Jays Wecker reißt mich aus dem Schlaf. Ich stöhne auf, denn ich hätte eindeutig noch ein paar Stunden gebrauchen können.
„Jaaaay", quengle ich, als es immer weiter klingelt. Ich kann ein Grummeln hören und kurz darauf schlägt Jay verschlafen nach dem Wecker.
Bevor ich aufstehe und ins Bad schlurfe, gebe ich Jay noch einen Kuss auf die stoppelige Wange.
Erst in der Küche sehe ich ihn wieder. Er macht mir gerade ein Marmeladenbrot und ich trinke erstmal einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.
„Ich mach dir sogar schon dein Frühstück. Da musst du mir nicht auch noch den Kaffee wegtrinken.", schimpft er.
„Die Frau, die dich später abkriegt, wird dein Hausfrauenqualitäten lieben.", grinse ich und schnappe mir das Brot, um genüsslich hineinzubeißen.
„Hast du dich schon entschieden, ob du zur Taufe fährst?", fragt Jay vorsichtig. Sofort verschlechtert sich meine Laune.
„Nein."
„Amy, du kannst nicht ewig weglaufen. Liliana ist deine Nichte und Dan dein Bruder! Wenn du ehrlich bist, würdest du dir von Dan in dieser Situation auch wünschen, dass er kommt.", versucht er mich zu überreden. Ich habe keine Lust auf eine weitere Diskussion und nicke einfach.
„Wir werden darüber nachher nochmal sprechen. Du musst jetzt los, die Arbeit ruft."
Mit einem Blick auf die Uhr sehe ich, dass er Recht hat und springe auf.***
Ich beeile mich zur Arbeit zu kommen und bin auch gerade noch rechtzeitig da.
Heute muss ich eine Präsentation vorbereiten und ich verbringe den ganzen Tag damit. Zwischendurch lenken mich allerhand Telefonate und Kundenwünsche davon ab und irgendwann bin ich wirklich gestresst. Und davon werde ich aggressiv.
„So eine Scheiße!", fluche ich, als auch zum wiederholten Male nichts klappt, wie es soll.
„Amanda, ganz ruhig. Kann ich dir behilflich sein?", fragt Marko freundlich und kann mir tatsächlich weiterhelfen.
„Na siehst du, war doch gar nicht so schwer. Ich glaube, der Urlaub ab nächster Woche wird dir gut tun.", lächelt er.
„Danke, ich hoffe doch, dass mir ein wenig Entspannung hilft.", seufze ich.
„Komm, Amanda, geh nach Hause. Den Rest schaffen wir noch morgen vor der Präsentation. Ruh dich aus, dann kann nichts schief gehen.", beschließt mein Chef gutmütig und ich nicke dankbar.***
Also sitze ich kurz darauf erschöpft im Auto. Zu Hause angekommen freut sich Jay über mein verfrühtes Auftauchen und wir essen wieder gemütlich zusammen.
„Dan hat vorhin angerufen. Er wartet auf deinen Rückruf.", erzählt Jay, als wir den Geschirrspüler einräumen.
Was soll ich davon halten? Ich freue mich, mal wieder mit meinem Bruder zu telefonieren, aber ich weiß auch, dass er mich überreden will zu kommen.
Schließlich greife ich nach dem Telefon und setzte mich neben Jay auf das Sofa. Ich brauche jetzt seine mentale Unterstützung.
Während er sich also leise irgendeine Sendung ansieht, wähle ich mit zitternden Fingern die Nummer meines Bruders.
„Josephine Thompson", erklingt die Stimme seiner Freundin.
„Hey Josy, hier ist Amy. Kannst du mir bitte Dan geben?", frage ich schüchtern.
„Amy! Es ist schön deine Stimme mal wieder zu hören. Dan wartet schon ganz ungeduldig auf deinen Anruf. Moment, ich ruf ihn eben.", sagt sie erfreut. Ich atme tief durch.
„Daniel Thompson", höre ich die tiefe Stimme meines Bruders am Telefon.
„Dan, ich bin's, Amy. Jay hat gesagt, du hättest vorhin angerufen.", erkläre ich.
„Ich hab dich vermisst, kleine Schwester. Ja, ich wollte etwas mit dir besprechen. Hast du die Einladung zur Taufe bekommen?", fragt er.
„Ja, hab ich.", antworte ich und seufze innerlich. Hab ich es mir doch gedacht.
„Amy, wir möchten, dass du früher kommst. Du würdest uns einen großen Gefallen tun, wir brauchen Hilfe bei den Vorbereitungen. Und wir wollen dich als Patentante.", eröffnet er mir.
Ich schnappe nach Luft.
„Ich...Ich fühle mich geehrt, aber...aber was heißt...früher?", stammle ich.
„Jay hat mir gesagt, dass du nächste Woche Urlaub hast. Also könntest du doch Montag kommen. Dad würde sich auch freuen. Und Josy hofft auch darauf, dass du kommst.", sagt Dan. Ich werfe Jay einen bösen Blick zu.
„Dan, ich weiß nicht. Es gibt soviel zu tun. Wir wollten die Wohnung streichen und außerdem mit Freunden ausgehen...", versuche ich abzuwehren.
„Amy, sind dir diese Dinge wichtiger als deine eigene Familie? Wann hast du Lilly das letzte mal gesehen? Vor vier Monaten?", appelliert Dan an mein schlechtes Gewissen. Er weiß genau, dass ich nicht damit umgehen kann, wenn jemand sauer auf mich ist. Schließlich gebe ich mir einen Ruck.
„Ich weiß...Okay, dann komme ich Montag.", sage ich und habe das Gefühl, dass ich diese Entscheidung noch bereuen werde.
„Und Jay kommt auch mit. Er freut sich schon sehr darauf euch zu sehen.", füge ich noch schnell hinzu. Jay dreht ruckartig seinen Kopf zu mir und sieht mich entgeistert an. Ich bespreche noch kurz die Einzelheiten mit Dan und lege dann auf.
„Warum soll ich denn jetzt mitkommen?", will Jay verärgert wissen.
„Erstens, mein lieber Jay, hast du meinem Bruder von meinem Urlaub erzählt und zweitens brauche ich dich da. Alleine gehe ich unter. Dan und Josy freuen sich auch dich mal wiederzusehen.", erkläre ich ihm. Er seufzt und wendet sich wieder dem Fernseher zu.
Ich bin wirklich froh, dass Jay mitkommt. Mit ihm fühle ich mich um einiges sicherer, aber vor den Erinnerungen kann auch er mich nicht schützen.

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Heimatlos
RomanceEndlich läuft Amys Leben wieder in geregelten Bahnen. Sie ist glücklich. Doch ihre vermeintlich heile Welt gerät ins Wanken, als sie für eine Woche in ihre Heimat zurückkehren soll. Sie ist gezwungen sich alten Bekannten zu stellen. Tommy und Will b...