Kapitel 7 - Der Rabe

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Henry

Henry Majors wurde von einem altersschwachen Butler in ein kaum beleuchteten Zimmer gebracht - lediglich ein dünner Streifen Licht fiel durch die halb zugezogenen Vorhänge aus schwerem Stoff und eine Schreibtischlampe beschien einen massiven Tisch aus dunkelm Holz. Davor stand ein gemütlich aussehender Besuchersessel in den sich Henry fallen ließ. Er war tatsächlich äußerst bequem. Auf der anderen Seite des Schreibtisches stand ein ebenfalls herrlich gepolsterter, jedoch mit hoher Lehne versehener Ohrensessel aus rotem Leder. Henry sog jedes Detail des Zimmers in sich auf - denn das war schließlich sein Job. Als freiberuflicher Spion und Detektiv legte man solche Verhaltensweisen nicht ab. Außerdem war er ohnehin hier um einen neuen Auftrag anzunehmen - vorausgesetzt die Entlohnung ließ sich angemessen verhandeln. Worum es sich genau handelte vermochte Henry bislang noch nicht zu sagen - doch er hatte Gerüchte gehört, und Gerüchte allein erwiesen sich meist bereits als guter Anhaltspunkt. Und wenn diese Gerüchte der Wahrheit entsprachen würde es Henry möglich sein ein äußerst ansehnliches Honorar herauszuschlagen. Denn der Mann der ihn herbestellt hatte wollte vermutlich um jeden Preis seinen Willen bekommen. Und kaum hatte Henry seine eindringliche Observation des Büros abgeschlossen betrat exakt dieser Mann auch schon den Raum - es war Joseph Campbell. Henry beobachtete wie der stämmige Mann hereinwankte, den Tisch umrundete und sich schwermütig und träge in seinen Ohrensessel sinken ließ. Henry war sich vollkommen darüber im Klaren dass Campbell ein begnadeter Schauspieler war - denn dieser Mann war höchst gefährlich. Er konnte sich zwar harmlos, fett und alt erscheinen lassen, doch das kalte Funkeln in seinen kleinen Schweinsäuglein war immerzu präsent. Weshalb Henry auch höflich aber bestimmt ablehnte als der Butler erschien und Drinks anbot. Mit einem verstohlenen Blick zu ihm forderte Campbell einen Scotch für sich selbst. Erst als der Butler verschwunden war wandte er sich Henry zu, die Arme auf den Schreibtisch gestützt, die von der Gicht geschwollenen Finger ineinander verschränkt. "Wollen Sie nicht mit mir anstoßen, Mr. Majors? Eine unhöflich Geste." Campbells Stimme war voll und polternd. Henry lächelte dünn. "Ich trinke lediglich in sympatischer Gesellschaft, danke." Die Haltung des älteren Mannes veränderte sich kaum merklich. "Wenn Sie sich also mit meiner bescheidenen Person nicht sonderlich wohl fühlen kommen wir gleich zu Sache, schätze ich?" Der Butler brachte den Scotch und verschwand erneut. Campbell trank einen gemächlichen Schluck und lehnte sich zurück. "Ja, natürlich.", beantwortete er seine eigene Frage. "Bringt ja nichts, dieser lächerliche Smalltalk. Obwohl ich es manchmal recht amüsant empfinde ..."
"Welche Angelegenheit?", unterbrach ihn Henry kühl. Der Mann hielt inne und schob das alberne Geplänkel beiseite. "Sie sind keiner dieser dahergelaufenen Trottel. Das gefällt mir." Dann wurde sein Blick abgeklärt. "Mein Auftrag für sie behandelt folgendes Thema; die Parrots. Ich nehme an, sie haben von diesen lächerlichen Kindern gehört?" Nun konnte Henry ein heiteres Auflachen nicht mehr unterdrücken - er hatte richtig vermutet. "Die kleine Rebellengruppe? Dann ist das Gerücht also wahr. Ich würde ja fragen was diese Leute haben was ihnen so wichtig ist aber -" Henry schlug die Beine übereinander und betrachtete amüsiert den säuerlichen Ausdruck auf Campbells Gesicht. "Mir ist bereits zu Ohren gekommen dass diese lächerlichen Kinder, wie Sie sie bezeichnen, es doch tatsächlich geschafft haben ihnen das Wertvollste zu nehmen was möglich ist - und das, wohlgemerkt, ohne auch nur den Hauch von Aufsehen zu erregen. Faszinierend." Campbells Kehle entrang sich ein leises Knurren als sich Henry über sein Unglück amüsierte. "Der große Joseph Campbell, ausgetrickst von ein paar Straßenkötern. Und er braucht mich um, was, seine Kinder zurückzuholen?", schloss Henry und verschränkte die langen dünnen Finger. Campbell räusperte sich und nickte. Henry erkundigte sich nach Alter, Größe, Aussehen, Merkmalen und Gewohnheiten der Kinder - und fand heraus dass er lediglich drei Jahre älter als die Zwillinge war. Es wäre vermutlich ein Kinderspiel die beiden unversehrt zu ihrem Vater zurückzubringen - doch das musste Henry sich ja nicht anmerken lassen. Er neigte den Kopf als dächte er darüber nach, das dunkle Haar fiel ihm tief in die Stirn. Dann nickte er. "Wie hoch ist das Lösegeld angesetzt?" In den Gesichtszügen des alten Mannes brodelte es. "Eine halbe Million - für beide." Henry schmunzelte. Ein lächerlicher Preis. Die Rebellen pokerten viel zu vorsichtig. Zum Glück wusste es Henry besser. "Das Doppelte und wir sind im Geschäft. Pro Kind, versteht sich." Campbell erlitt beinahe einen Schlaganfall. Er packte die Armlehnen seines teuren Sessels. "Sind Sie noch bei Verstand? Da hätte ich sie ja gleich auslösen können! Und ich würde mir ein Vermögen sparen!" Henry blieb ungerührt. "Sie sind der erfolgreichste Mann der gesamten Stadt, Mr. Campbell. Ich glaube kaum dass Sie diesen Kindern trauen ihre Sprösslinge heil nach Hause zu bringen. Und sie sind gewiss kein Dummkopf, weshalb Sie meinen Preis bestimmt schon recht genau abschätzen konnten. Also sparen Sie sich die Leier." Henry beugte sich vor und lächelte erneut. "Außerdem - es wäre zu schade wenn ich es bei meiner Mission nicht schaffen würde Ihre Kinder in einem Stück zurückzubringen. Ihnen könnte ein Finger fehlen, oder ein Auge -" Henry streckte die behandschuhte Hand aus und zog einen Finger zur Demonstration ein. Campbell zuckte kaummerklich zusammen. "Ich kann lediglich für ihre Sicherheit garantieren wenn mein Buget abgedeckt ist - außerdem brauche ich einen fähigen Kollegen, den ich ebenfalls ein angemessenes Honorar zukommen lassen muss. Muss ich meine Gründe noch weiter ausführen?" Campbell fluchte leise. "Man hat mich gewarnt, die Finger von Ihnen zu lassen, Mr. Majors. Aber ich schätze, nun gibt es kein Zurück mehr. Das nenne ich eine gnadenlose Abzocke. Sie könnten es weit in den richtigen Geschäften bringen." Henry wusste nur zugut von welchen Geschäften Campbell sprach und Säure kroch ihm den Rachen hinauf. Dennoch antwortete er galant: "Ich bin gut in all meinen Geschäften, Mr. Campbell. Schließlich bin ich Profi. Aber ich bleibe bei meiner Spezialität, danke.", und reichte dem alten Mann die Hand. "In allerspätestens zwei Wochen haben Sie Ihre Kinder wieder. Und ziehen Sie es nicht in Erwägung eine Dummheit zu begehen. Ansonsten kann ich nicht für die Unversehrtheit ihrer Sprösslinge garantieren. Ich erwarte das Geld morgen Mittag. Einen wunderschönen Abend wünsche ich, Sir." Henry wandte sich ab, legte seinen roten Schal um und verließ das dunkle Büro ohne zurückzublicken. Dennoch hörte er Campbell noch seinen Butler anschnautzen, er solle ihm gefälligst die ganze Flasche Scotch bringen. Henry lächelte als er das Herrenhaus verließ. Mit den Rebellen hätte der Geschäftsmann leichtes Spiel gehabt - mit Henry hatte er sich einen mächtigen Gegner angelacht. Gemächlich schlenderte er Richtung Südstadt und hielt bei einer dunkelgrün gestrichenen Telefonzelle inne. Er warf ein paar Münzen ein, wählte und als es am anderen Ende knisterte sagte er: "Bruno, triff mich in einer Stunde am Markt. Wir haben einen vielversprechenden Auftrag vor uns."

The Parrots - Eine RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt