How broken hearts break

19.

Leandro spricht nicht mehr über seinen Zusammenbruch, nachdem er auf mir eingeschlafen ist. Wir fahren am Morgen zu mir, holen meine Schulsachen und ein paar Klamotten und fahren dann zur Schule. 
Leo sieht ausnahmsweise mal nicht gut aus, als sie aus Jens Wagen steigt. Ihre Haare hat sie in einem unordentlichen Knoten auf dem Kopf und sie trägt eine Jogginghose kombiniert mit, einem meiner Shirts wenn ich richtig sehe. Maxi kommt kurz hinter ihr auf den Hof gelaufen und sieht echt zwiegespalten aus. Er hadert mit sich selbst bevor er mir ein Nicken zuwirft und sich dann an Leos Fersen heftet. Ich habe gerade zu ende geraucht, da kommt Jens um die Ecke. 
Scheinbar geht es uns allen dreien an die Nieren, denn auch er sieht aus als hätte man ihn überfahren. 

Da die Abschlussprüfungen bevorstehen wiederholen wir aktuell nur alles in den Fächern. Da ich im Deutsch Leistungskurs ziemlich gut bin, bin ich schnell mit meinem Zeug fertig. Die Lehrerin kritzelt in Ihrer unfassbar schäbigen Schrift auf der Tafel herum und stellt wie immer keine wirklich schweren fragen. Da Jens ein Schuljahr wiederholt hat werden wir dieses Jahr zusammen fertig. Jens will danach studieren und ich hänge wieder mit genau der selben Frage fest wie auch schon nach meinem Realschulabschluss. Was will ich hiernach machen?
Genervt lasse ich meinen Kopf nach hinten fallen und rutsche ein wenig auf dem unbequemen Schulstuhl umher. 

Lenny fängt mich nach der letzten Stunde vor meinem Kursraum ab und schlendert dann Händchenhaltend mit mir aus der Schule. Wir kassieren ein paar blöde Seitenblicke, aber die sind auch sowas von egal. Zu meiner absoluten Befriedigung trägt Joah einen fetten Gibbs auf der Nase und alles angrenzende hat so einen schönen lila Ton wie Leandros Kiefer. Dani scheint sich von ihm getrennt zu haben, denn er ist den ganzen Tag über vollkommen alleine. Leandro lässt nicht mal die Fahrt über wirklich meine Hand los. Er schaltet sogar zusammen mit meiner in seiner in die anderen Gänge. 

"Alles in Ordnung?" 
Tatsächlich dreht er das Radio leiser. 
"Können wir ihn besuchen gehen? Ich war seit seiner," er stockt.
Mir ist klar was er sagen möchte. Er hat sich seit der Beerdigung nicht mehr getraut ihn zu besuchen. Bekräftigend drücke ich seine Hand. 
"Ich würde nichts lieber tun als ihn kenne zu lernen," erkläre ich wahrheitsgemäß. 
Lenny scheint definitiv erleichtert, den Rest der Fahrt quatschen wir über alles mögliche. 
Als er auf dem Parkplatz zwischen einem Haufen an anderen Autos parkt und wir auf das grüne Tor zugehen, wird er mehr als nur nervös. Wir gehen nicht weit, bis er in einen der Gänge einbiegt und still vor einem Grabstein stehen bleibt. 

Liam-Lukas Schäfer

*22.10.1996
02.11.2014*

Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne.

"Ist das aus 'Der kleine Prinz'?" Meine Frage klingt viel unsensibler als geplant, doch Lenny muss unweigerlich lachen. 
"Ich hab doch gesagt ihr hättet euch gemocht." 
Brüderlich klopft er zwei Mal auf den Stein bevor er sich im Schneidersitz davor nieder lässt. 
"Hey Liu, tut mir leid, dass ich so lange nicht hier war. Als Entschädigung hab ich dir jemanden mitgebracht," er nickt mit dem Kopf zu mir nimmt seine Augen aber nicht von dem Stein. 
"Das ist Lyra, meine Freundin. Und ja, sie hat Augen im Kopf und ist nicht im Ansatz so wie Kathy. Außerdem ist sie unglaublich clever," erklärt er. 
Ich werde ein wenig rot, kann aber nicht verhindern, dass mein Herz aufgeht wenn ich Lenny so sehe. 
"Liam hat das Kinderbuch mehr als nur geliebt und das war sein Lieblingszitat," kommt er wieder auf meine Frage zurück. 
Ein kleines Foto von den beiden Brüdern ist mit in den Stein eingelassen und ich bin mir sicher, dass ich Liam gemocht hätte. 
Leandro redet viel, wie ein Wasserfall strömen die Worte nur so aus ihm heraus und das obwohl ihm niemand antwortet. Es scheint fast so, als wäre das hier Balsam für seine Seele, als würde ihn das irgendwie heilen. Er redet über Dinge die er und Liam unternommen haben und schwelgt ganz schön in den Erinnerungen mit ihm. 
Auf dem Weg zurück nach Hause scheint er so viel Frieden in sich zu tragen, dass wir beide einfach nur lächeln. Kurz bevor wir die Haustür bei Meg aufschließen sieht er mich einen Moment länger an. 
"Ich wünsche mir nur ich könnte euch richtig einander vorstellen." 

Meg und Kathy kochen. Es riecht wunderbar. Mit einem strengen Blick und den Händen in der Hüfte zeigt Meg mit dem Kochlöffel auf uns als wir die Küche betreten. 
"Junger Mann, wenn ich sage wir kochen um halb fünf dann meine ich nicht halb 6, wo seid ihr gewesen?" 
Alle Anwesenden wissen, dass Meg nicht wirklich sauer ist, sie versucht nur manchmal es zu versuchen. 
"Wir waren auf dem Friedhof," erklärt Leandro während er sich grinsend etwas aus der Pfanne schnappt. 
Kathy fällt perplex ihr Kochlöffel aus der Hand und Meg kreischt erfreut auf. 
"Du bist ein Geschenk des Himmels Lyra!" 
Voller Euphorie drückt sie sich mit ihrer dreckigen Schürze an mich, ich lasse es jedoch einfach passieren. 
Leandro strahlt förmlich während er die Szene beobachtet und wirkt echt so glücklich wie noch nie. 

Ich könnte mir nicht vorstellen Leo oder Jens zu verlieren und ich finde es bemerkenswert wie gut Leandro damit umgeht. Die Vorstellung nie wieder Süßigkeiten und Cola im Wohnzimmer auf der Couch bei irgendwelchen vorhersagbaren Liebesfilmen mit Leo in mich herein zu schütten oder nie wieder eins dieser plötzlichen intimen Gespräche mit Jens zu führen würde mich umbringen. Zumal es Mama das Herz in Millionen Einzelteile zerbrechen würde, würde einer von uns sterben. Dass Robert und Ina, wobei eher Robert, so unmenschlich damit umgeht ist mir ein Rätsel. Er hat schon einen Sohn verloren und vergrault den Zweiten in eine Andere Stadt. 
Und trotz allem sieht Lenny so aus als wäre er glücklich, als müsste gerade nichts anders sein. Und irgendwie, weil er so unbeschwert aussieht, ist es mir sogar egal, dass Kathy anwesend ist.