team, Lexie und meine Eltern leer, nur ein Pfarrer stand neben der schlichten Urne, vor der ein einziger Kranz gelber Gerbera lag. Ich hatte lang überlegt, welche Blumen angebracht waren, wenn man seinen ehemaligen Vergewaltiger und Entführer beerdigte. Ich wollte seine Asche nirgendwo verteilen, weil ein kleiner abergläubischer Teil in mir glaubte, dass seine Überreste andernorts vielleicht einen bösen Menschen treffen und noch böser machen würden. Also sollte er hier auf diesem kleinen Waldfriedhof beerdigt werden. Er lag etwas außerhalb, aber dennoch gut mit dem Auto erreichbar. Vielleicht würde Lexie eines Tages doch nochmal "Kontakt" zu ihrem leiblichen Vater aufnehmen wollen und ich wollte ihr diese Gelegenheit geben, also standen wir heute hier. Natürlich wusste der Pfarrer, wen er hier beerdigte und ich war dem Mann sehr dankbar, dass er nicht viel von Himmel und Hölle sprach, sondern nur davon, dass Charles jetzt in Frieden ruhen konnte. Dann folgten wir dem Pfarrer raus auf den Friedhof zu einem kleinen, fast unscheinbaren Loch im Boden. Die Urne wurde dort hineingestellt, dann traten wir der Reihe nach vor und warfen eine Schaufel Erde darauf. Lexie war als Letzte dran und legte schließlich den Blumenkranz auf der frischen Erde ab. Dann lief sie zu mir und ich nahm sie in den Arm. Der Pfarrer sagte noch einige abschließende Worte, dann war die Beerdigung vorbei, viel schneller als ich es erwartet hatte. Fragend sah meine Mutter mich an. "Und jetzt?" Ich zuckte die Schultern. "Was haltet ihr davon, wenn wir alle gemeinsam Essen gehen?" "Das klingt gut", stimmte Mum mir zu und drehte sich bereits um, um zum Auto zu gehen. Die anderen taten es ihr gleich, nur Lexie und ich blieben stehen. "Geh schonmal mit den anderen vor Schätzchen, ich komme gleich nach", bat ich sie und beobachtete, wie sie hinter den anderen herlief. Dann drehte ich mich zum Grab um und musterte das Holzkreuz, das momentan noch die Steinplatte ersetzte, die in wenigen Tagen über der Urne landen würde. Charles' Name, sowie sein Geburts- und Todesdatum standen darauf, mehr nicht. Kurz dachte ich an seine Akte, die ich in den vergangenen Jahren so oft gelesen und studiert hatte. Ich dachte an seinen Vater, der ihn als Kind missbraucht hatte und an seine Mutter, die früh gestorben war. An seine kleine Schwester, die er von ihrer Geburt an misshandelt hatte, bis sie sich im zarten Alter von 16 Jahren schließlich das Leben nahm. Gegen meinen Willen tat Charles mir Leid. Was wäre wohl aus ihm geworden, wenn er in anderen Verhältnissen aufgewachsen wäre? Bei liebenden Eltern, einer sicheren Familie? Vielleicht wäre er Maler geworden oder Architekt oder Investmentbanker, wer wusste das schon? Leise seufzte ich, dann hob ich entschlossen den Kopf. Er war ein Monster geworden, das war die Realität. "Du hast verloren, Charles. Das Gute hat triumphiert und niemand wird sich an dich und deine Schandtaten erinnern. Du wirst in Vergessenheit geraten und nur eines von vielen Monstern der Menschheit sein. Du bist nicht als Sieger aus diesem Kampf hervorgegangen, sondern ich. Du hast verloren, Charles." Mit versteinerter Miene musterte ich das Grab ein letztes Mal und schwor mir im selben Moment, nie wieder hierherzukommen. Dann drehte ich mich um und verließ den Friedhof, während der kalte Dezemberwind mir durchs Haar pfiff und irgendwo hinter mir eine Krähe schrie.


Ich hab eine Weile mit mir gerungen, ob Charles eine richtige Beerdigung bekommen soll oder nicht und ich hoffe das Ergebnis gefällt euch :)

Profile Me (Criminal Minds FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt