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Das Metall der Feuerleiter ist eiskalt unter meinen Fingern als ich nach so langer Zeit mal wieder an ihr hoch klettere. Leandro will seine Mutter besuchen, da sie Geburtstag hat und dafür das ganze Wochenende in Cloveshill bleiben. Um meinen Geschwistern aus dem Weg zu gehen, breche ich also in mein eigenes Zimmer ein um mir noch mehr meiner Klamotten zu besorgen. 
Ich höre Leo und Maxi im Wohnzimmer und aus Jens Zimmer leise Musik. Maxi habe ich getextet, dass er später mein Fenster wieder schließen soll, damit es nicht die ganze Zeit offen steht. Meine Sporttasche ist schnell voll und kommt mit einem dumpfen Geräusch auf dem Rasen an, bevor ich wieder zurück klettere. Lenny grinst nur als er mich einsammelt und dann schnurstracks den Weg nach Cloveshill einschlägt. 
Seine Eltern wohnen nicht weit von der Schule entfernt, aber ich staune nicht schlecht als ich das riesige protzige Haus sehe. Alles scheint mir so fein und edel, dass ich mir Lenny kaum hier vorstellen kann. Er klingelt nicht sondern holt einen Schlüssel aus seiner Tasche und schließt die Tür auf, dann treten wir in einen Flur der beinahe so groß ist wie die ganze Wohnung die wir uns zu viert teilen. Ich begutachte die Wände und finde eine Fotoreihe vor, ich erkenne Liam und Leandro als Kinder und liege mit meiner Vermutung richtig, Lenny hat den Kombinations-Tick von seinem Bruder übernommen. Die beiden sehen auf jedem Foto aus wie aus einem Katalog geschnitten, perfekt gestylt und in den feinsten Anziehsachen, meist Anzüge. Auch ein Foto von Leandro und Kathy, er in Anzug sie in Kleid hängt an der Wand. Leandro sieht ziemlich angepisst und wütend aus. Aber auch ihr scheint dieses Bild in diesem Moment nicht gefallen zu haben. Bevor ich weiter die Fotos analysieren kann taucht Ina in einem wunderschönen Kleid auf mit einem Sektglas in der Hand. 
"Lean du bist gekommen," sie scheint verwirrt aber gleichzeitig auch unglaublich glücklich. 
Sie erdrückt Leandro fast mit ihrer Umarmung, der sie aber genauso zurück umarmt. 
Scheinbar freut sie sich auch mich zu sehen, denn sie drückt mich auch kurz an sich und nimmt uns beide dann mit in ein echt schickes Wohnzimmer. Alles ist in schwarz weiß mit ein paar blauen Aktzenten gehalten und ich erkenne sofort Leandros Freunde. Alle Frauen stecken in schicken Kleidern, sogar Rayven die ich um himmelswillen niemals so eingeschätzt hätte. Robert scheint nicht so erfreut wie Ina darüber seinen Sohn zu sehen, denn er weißt ihn sofort zurecht. 
"Wo ist dein Anzug? Deine Mutter hat Geburtstag und du tauchst in diesen Lumpen hier auf," empört stemmt er die Hände in die Seiten. 
Leandro geht einfach an ihm vorbei und begrüßt Nikan so wie die anderen Jungs, ich schließe mich mit einem Nicken den Anderen an. 
"Badezimmer?" Frage ich Lenny hoffnungsvoll zwischen seinem Gequatsche. 
"Die Treppe hoch, erste Tür links und dann einfach das angrenzende Zimmer," erklärt er mir und drückt mir einen Kuss auf die Stirn bevor ich mich auf den Weg mache. 

Die Treppe ist kein Vergleich zu Megs kleiner Wendeltreppe, hier könnten locker vier Leute nebeneinander die Stufen hoch steigen. Ich will gerade die Zimmertür öffnen, als ich hinter mir ein leises Wimmern vernehme. Auch wenn ich es nicht sollte, folge ich dem leisen weinen, bis zu einer Terrasse die einen mehr als hammermäßigen Ausblick bietet. Ein braunhaariges Mädchen sitzt zusammengekauert mit den Knien vor der Brust auf den drei Treppenstufen die vom Haus aus runter auf den teuer aussehenden Holzboden führen. 
"Alles okay?" Vorsichtig setze ich mich neben sie, darauf bedacht, mich nicht auf ihr blaues Kleid zu setzten. 
Sie hebt den Kopf und sieht mich mit einem Mascara verschmiertem Gesicht an. Lautstark zieht sie ihre Nase hoch, als wir uns wohl gegenseitig erkennen zu scheinen. Sie hat mir an dem Abend geholfen Leandro zu finden. 
"So okay wie es eben sein kann oder?" 
Sie zieht nochmal die Nase hoch und wischt dann mit dem Handrücken über ihre Augen, was das ganze nicht besser macht. 
"Wenn du magst kannst du mir erzählen was los ist," biete ich ihr an, füge aber nicht hinzu, dass ich so noch mehr Zeit habe bis ich wieder da runter muss. 
Leider hab ich mir ihren Namen nicht gemerkt, ich weiß nur noch, dass er etwas mit Autos zu tun hatte. Als sie ansetzen will zu erzählen, taucht hinter uns das Geräusch von Absätzen auf dem Holzboden auf, als auch Rayven sich an ihre Seite setzt. Rayvens grünes Kleid betont faszinierend ihre dunkle Haut, doch sie zieht sich nur beiläufig die Spangen aus dem Haar und zerstört damit eine ziemlich aufwendig wirkende Frisur. 
"K.C. ich hab dir schon gesagt, er ist ein Trottel," wirft sie ohne eine Bohne Mitgefühl ein. 
Sie weint wieder laut auf und vergräbt ihr Gesicht an meiner Schulter. Rayven lässt ihren Nacken knacken und verdreht die Augen als ich hilfesuchend zu ihr sehe. 
"Dann bitte Kiana, heul dich bei einer Fremden aus." 
Kiana, Kia, so war ihr Name. 
Kiana fasst sich kurz wieder und zieht zum wiederholten Male lautstark die Nase hoch. 
"Das ist Lyra Jansen, wir kennen uns," teilt sie nasal mit. Rayven murmelt nur sowas wie 'Hoffnungsloser Fall' und steht dann wieder auf. 
Erst ist es eine ganze Weile still und wir beobachten den Himmel, wobei ich mich echt nicht beklage, weil er verdammt gut von hier aus aussieht. 
"Ich bin hoffnungslos verliebt," wirft Kiana einfach so in die Stille.
"Weißt du, ich komme aus Madford und ich wäre nicht hier, würde Ray und Colm nicht kennen, ich wäre nie in Cloveshill gewesen wenn Sam mir nicht mein Herz gebrochen hätte."
Sie holt zittrig Luft und lässt stumm ein paar Tränen auf ihr Kleid fallen bevor sie weiter spricht. 
"Sam ist mein bester Freund seit ich denken kann, verstehst du? Es gab mich nie ohne ihn," fragend sieht sie mich an. 
Ich nicke, Maxi und ich sind auch seit wir denken können beste Freunde. 
"Ich weiß nicht mal genau wann ich realisiert habe, dass ich ihn liebe, es war einfach auf einmal da," sie lächelt aber beißt sich auf die Lippen. 
"Dann hatten Sam und ich Sex, Freunde haben keinen Sex." Ich muss wieder nicken, da gebe ich ihr vollkommen recht.
"Und dann hat er mich ignoriert, so getan als würde ich nicht existieren."
Autsch. 
"Und ich war alleine, weil ich nur Sam hatte nachdem meine Eltern sich haben scheiden lassen." 
Doppel Autsch, ich wüsste nicht wo ich jetzt wäre ohne Maxi. 
"Als sein Bruder gestorben ist, der auch für mich einer war, dachte ich er würde mit mir trauern, wir würden zusammen an Ilay denken, aber er hat mich nur weiter ignoriert."
Mein Herz wird schwer mit jedem Wort, dass sie sagt. Ich lege meinen Arm um sie und versuche ihr irgendwie halt zu gewähren, das klingt so unglaublich schrecklich. 
"Ich hab mein Vater seit fast drei Jahren nicht mehr in Madford besucht, ich hab mich nach Cloveshill von meinem eigenen Zuhause ausgesperrt, weil es mir so weh tut an ihn zu denken." 
Den Rest verstehe ich nicht, denn er geht in Schluchzen und Weinen über. 
Wenn ich mir anhöre wie es sein muss unglücklich verliebt zu sein, bin ich froh darüber, dass Lenny und ich so sind wie wir sind. Wenn sie nach drei Jahren immer noch so an ihm hängt, dann wird sie das wohl für den Rest ihres Lebens tun wenn sie sich der Sache nicht stellt. 
"Willst du meine ehrliche Meinung?" 
Selbst wenn sie nein sagt werde ich sie ihr aufdrücken, doch sie nickt tatsächlich und richtet sich wieder auf. 
"Geh zurück nach Hause, zeig ihm was er in den letzten Jahren verpasst hat und leb dein Leben," vorsichtig streiche ich ihr die feuchten Strähnen aus dem Gesicht. 
"Es wird passieren, dass du ihn siehst, aber du bist stärker als das," erkläre ich ihr. 
Sie mustert mich skeptisch bevor ihr Gesicht sich deutlich aufhellt. 
"Ich denke du hast recht, nach dem Abschluss wird es Zeit nach Hause zu gehen." 
Es folgt nochmal ein Nase hochziehen woraufhin ich mich einmal schütteln muss, zum Glück hat sie aufgehört zu weinen und hört vielleicht auf die Nase hoch zu ziehen.

How broken hearts breakWo Geschichten leben. Entdecke jetzt