Junis Erwartungen an ihren Bruder waren nicht sonderlich hoch. Dennoch hatte sie ihn als einigermaßen vernünftig eingeschätzt - ein fataler Fehler.
Atlas stand neben ihr.
Unmaskiert.
Juni musterte das markante Kinn, die gerade Nase, die hellen Bartstoppeln auf seinen Wangen und die schmalen Lippen die stets amüsiert verzogen schienen. Er wirkte damit gleich einige Jahre älter. Sie hatte nicht schlecht gestaunt als er das Halstuch abgenommen und einfach so vor ihr gestanden hatte. "Ich bin Atlas. Einfach nur Atlas. Willkommen bei der Rebellion." Feierlich reichte er ihr die Hand und sie schlug ein. Seine Hand war warm und voller Schwielen gewesen - die Hand eines Arbeiters, eines Soldaten. Juni hatte ihr gesamtes Leben lediglich manikürte, blasse Finger berührt.
Es hatte sich unglaublich befreiend angefühlt.
Nun hatten sie exakt das selbe bei Marley vorgehabt. Doch wie üblich bevorzugte Junis kleiner Zwilling sich unnötig aufzuspielen. Fassungslos betrachtete sie das verwüstete Zimmer, ähnlich eingerichtet wie ihr eigenes - nur das hier die Möbel kreuz und quer lagen, teils beschädigt oder kaputt. Auf dem Boden standen Pfannkuchen. Diese köstlichen Pfannkuchen. Marley hatte sie nicht angerührt. Anstatt sich ordentlich satt zu essen bevorzugte er es sich wie gerade eben mitten im Zimmer aufzuplustern und eine junge Rebellin anzuschreien. Als sie und Atlas eintraten gestikulierte ihr Bruder wild. Und dann, er hatte sie noch nicht erblickt, hob Marley mit einem Mal die Hand und holte damit aus. Sein Gesicht war wutverzerrt.
Das Gute an Zwillingen war dass sie meist die selben Gedankengänge teilten - und deshalb manchmal eine präzise Vorahnung besaßen was die Handlungen des jeweils anderen betrafen. Bevor Marley das Mädchen vor ihm auch nur berühren konnte packte Juni rasende Wut. Sie durchmaß den Raum in wenigen Schritten, packte Marley beim Hemdkragen und riss ihn grob herum. Ihr Bruder hatte nichtmal Zeit Luft zu holen. "Wie kannst du es wagen?!", schrie sie und stieß ihn rückwärts gegen die Wand. "Du Vollidiot -" Juni drückte Marley den Unterarm gegen die Kehle um ihn an Ort und Stelle zu halten. Genauso war es ihr schon immer gelungen ihn zurechtzuweisen. "- erhebst die Hand gegen ein Mädchen das dir nichts getan hat und bildest dir ein angemessen zu reagieren? Obendrein vergisst du alles was uns im Falle einer Geiselnahme beigebracht wurde und benimmst dich wie der Berserker höchstpersönlich!" Ihr schien es als zuckte nicht nur ihr Bruder zusammen. Sie hätte noch Stunden weiterpulvern können, doch irgendwann trat Atlas neben sie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie ließ es geschehen dass er sie von Marley wegzog - was ihrem Bruder nun endgültig aus allen Wolken fallen ließ. Er starrte sie an. Juni nickte grimmig und wandte sich ab. "Denk drüber nach, Marley.", knurrte sie ihn an als sie in der Tür nochmals inne hielt und ihn ansah. Er stand noch immer wie festgefroren im Raum. "Und iss die verdammten Pfannkuchen. Sie sind himmlisch."Atlas
Oh ja, Atlas musste schlucken. Es wäre wirklich besser wenn er sich niemals mit Juni anlegte. Als sie an ihm vorbeirauschte meinte er die rauchende Wut förmlich riechen zu können. Nachdem sie die Tür energisch geschlossen hatte war es an Atlas gewesen diese wieder zu verriegeln - mit Junis eindeutiger Zustimmung. "Sperr ihn ein und lass mich später nochmal mit ihm sprechen. Er soll sich erst zusammenreißen."
Danach waren sie hinunter in die Küche gegangen. Ihm war nicht entgangen wie Juni den Blick staunend durch das alte Gebäude fliegen ließ - sie betrachtete die Decken, die schmalen Flure, die Treppengeländer, die rustikalen Möbel. Alles bestand aus Holz. Atlas kam nicht umhin ihr mit stolz geschwellter Brust hinterherzugehen. Das war der Verschlag - ein schmutziger Name für das warme, trockene Hauptquartier der Parrots.
Und nun saß Juni auf einem der abgewetzten Barhocker am Küchentisch, eine Tasse Kaffee in der Hand. Atlas fragte sich ob jeder außer ihm an einer massiven Geschmacksverirrung litt was dieses Getränk anbelangte.
Juni würde Monate brauchen um jeden einzelnen Parrot und Rebellen-symphatisanten kennenzulernen aber fürs erst stellte Atlas ihr die wichtigsten Mitglieder vor: Da waren Mykal und Rowan - die beiden Windpagan die die Zwillinge so unglaublich souverän entführt hatten und zu Atlas besten Agenten im Außeneinsatz zählten, beide mit dunkelm, dichten Haar und einem Teint der an dunkles Karamell erinnerte. Sie waren Geschwister und etwas jünger als Atlas selbst. Twila Tulip hatte Juni ebenfalls bereits kennengelernt, allerdings unter angenehmeren Umständen - Sie war das ständig barfußlaufende Mädchen mit der blonden Haarpracht. Sie kümmerte sich um anfallende Probleme zwischen den Crewmitgliedern und versorgte stets mit mentaler Unterstützung - außerdem nahm sie Atlas jede Menge Arbeit ab die ihm ansonsten noch den letzten Nerv geraubt hätten. Sie war ein Goldstück und ohne sie wäre Atlas hoffnungslos verloren. Dann gab es natürlich noch Flint Hudson, einen jungen Feuerkrieger mit leuchtend rotem Haar das er momentan kurzgeschoren trug und mit leichten Problemen was das Kontrollieren seiner Macht anbelangte - der jedoch einer der loyalsten Männer war die Atlas je kennengelernt hatte. Er war Atlas bester Freund. Miklaus und Lene, Atlas beste Scharfschützen auf dem Gebiet der Handfeuerwaffen. Miklaus war bekannt für seinen stets kühlen Kopf und seiner Überzeugung, für das zu kämpfen was ihm am Herzen lag. Lene, eine grimmige Blondine die sich nicht gerne herumkommandieren ließ und die taffste Soldatin die je die Armee des Landes verlassen hatte. Thekla, die Chemikerin die ein Talent für Rauch- und Funkenbomben besaß. Rainn, der Heiler mit indianischer Abstammung und Yule, eine junge Mechanikerin die jedes Automobil in eine Kriegsmaschine umrüsten konnte, ließ man ihr freie Hand. Während Atlas sie jedem dieser Menschen persönlich vorstellte strahlte sie die ganze Zeit über. Ihre Wut war verraucht und tatsächlich schaffte sie es mit so gut wie jedem sofort ein Thema zu finden. Irgendwann beobachtete Atlas sie einfach nur noch dabei. Juni sah zu wie Flint eine kleine Flamme auf seiner Hand tanzen ließ und fragte Yule über ihre Lieblingsautomodelle. Zu Twila hatte sie sowieso schon einen Draht. "Wie kann es sein dass du ohne Tuch vor dem Gesicht noch unglaublicher aussiehst?"
Lene erzählte von ihrer Zeit bei der Armee und wie sie sich einst mit einem der Kommandanten angelegt und danach die Truppen verlassen hatte. Miklaus sprach davon wie wichtig es ihm war für seine Meinung einzustehen - und dass er Juni dafür schätzte sich gegen ihren Vater zu wenden. Bei Mykal und Rowan, ihren persönlichen Kidnappern, starrte Juni sie eine Weile an - dann grinste sie und sagte:"Als du aus dem Baum gefallen bist sahst du aus wie der beste Ninja der Welt." Die Geschwister lachten. "Du bist ja doch ein ziemlich taffes Püppchen.", erwiderte Mykal und ihre Freundschaft war besiegelt.
Atlas lehnte wie üblich an der Wand und sah seiner engsten Crew dabei zu wie sie Juni in ihren Kreis mitaufnahmen - und wie Juni immer mehr strahlte. Er hatte Recht behalten. Sie war eine geborene Rebellin.
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The Parrots - Eine Rebellion
FantasyJuni ist die Tochter des einflussreichsten Mannes der Stadt. Als sie und ihr Bruder von der Rebellengruppe The Parrots als Geiseln genommen werden ahnt sie nicht wer ihr Vater wirklich ist - und dass sie schon sehr bald entscheiden muss ob sie den e...