Kapitel 22

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Is love alive?

Winter Song von Sara Bareilles & Ingrid Michaelson

Ich erinnere mich nicht daran, wie ich nach Hause gekommen bin. Der Nebel in meinem Kopf wird immer dichter und legt sich auf alles, was ihm begegnet. Fühlt sich so ein Schock an? Ich weiß es nicht. Denn eigentlich fühle nichts. Absolut gar nichts. Und so sitze ich mit angezogenen Beinen in meinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Bewegen kann ich mich nicht. Ich sitze einfach nur da und starre aus dem Fenster. Lege zwischendurch meinen Kopf auf die Knie und versuche all das zu realisieren. Aber jeder Gedanke, den ich versuche zu fassen, entgleitet mir wieder.

Mein Handy liegt ausgeschaltet neben mir und die Sonne wirft Schatten, die sich auf dem Sofa bewegen. Die Stunden vergehen und ich sitze, als die letzten Sonnenstrahlen verschwinden, immer noch an der selben Stelle. Irgendwann, als es schon längst dunkel ist, lasse ich mich einfach zur Seite fallen und bleibe liegen.

Ich habe Durst, aber will nicht aufstehen und fühle mich als hätte ich Steine im Bauch. Unfassbar viele Steine und alle ziehen mich runter. Halten mich hier...

Irgendwann mitten in der Nacht wird der Durst aber so stark, dass ich mich schwerfällig aufsetze und nach der abgestandenen Wasserflasche vor dem Sofa greife. Bis auf den Kaffee heute morgen habe ich heute noch nichts zu mir genommen und das macht sich jetzt deutlich bemerkbar. Mein Kreislauf spielt für einen Moment verrückt und ich muss kurz innehalten, weil sich alles um mich herum dreht. Als ich mich wieder im Griff habe, trinke ich die Wasserflasche fast vollständig leer und lege mich dann wieder hin.

Am nächsten Morgen werde ich, wie schon gestern, von Sonnenstrahlen auf meinem Gesicht geweckt. Nur das es dieses Mal nicht von einem schönen Gefühl begleitet wird, sondern sich der Knoten in meinem Bauch wieder bemerkbar macht. Irgendwann muss ich dann wohl doch eingeschlafen sein. Ich zwinge mich dazu aufzustehen. So hängen lassen darf ich mich nicht. Genug Selbstmitleid. Genug... von allem. Soviel Gefühl hat Julian gar nicht verdient. Also raffe ich mich auf und gehe mit wackeligen Beinen in die Küche. Mit viel Mühe schaffe ich es, dass ein Kaffee und die Banane drin bleiben. Denk dran Cara: Du willst den Frankfurt Marathon laufen. Dafür musst du essen. Auch wenn mir schon beim Gedanken an etwas Essbares übel wird.

Nach einer Stunde hat sich der Himmel vollkommen zugezogen und sich meiner Stimmung angepasst. In mir drinnen is es immer noch grau und undurchdringlich. Und ich entscheide mich dazu, laufen zu gehen. Ich muss jetzt einfach laufen und meinen Kopf frei bekommen. Der Nebel krallt sich immer noch in meinem Kopf fest und erstickt alles. Ich fühle mich taub und die einzige Möglichkeit, die ich kenne, um das loszuwerden, ist laufen.

Mit meinem Auto fahre ich kurz darauf nach Süden in den Stadtwald Bittermark. So wie ich gerade aussehe, will ich wirklich nicht mitten durch die Stadt laufen. Und dort habe ich zumindest die Chance auf etwas Privatsphäre. Jedenfalls soviel, wie man an einem Sonntagmorgen um halb neun haben kann. Aber dort gibt es ein paar Wege die Querfeldein führen. Dort verirrt sich tatsächlich selten jemand hin. Und einen solchen Weg schlage ich nach der ersten halben Stunde ein.

Meine Füße landen in gleichmäßigem Takt auf dem harten Waldboden. Der Sommer hat ihn ausgetrocknet und auf den dem kleinen, fast unscheinbaren Weg mitten durch die Bäume, wächst nichts mehr. Für andere ist das hier wahrscheinlich gerade mal ein kleiner Trampelpfad, als tatsächlich ein Weg zum Laufen, aber hier bin ich gezwungen mich auf jeden Schritt zu konzentrieren. Ich muss aufpassen, wo ich hintrete. Daher zwinge ich mich quasi dazu, im hier und jetzt zu sein. Ich kann mit den Gedanken nicht abschweifen und ich kann mir auch nicht erlauben, dass der Nebel, den ich in der letzten halben Stunde erfolgreich zurück gedrängt habe, wieder kommt. Die Gefahr sich zu verletzten ist einfach zu groß.

Winter Song ❄️ Julian BrandtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt