Smells like Summer Rain

10. Der Brief

Ich saß nun auf meinem Bett, alleine. Meine Eltern saßen gerade in unserem Garten hinterm Haus und tranken einen Kaffee zusammen. Ich war also ungestört, aber dennoch hatte ich ein wenig Bange davor, den Umschlag zu öffnen. Ich ließ mich frustriert aufs Bett fallen und dachte kurz nach. Wenn ich den Brief jetzt endlich las, werde ich mit der Vergangenheit nun endlich abschließen können, warum zögerte ich also eigentlich noch?

Ich schluckte kurz und dachte mir, jetzt oder nie. Mit zittrigen Händen drehte ich den Umschlag zur mir und öffnete ihn. Dort drinnen befand sich ein Zettel welcher von einem hellblauen Bändchen umwickelt war. Vorsichtig nahm ich es in die Hand und legte es erst einmal zur Seite, das wichtigste war jetzt das Geschriebene.

So kam es dann schließlich dazu, dass ich den Zettel öffnete und anfing ihn nach so vielen Jahren endlich zu lesen.

Lieber Danny,
ich weiß, du kennst Steven noch nicht so lange, aber dennoch finde ich, dass du seine Geschichte hören solltest. Er mag dich wirklich sehr gerne. Jeden Tag wenn er vom Kindergarten kommt, erzählt er mir immer, wie toll er dich findet und dass du ihm jeden Tag ein Lächeln auf die Lippen zauberst.
Weißt du, er hat es nie wirklich leicht gehabt. Seine leiblichen Eltern haben ihn nach seiner Geburt verstoßen. Die genaueren Umstände möchte ich dir nicht erklären. Steven weiß davon, weshalb er immer auf der Suche nach Nähe ist, um sich gewollt zu fühlen. Ich weiß selber, dass dies manchmal sehr anstrengend sein kann, da sein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit sehr groß ist. Ich kann verstehen, dass du damit überfordert bist, auch ich war es anfangs.
Aber sobald man ihn einmal ins Herz geschlossen hat, wirst du ihn nie wieder gehen lassen wollen. Leider werden wir nächste Woche nach Virginia ziehen, weil meine Frau dort eine bessere Arbeit gefunden hat.

Aber Steven wünscht sich so sehr, dass ihr beiden noch einmal was zusammen unternehmt. Schließlich bist du der einzige Freund, den er hat. Frag ihn einfach, was er gerne machen möchte.

Liebe Grüße,
Stevens Vater

Verdammt, was hatte ich nur angerichtet? Ich hatte Stevens Verhalten nie verstanden sondern fühlte mich von diesem belästigt. Wenn ich ihm doch nur wenigstens einmal zugehört und ihm vielleicht sogar eine Chance gegeben hätte, dann wäre das nie passiert. Wenn ich das doch nur gewusst hätte.

Jetzt litt ich nur noch mehr an der Vergangenheit. Aber eine gute Sache, ergab sich doch daraus. Ich hatte das Gefühl, Steven nach dem ich diesen Brief gelesen hatte, besser verstehen zu können. Er wollte sich also damals mit mir treffen, weil er mich als seinen einzigen Freund sah. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie er sich an jenem Tag gefühlt hatte. Als ich ihm mit diesem einen Satz, mitten ins Herz gestochen hatte. Je weiter ich darüber nachdachte, desto mehr bereute ich, meine damalige Naivität.

Ich merkte wie eine kleine Träne, meine Wange hinunter lief. Diese Worte hatten mich echt mitgenommen, ich wusste ja bereits, dass Steven adoptiert wurde, aber das seine Eltern ihn wirklich nicht haben wollten? Aber ich durfte jetzt auf keinen Fall weinen, denn ändern konnte ich es sowieso nicht mehr.

Nur wurde mir auch klar, warum er meine Entschuldigung nicht annehmen wollte, nämlich weil ich mir nicht einmal fünf Minuten Zeit nehmen wollte, um mich mit ihm auseinander zu setzen.

Tja, in diese Scheiße hatte ich mich selber rein geritten, aber eines stand fest. Ich werde mit Steven über diesen Brief reden und mich dann erneut bei ihm entschuldigen, dieses mal aber ernsthaft und aufrichtig. Ich steckte den Zettel wieder in den Umschlag und versteckte ihn in meinem Nachttisch. Die Tränen wischte ich mir weg.

Ich wusste nicht wirklich, wie ich mit meinen Schuldgefühlen umgehen sollte. Steven werde ich Montag erst wieder in der Schule sehen, aber was mache ich nur so lange? Klar könnte ich ihn anrufen, aber ich wollte diese Sache unbedingt persönlich mit ihm besprechen.