Kapitel 10

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I still believe in summer days.
The seasons always change
And life will find a way.

Winter Song von Sara Bareilles & Ingrid Michaelson

Am nächsten Morgen absolviere ich zusammen mit Nicci mein Marathontraining und stehe dann mit einem Kaffee auf meiner Terrasse, während Nicci duscht. Dabei versuche ich gerade verzweifelt nicht im stehen einzuschlafen.

Die allerliebste Nicci stand heute morgen nämlich um sieben Uhr vor meiner Tür. Eigentlich wollte sie gestern Abend nachdem ich sie angerufen und mich über Julian ausgekotzt hatte, schon direkt losfahren, aber ich konnte sie gerade noch davon abhalten. Im Nachhinein hätte ich vielleicht erstmal durchatmen sollen, bevor ich sie angerufen habe, aber ich musste etwas Frust loswerden.

Nicci hatte sich daher schon gestern bereit erklärt, mit mir zu trainieren und stand daher heute in aller frühe vor meiner Tür. Und sagen wir es mal so, ein Zombie öffnete. Jedenfalls war das der Begriff, den Nicci verwendete als sie mein Gesicht sah.

„Du hast gar nicht geschlafen, oder?", war die erste Frage die sie mir stellte, nachdem wir um halb acht losgelaufen waren. „Gar nicht wäre zu übertrieben. Wenig trifft es eher...", war das einzige, was ich dazu zu sagen hatte.

Nach zwei Stunden laufen, waren wir gegen halb zehn wieder bei mir angekommen. Ich war total fertig. Intervalltraining mit anschließendem Dauerlauf ohne wirklich geschlafen zu haben, war absolut kein Spaß und extrem fordernd. Nicci's Blick sagte mir eindeutig, dass ich noch beschissener aussah als vorher, aber das war mir gerade herzlich egal. Naja eigentlich war es mir, im Hinblick auf Julian, dann doch nicht ganz so egal... Aber etwas daran ändern kann ich jetzt eben auch nicht mehr. Außer mich mit einem Kaffee wieder halbwegs auf Spur zu bekommen. Normalerweise wirkt das zumindest etwas, aber heute kommt alles zusammen und ich würde mich am liebsten den restlichen Tag im Bett verkriechen. Dabei kann ich die Energie, die von Dortmund ausgeht regelrecht spüren. Denn die Stadt pulsiert vor jedem Spiel irgendwie immer ganz besonders. Wirklich definieren kann ich es nicht, aber Dortmund gibt es eben nicht ohne den BVB. Und ein Wochenende mit Heimspiel ist immer etwas besonderes. Das merke und fühle sogar ich als Anti-Fan. Also kein Bett für mich!

Nicci ruft mir von drinnen zu, dass sie fertig ist und ich schrecke kurz zusammen. Nach einem letzten Blick über die Stadt, mache ich mich auf den Weg ins Innere und steuere direkt das Bad an.

Die eiskalte Dusche hat mich zumindest soweit wiederbelebt, dass ich etwas Farbe im Gesicht bekommen habe. Der blasse Zombie ist jetzt schon mal weg. Allerdings sind die Augenringe geblieben.

Mit meinem nächsten Blick in den Spiegel muss ich feststellen, dass ich mich selbst absolut nicht mehr sehen kann. Meine braunen Haare sehen langweilig aus, trotz meiner Naturlocken, hängen sie irgendwie lustlos und platt runter. Und viel zu lang sind sie auch. Ich ziehe an einer Haarsträhne und rümpfe die Nase, während ich genervt ausatme. Meine Augen wandern meinen Badezimmerschrank entlang, in der Hoffnung dort etwas zu finden, was mir hilft mich wohler zu fühlen. Dabei kommt mir ein Gedanke, bei dem ich kurz die Augen zusammen kneife und ihn wirken lasse, ehe ich ihn tatsächlich zulasse.

„Sag mal Nicci, hast du nicht mal erzählt, dass deine Cousine Friseurin ist?", rufe ich aus dem Bad. „Ja wieso?", kommt es direkt zurück. Ich schaue zurück in den Spiegel und fange an zu grinsen. „Könntest du sie fragen ob sie heute kurzfristig Zeit hat?"

„Ich kann immer noch nicht glauben, dass du das wirklich gemacht hast!", ruft Nicci total aufgeregt und hüpft neben mir auf und ab, während wir uns auf dem Weg ins Stadium machen. „Ich auch nicht", murmele ich vor mich hin und ziehe an einer jetzt doch recht kurzen Haarsträhne. Um uns herum haben tausende von Menschen das gleiche Ziel. Alle lachen und reden durcheinander. So viele unterschiedliche Personen und alle tragen die gleichen Farben: schwarz und gelb.

Winter Song ❄️ Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt