Kapitel 19

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Sie seufzt.

Noch für eine Sekunde kann sie nichts sehen, nichts hören, nichts riechen, nichts fühlen und spüren.

Noch ein Seufzen.

Und dann setzen die Schmerzen ein. Körperteile, Muskeln und Knochen tun weh, von denen sie keine Ahnung hatte, dass sie überhaupt schmerzen können. Aus ihrem Seufzen wird ein Stöhnen und ihre Sinne schärfen sich. Sie hört nur einen anderen sanften Atem, sie riecht trockenen Schweiß, der den Duft einer neutralen Seife fast überdeckt. Jetzt beginnt Feena zu blinzeln und kneift bei der hellen Umgebung die Augen zusammen.

„Shhh."

Feena spürt, wie ihre Ohren zucken wollen, aber sie ist wieder in ihrer menschlichen Form. Sie kämpft noch mit dem grellen Licht, schafft es dann aber eine Hand zu heben und die Lampe, die direkt über ihr hängt, abzuschirmen. Sie dreht den Kopf und erblickt nur Zentimeter neben der Lampe - Bucky. Sie möchte Lächeln, aber seine Züge sehen erschrocken aus und in seinen weit aufgerissenen Augen kann sie wieder die unnatürlich verfärbte Iris leuchten sehen. Sie zuckt zurück und er ebenso. Beide springen von ihren Positionen am Boden auf und treten sofort mit dem Rücken an die Wände des kleinen Raumes, in dem sie sich befinden.

Feena schluckt gegen die Trockenheit in ihrem Hals an. Das Kratzen ist unangenehm, aber sie spürt es kaum. Ihr ganzer Körper schreit vor Schmerzen, den die Anspannung verursacht, aber das ignoriert sie. Buckys Mimik ist ein seltsames Spiel aus Schock, Sorge und Unwillen.

Sie erkennt seine kampfbereite Haltung: er ist leicht in die Knie gegangen, hat die Fäuste gehoben, den Körper leicht schräg gestellt und das Gewicht auf nur einem Bein, damit er sich damit sofort in jede Richtung wegdrücken könnte, um bei einem Angriff ihrerseits ausweichen zu können.

„Was...", beginnt Feena leise, weiß aber gar nicht, wonach sie fragen möchte.

Der Soldat steht an der anderen Wand und mustert sie, so wie sie ihn.

Sein Körper spannt sich an, sie bemerkt, wie sich sein Geruch ändert und das riecht nicht gut. Wie auch seine Körpersprache ansonsten es schon verrät: er macht sich bereit zum Kampf. Was ist mit ihm los? Was ist dieses türkise Glühen in seinen Augen? Warum will er gegen sie Kämpfen?

Feena weiß aus dem Training, dass sie keine Chance gegen Bucky hat. Zumindest nicht als Mensch.

Doch als die Verwandlung beginnt, schießt ein Schmerz durch Feenas gesamten Körper, der sich anfühlt, als würde es sie zerreißen. Der Schrei, der aus ihrer Kehle dringt, ist gefüllt davon und ihre Knie geben nach. Sie fällt auf den Boden und der Schmerz hallt in ihrem Körper nach.

„Feena", haucht Bucky.

Er will zu ihr gehen. Seine Kampfhaltung fällt und er macht einen Schritt zu ihr hin, bleibt dann aber doch stehen. Ihr Körper zittert, aber sie hebt den Kopf und schaut mit vor Angst gefüllten Augen zu ihm auf. Das Spiel von verschiedenen Gefühlen auf seinem Gesicht schwindet in der Sekunde, als er sie in diesem Moment anschaut. Die Sorge gewinnt und mit wenigen Schritten ist er bei ihr und kniet sich neben das zitternde Mädchen.

„Feena?", fragt er sachte nach.

„B-Buck", murmelt sie zurück und vor Schmerzen kneift sie die Augen zu. Aus ihren Augenwinkeln lösen sich Tränen, aber der Soldat fängt sie schnell mit seinem Daumen ab und wischt sie weg. Er dreht sie zur Seite, damit sie sich hinsetzen oder hinlegen kann. Feena bleibt halb aufrecht auf Bucky gestützt sitzen. Der Supersoldat hält sie sicher fest und schaut sie weiterhin besorgt an, aber Feena entgeht auch nicht seine Verwirrung.

„Feena...", beginnt er leise und runzelt kurz die Stirn: „Unsere erste Begegnung?"

Sie atmet tief in den Schmerz hinein und als sie wieder ausatmet, wird der Schmerz besser und sie kann sich auf ihn konzentrieren.

„Was?", fragt sie leise nach.

„Unsere erste Begegnung?", wiederholt er nur.

Sie schluckt die nächste Welle von Schmerz hinunter und antwortet dann: „In der Küche- nein... Im Trainingsraum. Als ich Natasha angegriffen habe, hast du sie beschützt... und ich habe... hab in deinen Arm gebissen."

Bucky nickt mit einem kleinen Lächeln und ein erleichtertes Seufzen kommt über seine Lippen. Seine steife Haltung fällt ein wenig, sein Geruch schlägt wieder um und er beginnt sich zu entspannen. Das ist gut, denkt sich Feena und meistert auch ein kleines Lächeln in seine Richtung. Dann kommt die nächste Schmerzwelle und sie verzieht das Gesicht wieder.

„Shhh", kommt dem Soldaten erneut über die Lippen und Feena versucht es mit einem tiefen Durchatmen und geschlossenen Augen. Die Schmerzwelle ebbt ab und hinterlässt ein dumpfes Pochen in ihren Gelenken und Gliedern.

Durch die Linderung des akuten Schmerzes, kann sie wieder einigermaßen denken und wendet sich mit einer ersten Frage an Bucky: „Warum... Warum das Misstrauen? Warum... fast der Angriff?"

„Loki", antwortet Bucky schlicht und bewegt sich etwas neben Feena. Er schlingt einen Arm sachte um ihre Schultern und hilft ihr ungefragt dabei sich noch weiter aufzusetzen. Ermutigt dadurch, dass keine erneute Welle von Schmerzen aufkommt, dreht sie den Kopf und blickt Bucky fragend an.

„Deine Augen leuchten in einem ganz klaren Blau. Steve hat mir erzählt, dass es eine Nebenerscheinung ist, wenn Loki die Kontrolle über einen anderen Menschen übernimmt."

„Deine Augen leuchten auch", murmelt Feena ihm zu und er hebt überrascht die Augenbrauen an.

Ein lautes Klatschen fährt durch die Stille und beide Schrecken zusammen. Nicht einmal eine Sekunde braucht der Supersoldat, um auf den Beinen zu stehen und sich beschützend vor Feena zu positionieren. Die Wand links von ihnen verliert plötzlich ihre neutrale, weiße Farbe und zum Vorschein kommt ein Schatten. Die schemenhafte Gestallt tritt näher an das Licht heran und der dunkelhaarige Mann erscheint.

Er hebt die Hände erneut an und klatscht gelangweilt.

„Loki...", knurrt Bucky und Feena schluckt einen dicken Kloß in ihrem Hals hinunter.

Loki? Der nordische Gott? Der Gott der Chaos?

„Herzlich Willkommen", antwortet der Gott und verneigt sich mit einem spöttischen Gesichtsausdruck vor den beiden. Er kommt wieder hoch und das falsche Grinsen fällt. Er kommt noch ein paar Schritte näher und erst jetzt erkennen Feena und Bucky, dass die Wand nicht nur durchsichtig geworden ist, sondern sich komplett in Luft aufgelöst hat. Der Gott spaziert in den sterilen Raum hinein und geht zur anderen Seite hinüber. Der Soldat verfolgt seine Schritte und schirmt immer perfekt die junge Frau hinter sich ab. Loki dreht um und geht wieder zurück. Wieder wird Feena so abgeschirmt, dass sie nur zwischen Buckys Beinen hindurch die langen Beine des anderen verfolgen kann. Ein erneuter Schmerz zuckt durch ihre Rippen und ein leises Stöhnen kann sie nicht unterdrücken. Bei dem kleinen Geräusch verspannt sich Bucky und ist einen Moment unaufmerksam.

„Setz Dich endlich hin!", knurrt Loki dann. Er hebt eine Hand und mit einer kleinen Bewegung, schleudert er Bucky zur Seite. Der Soldat prallt gegen die Seitenwand und bleibt für einen Moment benommen stehen.

Diese Zeit nutzt Loki. Mit schnellen Schritten durchquert er den Raum und kniet sich neben Feena. Erschrocken schaut sie zu ihm auf, aber er mustert sie nur einen Moment, dann streckt er die Hand aus und schiebt sie unter Feenas Arm und seitlich an ihre Rippen. Ein Wärmefluss von seiner Hand beginnt und webt sich durch Feenas gesamten Oberkörper. Automatisch sackt Feena in sich zusammen.

„Was tust du da?", brüllt Bucky und stürzt sich von der Seite auf den Gott. Aber der hat genug Zeit, um die freie Hand erneut zu heben und eine Art unsichtbaren Schutzschild zwischen sich und dem Soldaten hochzuziehen. Bucky prallt daran ab, versucht dagegen zu schlagen aber nichts hilft. Er kann nur dabei zusehen, wie der Gott neben Feena kniet und sie von Sekunde zu Sekunde mehr erschlafft.

FenrisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt