Es ist Montag Morgen und ich war in meinem Leben noch nie so aufgeregt. Ich war schon früh wach und habe mir erst einmal ein ausgedehntes Bad gegönnt.
Beim Frühstück konnte ich nur ein halbes Brötchen runter würgen und das auch nur, weil Jay mich gezwungen hat.
„Jaaaaay!", schreie ich durch die Wohnung und Sekunden später steht er im Türrahmen meines Schlafzimmers.
„Was ist los?", fragt er besorgt und ich deute auf meinen Kleiderschrank.
„Ich weiß nicht was ich anziehen soll.", beklage ich mich.
„Frauen! Du schreist das ganze Haus zusammen, weil du nicht weißt, welches von deinen hundert Oberteilen du anziehen sollst?!", fragt er kopfschüttelnd. „Zieh etwas bequemes an, wir werden lange fliegen. Eine Jogginghose und ein Shirt reichen vollkommen. Ich hab dich schon ganz anders gesehen.", sagt er zwinkernd und ich werfe ihm ein Shirt hinterher.
Aber letztendlich höre ich auf ihn und ziehe eine graue weite Jogginghose an und ein schlichtes rotes T-Shirt.
Mein Koffer ist fast fertig und ich schmeiße noch zwei Kostüme und einen Kulturbeutel dazu.
Unsere Kleidung für die Taufe wollen Jay und ich erst in Mitara kaufen.
Mit dem Koffer und einer Umhängetasche trete ich in den Flur und ziehe meine Turnschuhe und Kapuzenjacke an.
Auch Jay kommt mit seinem Koffer in den Flur. Er trägt ebenfalls eine Jogginghose und einen schwarzen Kapuzenpulli.
Einen Rucksack hängt über seiner Schulter.
„Bereit?", fragt er mich und ich nicke zögerlich. Ich nehme ihm seinen Rucksack ab und er trägt unsere beiden Koffer.***
In einem Taxi fahren wir zum Flughafen und nachdem wir unser Gepäck aufgegeben haben, machen wir uns auf den Weg zur Sicherheitskontrolle.
Die Schlange, die sich mittlerweile gebildet hat, wird immer länger und es geht nur langsam voran.
Doch auch das bringen Jay und ich ohne Zwischenfälle hinter uns.
Da wir noch etwas Zeit haben, bis wir ins Flugzeug müssen, beschließen wir ein wenig Bummeln zu gehen.
Gemeinsam schlendern wir an den Schaufenstern vorbei, bleiben hier und da stehen, um uns Etwas genauer anzusehen und entscheiden schließlich, dass wir Pete, Dan, Josy und Lilly eine Kleinigkeit mitbringen müssen.
Jay macht sich auf die Suche nach den passenden Mitbringseln für meinen Vater und meinen Bruder, während ich erstmal weiter schlendere. In einem Schaufenster entdecke ich schließlich eine wunderschöne silberne Kette mit einem Engelsflügel. In der oberen rechten Ecke befindet sich ein kleiner blauer Edelstein.
Ich kaufe diese Kette einmal in der normalen Größe und bitte den Verkäufer dann, einen weiteren Anhänger an eine silberne Kinderkette zu hängen.
Um ein kleines Vermögen ärmer, aber definitiv zufrieden verlasse ich den Laden und mache mich auf die Suche nach Jay.
Für meinen Dad hat er einen goldenen Kugelschreiber gefunden, in den er seinen Namen eingravieren lässt. Mein Bruder bekommt von uns eine Box mit verschiedenen Whiskeysorten, denn schon früher war Dan überzeugt, dass jeder, der ein "echter Mann" sein will, Whiskey trinken muss.***
Nach unserer Shoppingtour lassen wir uns auf die Sitze in der Wartehalle sinken und Jay versucht mich mit allerlei Geschichten von meiner Nervosität abzulenken.
Aber als wir schließlich im Flieger sitzen würde ich am liebsten sofort wieder aussteigen. Zum wiederholten Male frage ich mich, wie dumm ich gewesen bin zuzusagen. Ich kann mich nicht erinnern, welcher Teufel mich in dem Moment geritten hat, aber ich könnte vor Verzweiflung heulen.
Der Flug von Carboa nach Mitara dauert 6 Stunden, also habe ich genug Zeit über alle möglichen Horrorszenarien mit den zwei Menschen nachzudenken, die ich am meisten hasse.
Früher hast du sie über alles geliebt, erinnert mich meine innere Stimme. Aber an einem Tag ist aus dieser Liebe mit einem Schlag purer Hass geworden. Aber nicht nur Hass auf die beiden. Auch Hass auf Andere, die anscheinend etwas bemerkten, mir aber nur mitleidige Blicke zugeworfen haben und mich ansonsten im Dunkeln haben tappen lassen. Und auch Hass auf mich selbst, weil ich so naiv und dumm war. Weil ich mich, das erste Mal in meinem Leben, nicht auf meinen Instinkt verlassen habe. Weil ich zugelassen habe, dass aus mir ein Opfer geworden ist.
Doch es sind drei Jahre vergangen und mit Jays Hilfe ist aus dem bemitleidenswerten Opfer wieder eine starke selbstbewusste Frau geworden.
Ich sehe zu Jay rüber und muss lächeln. Ohne ihn wäre ich daran zugrunde gegangen. Er ist der wichtigste Mensch in meinem Leben und ich hoffe ihm alles, was er für mich getan hat, irgendwann zurückgeben zu können.
Als hätte er meine Gedanken gehört, wendet er seinen Kopf zu mir und lächelt mich an. Er legt einen Arm um meine Schulter und seufzend lege ich meinen Kopf auf seine Schulter.
„Danke.", flüstere ich. Mehr brauche ich nicht zu sagen, denn er weiß genau was ich meine und drückt mir einen liebevollen Kuss auf die Stirn.***
„Aufwachen, Schlafmütze. Wir sind gleich da.", weckt mich Jay. Blinzelnd öffne ich meine Augen und muss mich erst einmal orientieren. Ich habe gar nicht bemerkt, wie ich eingeschlafen bin, aber die Erholung hat mir nach der letzten schlaflosen Nacht gefehlt.
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Heimatlos
RomanceEndlich läuft Amys Leben wieder in geregelten Bahnen. Sie ist glücklich. Doch ihre vermeintlich heile Welt gerät ins Wanken, als sie für eine Woche in ihre Heimat zurückkehren soll. Sie ist gezwungen sich alten Bekannten zu stellen. Tommy und Will b...