Rettung?

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Als ich erwachte, fand ich mich auf einer schmalen und ungemütlichen Pritsche wieder. Um mich herum hörte ich leises Stimmengewirr, ich schien mich in einem großen Saal zu befinden. Auf einmal prasselten die Erinnerungen auf mich ein – das eiskalte Wasser, die Schreie und die vielen Menschen. Ich fuhr hoch. Mein Atem ging stoßweise. Wo was Harold und wo was Großvater? ,,Miss. Miss.'' Eine Stewardess rüttelte an meinem Arm. Panisch sah ich sie an. ,,Alles ist gut, sie sind hier in Sicherheit. Bitte beruhigen sie sich. Haben sie Angehörige oder sind sie alleine gereist?'' ,,Nein, ich bin zusammen mit meinem Großvater gereist.'' ,,Und wie heißt ihr Großvater?'', fragte sie nun einen Spur ungeduldiger. ,,Edward, Edward John Smith.'' Mitleidig blickte sie mich an. ,,Oh, kennen sie sonst noch jemanden, der hier sein könnte?'' Verständnislos blickte ich sie an. ,,Harold, Harold Lowe'' , stotterte ich. ,,Gut'', murmelte sie bevor sie verschwand. Vorsichtig setzte ich mich auf und schaute mich um. Ich befand mich in einem riesigen Saal, der so ähnlich aussah wie der Dinnerraum der Titanic, bloß nicht ganz so prunkvoll. Überall standen Pritschen und Leute eilten durcheinander. Man hörte gedämpftes Gemurmel und doch lag eine unheimliche Schwere über dem Raum. Reglos blieb ich auf der Bettkante sitzen. Ich nahm nur aus dem Augenwinkel wahr, dass eine Person mit schnellen Schritten auf mich zu eile. Erst als sie direkt vor mir stand blickte ich hoch. Vor mir stand Harold Lowe. Langsam beugte er sich zu mir herunter und zog mich an sich. Wir blieben so gefühlt eine Ewigkeit lang sitzen. ,,Ich hatte so Angst, dich zu verlieren'', hauchte er an mein Ohr. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich fühlte mich leer und ausgelaugt. ,,Können wir ans Deck gehen?'', fragte ich. Er schob mich ein Stück von sich weg und musterte mich prüfend. ,,Natürlich.'' Er half mir hoch und wir schlängelten uns an den Pritschen vorbei nach draußen. Auf dem Deck sog ich tief die frische Luft ein. ,,Ist alles in Ordnung mit dir?'' Harold blickte mich forschend von der Seite an. Mein Blick war starr geradeaus gerichtet, ich spürte nichts als Leere, keine Emotionen einfach nichts. ,,Ist Großvater auch hier?'', fragte ich mit leiser Stimme. Mein Verstand sagte mir, das es sehr unwahrscheinlich war, dass er überlebt hatte aber ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Noch nicht, ich war noch nicht bereit loszulassen. Harold legte mir einen Arm um die Taille und zog mich näher zu sich heran. ,,Bitte sag es mir'', flehte ich. Er schüttelte stumm mit dem Kopf. Eine Träne kullerte mir die Wange herunter und der Boden schien unter meinen Füßen nachzugeben. ,,Vielleicht finden sie ihn noch'', flüsterte ich mit bebender Stimme.,,Sie werden ihn finden. Vielleicht ist er auch in einem anderen Rettungsboot, das erst später ankommt oder er ist schon hier irgendwo auf dem Schiff oder....'' ,,Sieh mich an!'', unterbrach Harold mich. Ich wich seinem Blick aus, ich konnte die Wahrheit nicht ertragen. Mein ganzer Körper zitterte und es war, als würde die Welt stillstehen. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und drehte es zu sich. ,,Hör mir zu. Er hätte nicht gewollt, dass du aufgibst und du hast es versprochen. Irgendwann wird der Schmerz weniger werden, aber Edda. Bitte hör niemals auf zu kämpfen, das hätte er nicht gewollt.'' Ich blickte in seine schokoladenbraunen Augen, die nichts außer Liebe ausstrahlten. ,,Bitte geh jetzt'', flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme, Er warf mir einen besorgten Blick zu, bevor er sich vorsichtig zurückzog. Ich fühlte mich schwer und todmüde. In einer Ecke auf dem Deck ließ ich mich nieder. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die harte Wand und blieb reglos auf dem kalten Holzboden sitzen. Der Himmel hatte sich verdunkelt und es fing an zu schütten. Schnell war mein Kleid völlig durchnässt und klebte ekelig an meinem Körper. Die Tränen liefen in Strömen über mein Gesicht und vor meinen Augen verschwamm alles zu einer matschgrauen Masse. Ich konnte nicht klar denken. Mein Herz fühlte sich an, als würde es in 1000 Stücke zerrissen werden. Ich vergrub den Kopf in meinen Armen. Wie sollte ich nur weiter machen? Ich hörte Schritte näher kommen und drückte mich enger in die Nische. Mein Körper wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt und auf meinen Armen hatte sich eine Gänsehaut gebildet. Der Regen prasselte immer heftiger auf mich herab. Die Schritte entfernten sich. Jetzt war ich die einzige Person auf dem Deck. Langsam stand ich auf. Meine Füße waren bleischwer und ich musste aufpassen, um auf dem nassen Boden nicht auszurutschen. Ich wusste, wenn ich einmal liegen würde, wäre ich nicht mehr in der Lage aufzustehen. Ich warf einen sehnsüchtigen Blick auf das Meer. Die weiße Gischt schäumte wild und die Wellen waren so hoch wie Wolkenkratzer. Irgendwo dort unten lag er nun. Bei diesem Gedanken zog sich alles in meiner Brust zusammen. Vielleicht sollte ich auch einfach springen. Ich fröstelte. Ein eisiger Wind schnitt in meine tropfnasse Kleidung, während ich mich langsam der Reling näherte. Meine Hände umfassten das glatte Metall. Entschlossen strich ich mir zwei Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ich hatte einen Endschluss gefasst.

Gib niemals auf - TitanicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt