Kapitel 6
Draco erreichte den Klassenraum für Geschichte der Zauberei fast zehn Minuten zu früh und um keinen Verdacht zu erregen, öffnete er die Tür und schlüpfte in den verhassten Raum. Ein schmaler Lichtstreifen fiel vom Flur aus auf den Boden und an seinem Ende schwebte Professor Binns, als hätte man ihn ausgeschaltet. Der Kopf lag auf der Brust, die Arme hingen gerade am Körper hinab. Von ihm ging das kalte Glühen der Geister aus, ein Farbton, der jegliches Leben missen ließ.
Draco schluckte und schob die Tür komplett ins Schloss. Es klickte, der Lichtstreifen verschwand. Mit dem Rücken gegen das kühle Holz gelehnt, behielt er den schlafenden Lehrer im Blick, während er auf ein Geräusch draußen wartete.
Die Minuten schlichen träge vorbei und obwohl Professor Binns es ihm vermutlich sogar geglaubt hätte, wenn er ihm erzählt hätte, dass gleich der Unterricht begann, lauerte die Nervosität in seinem Nacken wie ein böser Traum.
Er erinnerte sich an eine Mutprobe, die er als Neunjähriger mit seinen Freunden ausgeheckt hatte. Zehn Minuten auf dem stickigen Dachboden, den seine Großmutter damals bewohnt hatte. Wenn man es richtig tat, wachte sie nicht aus ihrem Dauerschlaf auf und man konnte nach Ablauf der Zeit unbehelligt wieder verschwinden. Einmal hatte er es nicht richtig gemacht und er hatte eine Stunde lang das Kichern seiner Freunde vor der Tür gehört, bevor er sich hatte loseisen können.
Genau so kam er sich jetzt vor. Nur eine falsche Bewegung und er kam hier so schnell nicht wieder raus. Und dann hörte er endlich Schritte auf dem Flur, die direkt vor der Tür zu diesem Klassenraum erstarben. Draco bückte sich und schielte durch das Schlüsselloch – ein Auge starrte zurück.
Der Slytherin schreckte mit einem dumpfen Laut nach hinten, wirbelte angsterfüllt zu Professor Binns herum und als der noch immer bewegungslos über dem Lehrerpult schwebte, schlüpfte er auf den Flur.
„Hast du sie noch alle?", zischte er Longbottom an.
„Bist doch selbst nicht besser", murmelte der Gryffindor gleichmütig.
Draco hob eine Augenbraue und als er den anderen im Licht der Fackeln genauer ansah, war irgendetwas an ihm anders. Er schüttelte den Kopf. „Lass uns gehen." Und marschierte voran.
Longbottom holte nach ein paar Schritten zu ihm auf. „Hast du die anderen Pflanzen geholt?"
„Nein, ich hab sie im Vertrauensschülerbad kultiviert", entgegnete Draco, steckte aber zeitgleich die Hand in seine Umhangtasche und drückte ihm die Holzkiste mit den gesammelten Pflanzen in die Hand.
„Ich wusste nicht, dass du Wörter wie kultiviert kennst", bemerkte dieser beiläufig, während er die noch immer grünen Blätter inspizierte.
„Halt's Maul!"
„Ja, das klingt schon eher nach dir."
Es juckte Draco, Longbottom auf seine Art zum Schweigen zu bringen, aber nochmal würde Madam Pomfrey es ihm nicht abnehmen, dass er ihn zufällig gefunden hatte. Und außerdem brauchte er ihn. Verdammt!
Widerwillig ignorierte Draco also die Spitzen, mit denen Longbottom ihn provozierte, und schritt ohne einen Blick zurück quer durch die Eingangshalle hinaus auf die Ländereien. Selbst die frische Nachtluft kühlte sein erhitztes Gemüt nur mäßig.
Die Gewächshäuser tauchten aus der Dunkelheit auf wie gläserne Denkmäler. Nirgendwo brannte noch Licht – zum Glück, denn Professor Sprout arbeitete mitunter auch bis tief in die Nacht, wie Draco schon mehrmals hatte feststellen müssen, wenn er das Schloss nachts verlassen hatte.
Trotzdem schlichen sie sich langsam vorwärts, immer geduckt unter den ersten Bäumen des nahen Waldes. Sie näherten sich den Gewächshäusern von hinten und erst, als Draco entscheiden musste, welchem der drei sie sich zuwenden sollten, erinnerte er sich, warum Longbottom ihn überhaupt begleitete.
DU LIEST GERADE
Ein Funke und Zunder
FanfictionDM/NL: Draco bekommt einen Auftrag von Snape, dem er allein nicht gewachsen ist. Eine kleine Erpressung verschafft ihm die Hilfe, die er braucht.