Wie alles begann

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Ehrfürchtig schaute ich zu dem riesigen Schiff empor. Die gewaltige Stahlwand schien sich bis zum Himmel zu strecken. Die vielen Bullaugen glänzten in der Sonne und aus den vier Schornsteinen qualmte schwarzer Rauch. Auf was hatte ich mich da nur eingelassen? Ich stand in Southampton am Pier, von dem in einer halben Stunde die Titanic ablegen sollte. Um mich herum wuselten die Menschen. Kutschen wurden vorgefahren, Koffer gepackt und sich verabschiedet. Ich wurde von der Masse langsam weiter nach vorne geschoben. Von links bohrte sich ein Ellenbogen in meine Rippen und von rechts drängelte sich eine Großfamilie an mir vorbei. Ich musste stark das Bedürfnis unterdrücken, mich nicht umzudrehen und wieder nach Hause zu rennen. Meine Hände schwitzten und mein Herz schlug wie wild in meiner Brust. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand ich endlich am Schiff. Meine Hände zitterten, als ich vorsichtig die schmale Treppe hochstieg. In der rechten Hand hielt ich eine kleine, lederne Reisetasche und mit der linken zog ich einen wuchtigen Koffer hinter mir her. ,,Wieso tragen Sie Ihr Gepäck denn noch bei sich, Miss?'', fragte mich der Offizier, der die Karten kontrollierte stirnrunzelnd. Ertappt schaute ich zu Boden. Ich hätte mein Gepäck abgeben sollen, bevor ich das Schiff betrat, aber ich fand, dass ich es genauso gut selbst in mein Zimmer tragen konnte. Es war nicht besonders schwer und so konnte auch nichts verloren gehen. ,,Ich nehme es Ihnen ab und bringe es später in Ihre Suite'', bot ein weiterer Offizier an. ,,Nein danke. Ich kann es sehr gut selbst tragen'', antwortete ich leise . Der Offizier zog eine Augenbraue hoch, doch er ließ mich passieren. Als ich schon fast die Treppe erreicht hatte, rief er mir hinterher: ,,Miss, sind Sie nicht die Enkelin von Kapitän Smith?'' Ich seufzte kurz, bevor ich mich umdrehte. Es hatte sich also schon unter den Offizieren herum gesprochen. ,,Ja, das bin ich'', antwortete ich knapp. Er nickte kurz, dann wandt er sich wieder den Leuten zu. Ich stieg die Treppe zum Deck hoch, auf dem die Kapitänssuite lag. Ich hätte auch eine luxuriöse Suite in der ersten Klasse haben könne, aber ich hatte mich für ein Apartment neben dem Zimmer meines Großvaters entschieden. Schließlich kam ich größtenteils ihm zuliebe mit. Meine Eltern hatten mich zu dieser Reise überredet. Sie waren der Meinung, dass ich zu wenig von der Welt sah. Außerdem sollte dies die letzte Fahrt meines Großvaters, Kapitän Edward John Smith, werden. Er hatte mir schon oft angeboten mitzukommen, aber bis jetzt hatte ich mich immer aus der Affäre ziehen können. Als kleines Kind war ich einmal mit Freunden in einem Teich schwimmen gegangen. Auf einmal hatte ich etwas Glitschiges an meinem Bein gespürt und ehe ich mich versah, hatte ich mich schon in Algen verheddert. Panisch hatte ich versucht mich zu befreien, wodurch sich die Algen aber immer nur fester um mein Bein gezogen hatten. Am Ende hatte ich mich zwar retten können, aber das Gefühl, dem Wasser so ausgeliefert zu sein, war bis heute geblieben.

Zum Glück hatte ich Zuhause lange die Karte des Schiffes studiert und wusste genau, wo alles war. Ich stellte mein Gepäck vor meiner Tür ab und eilte aufs Deck, um zu sehen wie die Titanic ablegte. An Deck wimmelte es nur so von Leuten. Kein Wölkchen war am Himmel zu sehen und die Sonne strahlte. Die Luft war erfüllt von Aufregung, Freude und auch Trauer, darüber seine Heimat hinter sich zu lassen. Viele Menschen, die mit der Titanic reisten, erhofften sich in Amerika ein besseres Leben. Ich suchte mir eine Stelle weiter am Heck, wo weniger Leute standen und klammerte mich fest an die Reling als das Schiff ablegte. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Die Menschen weiter vorne winkten, lachten und klatschten, als die Titanic ablegte. Als das Schiff sich in Bewegung setzte verschwamm alles vor meinen Augen.

Gib niemals auf - TitanicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt