3.

352 21 4
                                    

Das ist Jay ^
--------
Ich drehe mich vor dem Spiegel hin und her. Aus meinem Schrank habe ich eine Jeans, ein weißes T-Shirt und eine leichte braune Lederjacke gezogen. Mein Make up habe ich nur so weit aufgefrischt, dass man mir nicht ansieht, dass ich geweint habe. Meine glatten hellbraunen Haare fallen mir weich über den Rücken bis zu meiner Taille.
Als ich aus meinem Zimmer komme stehen die Farbeimer und Tapetenrollen im Flur. Die hätte ich beinahe vergessen, aber gut, dass Jay sie schon geholt hat.
Ich gehe ein paar Schritte weiter und kann ihn sehen, wie er gerade erfolglos versucht das Stromkabel aus den Staubsauger zu ziehen. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Genau in dem Moment sieht Jay auf und bemerkt mich. Ein kleines erleichtertes Lächeln tritt auf sein Gesicht.
„Kannst du mir bitte helfen?", fragt er verzweifelt.
Ich gehe auf ihn zu und mache ihm kopfschüttelnd den Staubsauger an.
„Bei dir sieht das so leicht aus, aber bei mir funktioniert nichts. Der Staubsauger macht nie das was ich will!", beschwert Jay sich.
Ich lache und deute auf meine Armbanduhr, um ihm zu zeigen, dass wir uns beeilen müssen.
Im Flur ziehe ich mir meine Ballerinas an und verstaue Handy, Schlüssel und Portemonnaie in einer Umhängetasche.
Kurze Zeit später ist Jay fertig und zieht sich seine Turnschuhe an.
Auch er trägt eine Jeans und ein einfarbiges T-Shirt. Dieses lässt seinen muskulösen Oberkörper erahnen.
Gemeinsam laufen wir die Treppe runter und klingeln eine Etage tiefer bei R. Emery.
„Hey ihr Beiden", begrüßt Rob uns sofort nachdem er die Tür geöffnet hat.
Er hat blonde Locken, die ihm ein jugendliches Aussehen verleihen und, wie Jay, einen Dreitagebart. Seine Augen sind hellbraun und er ist zwar nicht so muskulös wie mein bester Freund, aber schon trainiert.
Jay und er machen einen Handschlag und danach zieht Rob mich in eine Umarmung, die meiner Meinung nach einen Moment zu lange dauert.
Über seine Schulter kann ich Jay sehen, der mir eindeutige Blicke zu wirft. Ich verdrehe kurz meine Augen und dann lässt Rob mich auch schon wieder los.
Zu dritt steigen wir in seinen BMW, auf den er mächtig stolz ist. Er ist Architekt und hat seine ersten Gehälter für das Auto gespart.
Wir unterhalten uns über alles mögliche und kommen gut gelaunt am Kino an.
Wir besorgen die Tickets, Popcorn und Cola und gehen damit in den Kinosaal.
Ich sitze zwischen Jay und Rob und kann während des Filmes nicht aufhören zu lachen.
Das liegt zum einen an der wirklich amüsanten Komödie, die wir ausgesucht haben, aber auch an den witzigen Kommentaren meiner beiden Begleiter.
Plötzlich spüre ich, wie Rob den Arm um mich legt und mich näher zu sich zieht.
„Du bist wunderschön, wenn du lachst!", flüstert er mir ins Ohr.
Was war das denn? Wie kann er das sehen, es ist stockdunkel hier?
Irritiert beschließe ich vorerst nichts zu sagen. Eigentlich finde ich seine Berührungen auch nicht wirklich unangenehm. Er hat schon öfter den Arm um mich gelegt, mir ins Ohr geflüstert, einen Kuss auf die Wange oder Stirn gegeben... Aber das war alles freundschaftlich gemeint.
Vielleicht hat Jay ja doch Recht, überlege ich.
Ab dem Zeitpunkt fällt es mir zunehmend schwerer mich auf den Film zu konzentrieren.
Als das Licht wieder angeht und alle aufstehen und aus dem Saal strömen, atme ich erleichtert aus.
Aber das Schicksal meint es heute nicht gut mit mir, denn Jay will unbedingt aufs Klo und ich stehe alleine mit Rob vor dem Kino. Nervös spiele ich mit meinen Händen.
Rob legt zwei Finger unter mein Kinn und zwingt mich somit ihn anzusehen. Er lächelt und reflexartig lächle ich zurück. Doch er scheint dieses Lächeln völlig falsch zu verstehen, denn er lehnt sich vor und küsst mich unvermittelt.
Ich bin so überrumpelt, dass ich erst einmal nicht reagiere. Er ist auch wirklich kein schlechter Küsser, aber als mir die Situation bewusst wird, schiebe ich ihn sanft aber bestimmt von mir.
Rob scheint das jedoch nicht mal zu bemerken, denn er strahlt mich glücklich an.
„Amy, würdest du am Samstag mit mir ausgehen?", fragt er plötzlich.
„Ähm...also...äh", stottere ich. Nein! Sag einfach nein!, schreit meine innere Stimme.
Doch ich sehe das hoffnungsvolle Funkeln in seinen braunen Augen.
„Okay...", sage ich schließlich zögernd, während ich in Gedanken meinen Kopf gegen eine Wand donnere. Warum hab ich nicht einfach abgelehnt?!
Aber jetzt ist es eh zu spät und Rob sieht aus als würde er vor Glück platzen.
Naja, so schlecht hast du es mit ihm ja nicht getroffen: Er ist attraktiv, erfolgreicher Architekt und wirklich nett, versuche ich mir einzureden. Nett ist die kleine Schwester von Scheiße!, sagt meine innere Stimme und ich seufze gequält.
In dem Moment kommt auch Jay wieder und wir fahren nach Hause. Vor Robs Haustür bleibe ich nervös stehen. Hoffentlich küsst er mich nicht wieder! Jay würde mich auslachen, denke ich verzweifelt. Doch Rob gibt mir nur einen Kuss auf die Wange und flüstert mir ins Ohr: „Ich hol dich Samstag um 20:00Uhr ab und dann gehen wir Essen, also zieh dir was Schickes an."
Leicht nicke ich und gehe schon die Treppe rauf.
„Alles klar?", fragt Jay mich, als er hinter mir zum Stehen kommt, während ich die Wohnungstür aufschließe.
Als wir in Flur stehen, drehe ich mich verzweifelt zu ihm um.
„Warte, ich glaub das dauert länger. Wir machen uns jetzt erstmal fertig und dann kommst du gleich in mein Bett und erzählst mir alles. Du hast schon lange nicht mehr in meinem Bett geschlafen.", er zwinkert mir verführerisch zu und obwohl ich gerade ziemlich verzweifelt bin, muss ich grinsen.
Jay und ich waren vor zwei Jahren ein Paar, doch schon nach einem Monat hatten wir festgestellt, dass wir nur tiefere Freundschaft füreinander empfinden und so hatten wir unsere, in den letzten Jahren wirklich tolle, Freundschaft nicht zerstören wollen.
Er hatte sich damals so fürsorglich um mich gekümmert, als es mir schlecht ging, sodass wir unsere Gefühle fälschlicherweise für Liebe gehalten haben.
Wie Jay es vorgeschlagen hat, machen wir uns beide erstmal fertig und keine zwanzig Minuten später schlüpfe ich zu Jay unter die Bettdecke. Er sieht mich abwartend an und seufzend erzähle ich ihm was passiert ist.
„Er hat dich echt geküsst? Der hat es aber eilig. Aber aus der Nummer mit dem Date kommst du wohl nicht mehr raus. Das heißt jedoch nicht, dass du alles mit dir machen lassen musst. Ihr könnt doch einfach essen gehen und wenn er dir zu Nahe kommt, sagst du ihm klipp und klar, dass du das nicht willst.", rät er mir.
„Wahrscheinlich ist das am besten!", stimme ich ihm zu.
„So, ich denke, dass war genug Aufregung für einen Tag. Denk nochmal darüber nach, ob du nicht doch zur Taufe deiner Nichte möchtest.", er gibt mir einen Kuss auf den Kopf und erschöpft kuschle ich mich an ihn.
„Okay", flüstere ich, bevor ich einschlafe.

***

„Nein, lass mich!", schreie ich. Blitzartig werde ich aus meinem Albtraum gerissen. Mein Atem geht schnell und hektisch, die Tränen rinnen unaufhörlich meine Wangen hinab.
„Hey Süße, ganz ruhig. Ich bin da. Alles wird gut. Ich bin immer da.", höre ich Jay wie ein Mantra wiederholen. Er hält mich im Arm und streicht mir beruhigend über den Rücken.
Eigentlich haben die Albträume schon vor einem halben Jahr aufgehört. Doch mit den Erinnerungen sind natürlich auch sie wieder da.
Mir schießen die Bilder von ihm in den Kopf. Und dann von ihr. Mal sehe ich sie einzeln, mal zusammen. Der Verrat sitzt noch immer so unglaublich tief.
Und noch ein Gefühl ist wieder aufgetaucht. Die Einsamkeit, die ich dachte erfolgreich verdrängt zu haben. Doch jetzt kommt sie mit einem Schlag zurück und ich kuschele mich verzweifelt näher an Jay.
Erschöpft schlafe ich irgendwann eng an ihn geschmiegt ein.

HeimatlosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt