Lügen haben kurze Beine

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Ich schreckte hoch. ,,Guten Tag, es tut mir leid, ich hab sie gar nicht bemerkt'', stotterte ich. ,,Oh, kein Problem'', erwiderte er, ,,ich wollte sie nicht stören.'' Eine unangenehme Stille entstand. Ich sah ihn fragend an. Was wollt er von mir? Er räusperte sich und schaute verlegen zu Boden. ,,Ich wollte nur mal nach ihnen sehen. Sie saßen hier so alleine und da dachte ich, ich könnte ihnen vielleicht etwas Gesellschaft leisten.'' Ich blickte ihn leicht verwirrt an, bevor ich ihm einen Wink gab sich zu setzen. ,,Haben sie sich an das Schiff gewöhnt?'', fragte er. Ich wurde knallrot. ,,Ja, ich denke schon. Vielen Dank nochmal wegen gestern.'' ,,Keine Ursache. Ich dachte nur als Enkelin des Kapitäns waren sie sicher schon oft auf Schiffen.'' Er sagte dies nicht abschätzig oder witzig sondern eher als Frage und betonte dabei die Worte ,,Enkelin des Kapitäns''. Ich lief rot an. ,,Ehrlich gesagt bin ich zum ersten mal wirklich auf einem Schiff'', gab ich zu. ,,Oh'', er lachte leise auf, ,,dann war ich schon etwas öfter auf See als sie.'' Ich musste grinsen. ,,Ich habe sie noch nicht so oft hier gesehen, wie lange sind sie denn schon Offizier bei der White Star Line?'' ,,Noch nicht so lange, seit ungefähr einem Jahr.'' ,,Dann ist es für sie sicher eine große Ehre auf der Titanic mitzufahren.'' Er nickte. ,,Ja, ich habe mich sehr gefreut. Ihr Großvater ist ein großartiger Kapitän und es macht viel Spaß unter seinem Kommando zu Arbeiten.'' Ich lächelte. ,,Ja, das kann ich mir gut vorstellen.'' ,,Wieso haben sie mir gestern nicht gesagt, dass sie seine Enkelin sind?'' Ich biss mir auf die Lippe. ,,Entschuldige, ich wollte sie nicht anlügen, aber es war mir so furchtbar peinlich. Was denken sie denn jetzt von mir. Ich bin die Enkelin des Kapitäns und kann nicht mal auf einem Schiff stehen.'' ,,Vielen Dank übrigens, dass sie es ihm nicht erzählt haben'', fügte ich noch hinzu. ,,Das war doch selbstverständlich'', erwiderte er mir einem Lächeln. Sein Blick fiel auf mein Zeichenpapier. Ich hatte angefangen einen Sternenhimmel zu malen. Der Hintergrund war in einem kräftigen blau gehalten. In der oberen Hälfte hatte ich mit weißen Pünktchen Sterne angedeutet und in der unteren Hälfte konnte man die Sihoulette von zwei Personen erkennen, einer großen, kräftigen und einer kleineren, zierlicheren. Sie hielten sich eng umschlungen und schienen fast miteinander zu verschmelzen. Eilig legte ich meine Hand über die Zeichnung. ,,Die ist wirklich gut.'' Er blickte auf seine Taschenuhr. ,,Oh, es ist schon spät. Mein Dienst beginnt gleich. Es war sehr angenehm mit ihnen zu reden.'' Er verabschiedete sich schnell und eilte in Richtung Brücke. Verwirrt schaute ich ihm nach. Was wollte dieser Offizier von mir und warum fühlte ich mich in seiner Gegenwart so seltsam? Ich breitete meine Malsachen wieder aus, aber ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Schließlich gab ich es auf und ging entnervt zu meinem Apartment.

Gib niemals auf - TitanicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt