Kapitel 15

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Kapitel 15

Neville sah ihm nach und hätte er nicht so verflucht viel Angst vor den verfluchten Kerkern gehabt, wäre er ihm hinterher gelaufen. Stattdessen stand er da und blinzelte wie ein Mädchen, weil er nun wirklich nicht anfangen konnte zu heulen. Wirklich nicht. 

Aber was seine Oma ihm gesagt hatte, funktionierte tatsächlich: Einatmen – eins, zwei, drei – ausatmen. Einatmen – eins, zwei, drei – ausatmen. Das und die Stille in der Eingangshalle, der frische Wind, der von den geöffneten Türen hereinzog und der Gedanke an das bevorstehende Wochenende ließen ihn seine Fassung zurückgewinnen. 

Mit hängenden Schultern kehrte er in den Gemeinschaftsraum zurück. Da es der einzige Ort war, an dem sie sich nach dem Abendessen noch aufhalten konnten, ohne mit einer Begegnung der tödlichen Art zu rechnen, war es voll und überhitzt. Die Luft war so stickig, dass man sie schneiden konnte – und das Gemecker groß, als Neville es wagte, ein Fenster zu öffnen. 

„Ey, das ist kalt draußen!"

„Mach das Fenster zu, Neville!"

„Wenn wir dir nicht beim Rausspringen helfen sollen, mach es gefälligst zu!"

Die letzte Bemerkung kam von einem Erstklässler, der ohne jede Scham zu ihm herüber starrte, die Feder, die er zum Erledigen seiner Hausaufgaben benötigte, noch ungeschickt in der Hand.

Neville wusste nicht, woher es kam, aber er spürte, wie sich seine Augenbrauen zusammen zogen und ehe er sich seiner Worte bewusst war, entgegnete er: „Lern erst mal, eine Feder zu halten, bevor du irgendwem Hilfe anbietest!" Und das Ganze nicht in seiner üblichen Lautstärke – fallendes Staubkorn plus zehn Dezibel –, sondern so, dass selbst Ginny, Dean und Seamus es am anderen Ende des Gemeinschaftsraums hörten.

Anscheinend war nicht nur er überrascht von seiner Reaktion, denn das Gemecker erstarb und niemand kümmerte sich mehr um die kühle Herbstluft, die in den Raum zog. Stattdessen starrten einige ihn unverhohlen an – unter anderem der vorlaute Erstklässler, der schnell seine Feder zur Seite legte –, während andere ihm immer wieder kurze Blicke zuwarfen. 

Neville spürte, wie er rot wurde, und steckte schnell den Kopf aus dem Fenster. Und dann begann er zu lachen. Er lachte so laut, wie er schon seit Monaten nicht mehr gelacht hatte und während seine Bauchmuskeln sich verkrampften und er die Beine überkreuzen musste, um sich nicht in die Hose zu machen, löste sich seine Stimmung zusammen mit ein, zwei Tränen, die ihm über die Wangen liefen.

Das Blöde war nur, je besser er sich fühlte, desto ratloser waren seine Schulkameraden. Weil Ginny eine der mutigsten unter den Löwen war, streckte sie schließlich neben ihm den Kopf in die kühle Luft und musterte ihn von der Seite, den Mund zu einem schiefen Grinsen verzogen. „Erzählst du mir, was so lustig ist?"

Nur langsam bekam Neville sich wieder unter Kontrolle. Noch während er sich die Feuchtigkeit vom Gesicht wischte, gluckste er ab und an. Und zuckte die Schultern. „Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Aber es fühlt sich gut an."

„Ja, sieht so aus."

„Starren sie noch?"

Ginny warf einen Blick über ihre Schulter. Einen langen Blick. „Jetzt nicht mehr", verkündete sie schließlich.

„Gut." Neville räusperte sich. „Weißt du, ich glaube, ich hab's jetzt rausgefunden."

„Was?"

Neville stützte sein Kinn in die Hand, das Fensterbrett unter seinem Ellbogen. „Warum er."

Ginny begriff sofort und zuckte neugierig mit den Augenbrauen, während sie seine Haltung imitierte. 

„Er fordert mich heraus. Er ... gibt mir das Gefühl, dass ... da noch mehr in mir ist."

Ein Funke und ZunderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt