4. Konfrontation

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Gemeinsam verließen wir also den Klassenraum, ohne uns dabei auch nur ein einziges Mal ins Gesicht zu schauen. Ich wusste schließlich nicht einmal, was ich nach all den Jahren überhaupt zu ihm sagen sollte. Geschweige denn, ob ich überhaupt ein Gespräch mit ihm anfangen sollte.

Auf mich wirkte der Junge, wie auch damals, sichtlich schüchtern. Immer zu sah er auf den Boden und mied Augenkontakt. Sicher würde er mich niemals von sich aus ansprechen.

'Hach, warum musstest du überhaupt zurückkommen? Und warum ausgerechnet in meine Klasse?'

"Ist irgendwas? Du wirkst irgendwie... nervös?", machte Steven dann schließlich doch den ersten Schritt. Erwartet hatte ich es zwar nicht, aber war ihm dennoch dankbar dafür. Mein Puls fing sofort an zu rasen.

"Nervös? Ich? Gar nicht!", bekam ich nur aus meinem Mund. Meine Stimme klang dabei so trocken. 'Wie kann ich nur so dumm sein und so was sagen?' Er sah mich daraufhin nur skeptisch an und lief einfach weiter, ohne darauf zu reagieren. In dieser Situation war nicht abzusehen, wer von uns beiden sich merkwürdiger dem anderen gegenüber, verhielt.

"Na, wo soll ich dich zuerst hinführen? Zur Turnhalle, zum Schulhof oder zur Mensa?", fragte ich ihn einfach.

"Zum Schulhof", antwortete er stumpf und lief einfach hinter mir her.

"Okay gut", gab ich leise von mir, während ich weiter geradeaus lief. Es musste doch irgendwas geben, was ich tun könnte, um diese Situation aufzulockern.

"Ähm ..., wo hast du eigentlich vorher gelebt. Na ja, du weißt schon, bevor du hierher gekommen bist?", insgeheim verachtete ich Smalltalk, da ich nicht besonders gut darin war.

"Richmond, Virginia", beantwortete er meine Frage und sah weiterhin nur schüchtern auf den Boden. "Wie ist es dort eigentlich so gewesen? Ist es sehr anders als unser Heimatstaat?", fragte ich nach, um ein kleines Gespräch zu beginnen. Erst einen kurzen Moment später realisierte ich, dass ich mich da verplappert hatte.

"Was soll dieser ganze Smalltalk hier eigentlich? Ich weiß doch ganz genau, dass du dich noch an mich erinnerst", äußerte er sich schließlich. Seine Stimme klang dabei eher verzweifelt, anstatt wütend.

"Hör zu Steven, es tut mir wirklich Leid, was ich damals -", ich wollte nun endlich die Gelegenheit nutzen, um mich bei ihm für das, was ich an jenem Tag gesagt hatte, zu entschuldigen, aber er schien es nicht zu wollen.

Bevor ich es aussprechen konnte, fiel er mir ins Wort: "Du musst es nicht aussprechen. Ich brauche weder deine Entschuldigung, noch dein Mitleid", unterbrach er mich und seine Hände fingen an dabei zu zittern.

"Du willst dich doch nur entschuldigen, um dein schlechtes Gewissen loszuwerden", unterstellte er mir dann schließlich.

Dieser Satz brachte mich dann doch ein wenig zum Nachdenken. Wollte ich wirklich nur meine alte Last loswerden und dachte, dass es mit einer Entschuldigung getan wäre?

Nein, der spinnt doch! Da ringe ich mich schon dazu durch, mich bei ihm zu entschuldigen und dann kommt er mir so? Pfff! "Das stimmt doch gar nicht! Du bist derjenige, der sich hier unnötig anstellt, nicht ich. Ich will mich doch nur entschuldigen", warf ich ihm vor. Das hätte ich vielleicht nicht so ausdrücken sollen, denn jetzt hatte ich ihn wirklich wütend gemacht.

"Anstellen? Ich? Weißt du etwa nicht, wie sehr Worte einen Menschen verletzen können?", fragte er mich ernsthaft. Seine Knie fingen an zu zittern und er sah dabei deprimiert auf den Boden.

"So meinte ich das doch gar nicht. Hör mir doch einmal richtig zu", versuchte ich ihn zu beruhigen.

"Nein. Du bist derjenige, der anderen nicht zuhören kann. Du willst immer nur deinen sturen Kopf durchsetzen und trampelst dabei achtlos auf den Gefühlen anderer rum", wagte er mir ernsthaft zu unterstellen.

Smells like Summer RainWo Geschichten leben. Entdecke jetzt