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Einzelne Sonnenstrahlen fallen durch die hellen Vorhänge und tauchen mein Schlafzimmer in ein warmes Licht. Blinzelnd versuche ich die Uhrzeit auf meinem Wecker zu erkennen.
Genau in diesem Moment erklingt der Weckton und seufzend stelle ich ihn ab. Verschlafen schäle ich mich aus meiner warmen Bettdecke und schlurfe ins Bad.
Nach einer erfrischenden Dusche fühle ich mich gleich viel besser, ziehe mich schnell an und gehe in die Küche, um Kaffee zu kochen.
„Morgen", erklingt die verschlafene Stimme meines besten Freundes und Mitbewohners Jayden in der Küchentür.
„Guten Morgen, Schlafmütze. Kaffee?", frage ich ihn grinsend. Er nickt, fährt sich einmal durch seine kinnlangen dunkelbraunen Haare und während er in Richtung Bad schlurft, kann ich ihn etwas von „So gute Laune am Montag Morgen ist doch nicht normal!" murmeln hören.
Ich decke den Frühstückstisch und stelle die dampfenden Tassen dazu.
Kurz nachdem ich mich an den Tisch gesetzt und mir ein Marmeladenbrot geschmiert habe, kommt Jayden dazu.
„Wann musst du heute anfangen?", er sieht mich deutlich wacher an.
„Erst um 13Uhr. Marko hat sich schon über meine ganzen Überstunden beschwert!", lache ich.
„Ach quatsch, der ist froh, dass er eine so tolle Sekretärin Schrägstrich Assistentin hat. Ohne dich wäre er doch komplett aufgeschmissen.", stimmt Jay mit ein.
„Und wie sieht es mit dir aus?"
„Ich werde auch von allen geliebt und stets gebraucht.", grinst er und seine blauen Augen, die einen Tick dunkler sind, als meine Eigenen, funkeln vergnügt.
„Du weißt was ich meine!", ich schüttle lachend den Kopf.
„Also ich hab heute frei.", triumphierend beißt er in sein Brötchen.
Ich stöhne genervt: „Das ist so unfair. Ich hätte auch Koch werden sollen."
„Pah, ohne meine Nachhilfe könntest du immer noch nur die einfachsten Gerichte zubereiten.", sagt Jay lachend.
Gespielt beleidigt äffe ich ihn nach und strecke ihm die Zunge raus.
Nach einem Blick auf die Uhr stehe ich schweren Herzens auf und verabschiede mich mit einem „Ich muss jetzt mal los. Vor der Arbeit darf ich nämlich noch die Farben kaufen, die du zum Streichen wolltest! Wegen dir, Faulpelz, muss ich mich dann beeilen zur Arbeit zu kommen. Ich werde nämlich gebraucht und bin schwer zu ersetzen, im Gegensatz zu dir. Ich hoffe du machst dich währenddessen nützlich. Die Wohnung könnte mal wieder gesaugt werden und kochen könntest du ja auch."
Mit einem koketten Augenaufschlag drehe ich mich um, hole meine Tasche und öffne die Wohnungstür. „Bis später, Darling.", rufe ich Jay noch zu und schließe schnell die Tür hinter mir. Kichernd springe ich die Treppenstufen runter und halte der älteren Nachbarin Frau Gerald die Eingangstür auf.
„Na du bist aber gut gelaunt heute.", lächelt Frau Gerald. Ein erfreuter Ausdruck tritt auf ihr Gesicht.
„Es ist doch auch ein herrlicher Morgen.", ich deute auf die Sonne, die schon jetzt einen warmen Tag verspricht.
Auf dem Weg zu meinem Auto genieße ich die Sonnenstrahlen und atme tief die frische Luft ein. Genau deswegen wollte ich etwas ländlicher wohnen, dafür nehme ich auch gerne 20 Minuten mehr Fahrtzeit auf mich.
Jay, der die Vorliebe für Natur und ländlichen Charme mit mir teilt, hatte sich schon vor drei Jahren die Wohnung in Carboa gemietet und als ich vor zwei Jahren verzweifelt vor seiner Tür stand, wurde aus einer vorübergehenden Bleibe eine Wohngemeinschaft.
Noch heute bin ich ihm mehr als dankbar für alles, was er für mich getan hat und ich habe es nie bereut mit ihm zusammen zu leben.

***

Im Baumarkt entscheide ich mich mit einem Blick auf die riesige Farbauswahl sofort dafür einen Mitarbeiter anzusprechen und hoffe, dass er mir dabei helfen kann.
Der Einzige, den ich weit und breit entdecken kann, zieht mich schon von Weitem mit seinen Blicken aus und ich stöhne innerlich genervt auf.
Mit einem Macholächeln auf den Lippen fährt er sich durch sein gegeltes Haar und denkt scheinbar, dass diese Geste ihn unwiderstehlich macht.
Auch wenn mich sein offensichtliches Interesse stört versuche ich freundlich zu sein.
Kurz erkläre ich ihm, dass ich vorhabe den Flur und das Wohnzimmer meiner Wohnung zu streichen. Er zeigt mir ein paar rosa und lila Farben und versucht mich davon zu überzeugen, dass die Farben total modern sind und perfekt in einen Frauenhaushalt passen.
Als mir sein Getue wirklich auf die Nerven geht erkläre ich ihm, dass ich mit meinem Freund zusammenwohne. Jay ist zwar nicht "mein" Freund, aber diese Notlüge verfehlt seine Wirkung nicht.
Der, eben noch überfreundliche, Baumarktmitarbeiter wirkt plötzlich uninteressiert und genervt. Wenigstens hört er auf zu flirten. Er zeigt mir noch ein paar Farben, die laut ihm sehr beliebt sind und ich entscheide mich schließlich für ein Hellgrün für das Wohnzimmer. Im Flur möchte ich lieber eine Tapete und nachdem er auch hier lieblos ein paar Muster aus dem Regal zieht deute ich auf eine halbhohe, bunt gestreifte Tapetenrolle. Er hilft mir noch die richtige Menge an Farbe und Tapetenrollen zu finden und schließlich bezahle ich an der Kasse und schleppe die Einkäufe zu meinem Auto.
Erschöpft mache ich mich auf den Weg zur Arbeit.

***

Als sich die Fahrstuhltür zu meinem Büro öffnet, steht Marko, mein Chef, schon nervös zappelnd vor meinem Schreibtisch.
Er ist 60, normal groß und hat graue kurze Haare. Mit dem kleinen Wohlfühlbäuchlein und den warmen braunen Knopfaugen erinnert er an einen Teddybären.
„Amanda, Gott sei Dank. Ich brauche unbedingt deine Hilfe...", ruft er erleichtert, als er mich entdeckt und schneller als ich gucken kann bin ich schon mitten drin in neuen Aufträgen.
Ich verbringe den ganzen Nachmittag damit allerlei Termine zu planen und mir Kundenwünsche zu notieren.
„Amanda Thompson, was machst du noch hier?!", reißt mich Marko irgendwann verärgert aus meiner Arbeit und ich zucke erschrocken zusammen.
„Du hast seit über 30Minuten Feierabend! Wie willst du denn deine ganzen Überstunden abarbeiten, wenn du nicht mal selber merkst wann du Feierabend hast und dann wieder länger bleibst?!", vorwurfsvoll sieht er mich an.
„Ok ok, ich bin eh gerade fertig. Wir sehen uns morgen.", sage ich und fahre meinen Laptop herunter. Zufrieden nickt er und verabschiedet sich im Gehen von mir.
Kopfschüttelnd sehe ich ihm hinterher und schnappe mir schließlich meine Tasche.
Im Fahrstuhl lehne ich mich an die Wand und schließe für einen kurzen Moment müde meine Augen.
Seufzend öffne ich sie wieder als das "Pling" des Fahrstuhls ertönt und sich die Türen öffnen.
Ich lasse mich auf den Fahrersitz meines Auto fallen und beeile mich nach Hause zu kommen.

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