Kapitel 23 - Die Nacht der Entscheidung

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Marley

Er eilte durch die dunklen Gänge zurück zum Ballsaal, indem bereits wild getanzt wurde. Laute Musik spielte, jeder schwenkte sein Glas gefährlich und lachte schallend. In der sich stetig bewegenden Menge erspähte er schließlich seine Schwester, die noch immer mit dem General der Elitewache und ihrem Vater sprach. Sie gab sich amüsiert und machte das Ganze auch recht gut, aber man merkte an ihrer kaummerklich verkrampften Haltung die innere Unruhe an. Sie bog sich stets weg von den beiden Männern.
Doch so wie die beiden lächelten schien Marley der einzige zu sein dem das auffiel. Der Kommandant wirkte sogar regelrecht bezaubert von Juni. So bezaubert, dass er sie mit einer eleganten Handbewegung zum Tanz aufforderte. Und nach einem Augenblick des Zögerns willigte Juni lächelnd ein.
Marley war ihr unendlich dankbar dafür.
Jedes Detail konnte ihren fragilen Plan zum Scheitern bringen.
Die Zeit verging und das Fest rauschte. Marley unterhielt sich mit Gästen und tat als genehmigte er sich ebensoviel Punsch und Schnaps wie sonst auch - stattdessen kippte er den Alkohol einfach in Eiskübel oder Blumenvasen. Zwischendurch gelang es ihm immer mal wieder unauffällig an seinem Vater und Juni vorbeizutreiben. Diese tanzte noch immer mit dem General der Wache. Als Marley einmal besonders nah an ihnen vorbeiging konnte er hören wie der Mann seiner Schwester ein Kompliment zu ihrem umwerfenden Kleid und ihrem wunderschönen Haar machte. Er bemerkte zusätzlich dass die Lippen des Generals wie beiläufig Junis Ohrmuschel streiften. Der Mann hätte Junis Vater sein können. Wut packte ihn. Und er war sich sicher dass es seiner Schwester ähnlich ging. Sie würde sich so etwas unter gewöhnlichen Umständen nie gefallen lassen. Umso beeindruckte war er jedoch als sie das ekelhafte Verhalten des Mannes einfach mit einem eleganten Lächeln quittierte und es stets schaffte sich mit Leichtigkeit aus seinem Griff zu winden bevor er etwas zu übergriffig werden konnte. Da hatte sich der Kerl nunmal die Falsche ausgesucht, dachte Marley grimmig und lächelte.

Bruno

Flint ging mit schnellen Schritten voraus.
Bruno erkannte die Anspannung in seinen Schultern und dem gesenkten Kopf, die verkrampfte Haltung.
Er wusste was dem Bändiger durch den Kopf ging. Und es war ganz allein Brunos Schuld. Er fühlte sich elend.
Ihm war klar dass er die Klappe halten sollte, dass er sich genau wie Flint auf die Mission konzentrieren sollte. Hier und jetzt war der denkbar mieseste Zeitpunkt um private Probleme zu besprechen. Doch er konnte nicht anders. "Du bist viel zu verkrampft. Versuch die Schultern zu lockern ..." Flint wirbelte herum, Wut verzerrte sein Gesicht. "Wie, denkst du, kann ich mich entspannen wenn ich mit dir zusammen sein muss?", spie er aus und fixierte Bruno dabei kalt. "Schließlich warst du letztens auch nicht gerade locker." Bruno dachte an die Nacht auf dem Dach. An Flint, der im schwachen Schein der Laternen auf dem Markt so schön gewesen war. An die Haut des Bändigers - uneben und gezeichnet, aber so weich. An seine Finger. An Flints Gesicht. Er war ihm so nah gewesen. Er hätte ihn für sich haben können.
Aber er hatte es vermasselt. Und wofür? Damit Henry, der dumme Henry, mit Juni ins Bett steigen konnte. Noch immer packte ihn ungeheure Wut wenn er daran dachte. Natürlich traf Juni keinerlei Schuld.
Und Flint auch nicht.
Er nahm all seinen Mut zusammen, nahm Flint an der Hand und zwang ihn, sich zu ihm umzudrehen. Sie standen bereits im kleinen Wäldchen, was ihnen guten Sichtschutz bot. Er sprach leise aber eindringlich. "Ich weiß. Und es tut mir unendlich leid, Flint. Bitte glaub mir. Ich - ich bin nicht so wie du denkst." Das bekam Flint natürlich sofort in den falschen Hals. Er lachte bitter auf. "Achso, daher weht der Wind also. Und du denkst ich kauf dir das ab? Merkwürdig, denn kurz darauf hab ich dich in Henrys Zimmer verschwinden sehen." Bruno schloss die Augen. Das durfte doch alles nicht wahr sein. "Also, wenn du angeblich nicht so bist dann könntest du mir das mit deinem Kumpel aber wirklich mal erklären, und wieso du mir dann eigentlich -"
"Ich und Henry sind verdeckte Ermittler.", platzte Bruno endlich heraus und beeilte sich weiterzusprechen. "Da waren wir zumindest, nur ganz am Anfang. Aber als wir euch alle kennengelernt haben wussten wir dass es das nicht wert ist. Wir wussten dass wir bei euch richtig sind. Aber wir konnten nicht einfach unsere Tarnung platzen lassen. Als verdeckt arbeitende Agenten ist es uns untersagt mit Zielpersonen eine emotionale Bindung einzugehen. Flint, es tut mir schrecklich leid." Flint stand da wie vom Blitz gerührt. "Ihr -" Er schluckte. "Ihr habt uns ausspioniert? Und gearbeitet habt ihr für - ha, ja natürlich für Campbell, oder? Ihr wolltet uns verraten, uns an ihn ausliefern -" Bruno unterbrach Flint schnell. "Nein! Nein, es ging nur um Juni und Marley. Aber der Deal ist geplatzt. Wir stehen auf eurer Seite, sonst würden wir das Ganze hier doch nicht tun. Sonst würde ich dir das hier doch nicht einfach so erzählen!"
Er hielt Flint noch immer am Handgelenk fest, und als dessen Haut immer heißer wurde versengte es Brunos Handflächen. Ein sicheres Zeichen dafür dass Flint sich vermutlich in wenigen Augenblicken selbst in Brand stecken würde. Doch er konnte ihn nicht loslassen. Nicht dieses Mal. Verbrenn mich wenn du willst. Ich werde dich nicht wegstoßen.
Er sah flehentlich zu Flint auf. "Du wirst es mir natürlich nicht glauben aber als ich dich das erste mal in diesem dunklen Flur gesehen habe hab ich all meine Prinzipien über Bord geworfen. Genau in dem Moment. Du bist der einzige Mensch auf der Welt der meine Vergangenheit kennt und versteht. Und als du mich auf das Dach gebracht hast war ich so kurz davor dir alles zu sagen - ach, was sag ich. Ich hätte dich am liebsten gepackt und dich -"
Flint ließ ihn nicht weitersprechen. Er hob die Hände und legte sie an Brunos Kiefer, seinen Hals. Und bevor dieser auch nur wusste wie ihm geschah
küsste er ihn.
Durch Brunos Körper brannte ein greller Blitz und er lockerte seinen Griff um Flints Handgelenke. Seine Hände fanden den Weg über Flints Schultern zu seiner Mitte und er zog ihn näher zu sich. Flints Lippen lagen auf den seinen, ihr Atem brandete auf ihren Wangen und Hitze sickerte durch ihre Klamotten bis sie brannten wie ein Leuchtfeuer. Das hatte er auf dem Dach tun wollen. Das, und nichts anderes. Er hätte ewig im Dunkeln stehen und Flint an sich drücken können, doch irgendwann lösten sie sich schwer atmend voneinander. Flints Augen funkelten als er auf Bruno herabblickte. "Bin ich jetzt locker genug oder sollen wir noch ein bisschen weitermachen?"

Atlas

Er steigerte rastlos auf und ab. "Mensch Atlas, kannst du damit vielleicht mal aufhören? Du machst mich ganz hibbelig.", fuhr ihn Mykal an, die auf dem kalten Marmorboden saß und ihr dichtes schwarzes Haar zu kleinen Zöpfen flocht. Eindeutig eine Angewohnheit die sie von Twila übernommen hatte.
Atlas setzte sich geschlagen neben Henry der vor dem großen Fenster saß. Die anderen hockten etwas weiter entfernt und sprachen flüsternd miteinander. Atlas hatte sie dazu angehalten möglichst wenig zu anzurühren. Rainn und Rowan hielten Wache - sie standen neben der Tür, stets bereit zum Angriff. Yule und Alistair besprachen die Sprengsätze, die sie zur Sicherheit bei sich trugen, und kundschafteten aus wo sich der beste Fluchtweg befand, sollten sie aus diesem Flügel des Gebäudes schnell verschwinden müssen. Atlas blickte Henry von der Seite her an. "Ist etwas zwischen Bruno und Flint vorgefallen? Sie scheinen mir nicht mehr ganz so ... innig." Diese Frage löste offenbar etwas in Henry aus - seine Augen funkelten, sein Blick huschte unruhig zu Atlas. Als ob er mit etwas rang. "Ja, es ist etwas passiert. Hör zu Atlas, ich muss dir etwas Wichtiges sagen. Bruno und ich -"
Die Tür wurde von außen geöffnet. Sofort sprangen alle auf und Rowan und Rainn hoben die Hände, bereit zu Bändigen. Doch es war nur Marley. Er grinste verschmitzt. "Alles klar. Es geht los, Leute. Kommt mit."

Juni

Der Kommandant der Wache wich ihr nicht mehr von der Seite. Ständig wollte er tanzen, sie über ihre Lieblingsbeschäftigungen ausfragen oder ein Glas Punsch mit ihr trinken. Und jedes Mal schaffte sie es sich aus der Affäre zu ziehen. Allerdings nie für lange. Immer wieder fand er sie in der Menge. Irgendwann war ihr Vater verschwunden. Ob es Marley gelungen war ein sicheres Versteck für die anderen zu finden?
Es wurde spät. Wenn sie nicht bald zuschlugen wäre der Höhepunkt des Balls vorbei - was bedeutete dass sich die Menge allmählich lichtete und die verbliebenen Besucher schneller bemerken würden wenn der Gastgeber selbst fehlte.
Da erhaschte sie einen Blick auf ihren Vater - er torkelte bereits leicht und hielt ein Glas Champagner in Händen. Und ein paar Meter weiter fand sie Marley, wie er in seinem maßgeschneiderten weißen Anzug und den zurückfrisierten Haaren auf sie zukam. Er lächelte strahlend und ein kleiner Teil der Anspannung fiel von ihren Schultern ab. "Victoria! Wie schön dass ich dich gerade treffe." Juni lachte unsicher auf. Wieso machte er eine solche Show? Er trat zu ihr und nahm sie bei den Händen. "Du wirst es nicht glauben aber wir haben noch ein paar ganz besondere Gäste!" Seine Stimme klang seltsam. Sie stuzte. Gehört das zum Plan? Weiß er etwas was ich nicht weiß?
Aber dann verzog sich sein freundliches Lächeln zu einer Fratze - dieser Blick ihres Bruders war ihr nur zugut bekannt. Er erschien auf seinem Gesicht wenn er früher, als sie noch Kinder gewesen waren, einem der Zimmermädchen einen roten Socken in die Weißwäsche gesteckt oder die Kinder der Gärtner um ihr selbstgemachtes Spielzeug bestohlen hatte. Marley sah sie so an wenn er etwas ausgefressen hatte und unheimlich stolz darauf war.
Und das war nie etwas worauf man sich etwas einbilden konnte.
Juni hatte diese narzisstische, tyrannische Seite ihres Bruders nie verstanden und stets verdrängt.
Schließlich war er ihr Bruder.
Ihre zweite Hälfte.
"Und die lasse ich nun feierlich hereinbringen. Sie freuen sich schon sehr." Er breitete die Arme aus, ein schelmisches Funkeln in den Augen. Juni wollte ihn am Kragen packen. Ihn schütteln. Ihn fragen was er, zum Teufel nochmal, vorhatte. Doch bevor sie sich auf ihn stürzen konnte packten sie zwei Hände an den Schultern und hielten sie an Ort und Stelle. Es waren die des Generals. Er lächelte auf sie herab. "Kein Grund in Panik zu geraten. Bleiben Sie einfach bei mir, Kleines." Ihr Kopf fuhr herum zu Marley. Ungläubig starrte sie ihn an. Und als er auflachte gefror ihr das Blut in den Adern. Das hier hatte rein gar nichts mehr mit ihrem Plan zutun. Fassungslos sah sie dabei zu wie ihr kluger, charmanter, liebevoller Bruder Marley seine Haltung veränderte, die Ärmel seines Anzugs zurechtzog und eine Seite in sich zur Schau stellte die kalte Angst in ihr auslöste.
Er lächelte - gönnerhaft und triumphierend. "Genieß die Show, Schwesterherz. Das wird ein riesen Spaß." Dann wandte er sich ab und stolzierte davon.
Und die Hölle brach herein.

The Parrots - Eine RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt