Atlas
Er erwachte früh am Tag der Übergabe. Es war der Tag X, der Beginn einer der wichtigsten Missionen die er je geleitet hatte. Atlas beschäftigte sich damit die letzten Kleinigkeiten abzuklären - wobei ihm Juni eine enorme Hilfe war - und sie gingen zusammen den Grundriss des Anwesens durch. Jedes Detail musste sitzen. Keine Leichtsinnfehler, keine Selbstüberschätzung.
Die Parrots aßen an diesem Morgen ein letztes Mal zusammen. Atlas nahm wie üblich am Kopfende des Tisches Platz und lauschte den aufgeregten Gesprächen seiner Crew. Alle sprachen sich gut zu, ermutigen sich und lachten, sogut es ging, die Nervosität weg. Doch als Miklaus und Lene sich schließlich früher als alle anderen erhoben um aufzubrechen - sie kundschafteten die Gegend rund um den Treffpunkt am Markt aus um mögliche Hinterhalte und Fallen aufzuspüren - wurden sie noch stürmisch von allen umarmt. Bei Rowan und Mykal verlief es ähnlich, denn sie bezogen ihre Posten eine Stunde eher.
Und als es dann schließlich soweit war um zusammen mit Juni und Marley aufzubrechen klopfte Atals' Herz etwas schneller als erwartet. Jede Mission war spannend und nervenaufreibend - doch als er die Zwillinge die Treppe hinabsteigen sah, gekleidet in zerrissene, ungewaschen Lumpen und mit eigens von Twila zerzaustem Haar, ihre Prellungen und Schürfwunden freigelegt, musste Atlas hart schlucken.
Kurz fing er Junis aufgeregten Blick auf und schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln - bis die restlichen Parrots in der Küche erschienen und Umarmungen und Glückwünsche ausgetauscht wurden. Atlas wich grinsend zurück und beobachtete die Szene. Ihm fiel auf dass hauptsächlich Juni von den Rebellen belagert und umschwärmt wurde - zu Marley trat nur gelegentlich jemand um ihm alles Gute zu wünschen. Der Junge sah etwas verloren aus neben seiner beliebten Schwester. Atlas fasste sich in Herz und gestellte sich zu ihm. "Bereit?" Er klopfte ihm auf die Schulter. Marley lächelte etwas verlegen zu ihm auf. "Na klar. Kann's kaum erwarten."
Sie brachen auf. Das Sonnenlicht schien ihnen warm auf die Haut und wünschte ihnen Glück für ihr Vorhaben. Er bemerkte wie sich Juni noch ein paar Mal kurz umwandte. Einmal winkte sie - und Henry winkte zurück. Atlas verkniff sich ein wissendes Grinsen.
Sie stiegen in einen alten Transporter der knatternd zum Leben erwachte. Langsam setzten sie sich in Bewegung, und dann war der Verschlag außer Sichtweite.
Nun wurde es ernst.Wie immer an einem gewöhnlichen Samstag schien der Markt aus allen Nähten zu platzen. Doch es wurde wie üblich ein noch größerer Ansturm erwartet - denn am Abend, sobald die Familien mit den spielenden Kindern nach Hause gegangen waren, erschienen Scharen an jungen und alten Leuten die sich gepflegt in den Pubs und Bars zulaufen lassen wollten.
Es war eine gute Zeit für eine illegale Handlung - sie fielen zwischen all den Menschen kaum auf - und am verabredeten Ort der Übergabe konnte man sich genügend Platz verschaffen, sollte es nötig werden. Er lag etwas abseits von den breiteren Straßen des Marktes, dort, wo sich lediglich Einheimische tummelten.
Angespannt saß Atlas auf dem Beifahrersitz des alten Transporters. Er vermied es in den Rückspiegel zu blicken - Juni und Marley wären so nämlich für ihn sichtbar gewesen, denn sie verbargen sich im fensterlosen Lagerraum des Wagens. Er wollte vermeiden möglichen Beobachtern eindeutige Hinweise darauf zu liefern wo sich die Geiseln befanden.
Ohnehin gab es ansonsten nichts mehr was gerechtfertigt hätte sie im Auge zu behalten - Atlas hatte sie darüber aufgeklärt dass er sie, sobald sie aus dem Wagen stiegen, etwas unsanfter anpacken musste als vielleicht nötig gewesen wäre. Ansonsten hätten Campbell und seine Männer vielleicht Verdacht geschöpft. Aber natürlich waren die beiden kein bisschen überrascht oder geschockt gewesen. Schließlich waren sie nicht auf den Kopf gefallen.
Thekla, die den Transporter steuerte, ließ den Wagen in eine schmale Seitengasse rollen und brachte ihn dann zum Stehen. Atlas erhob sich und stieg in den hinteren Teil des Wagens. Verborgen im Dunkeln blickte er Juni im Zwielicht an. Er konnte kaum ihre Augen sehen. Doch er erkannte den grimmigen, entschlossenen Ausdruck darin und sah wie sich ihre Lippen zu einem schmalen Lächeln verzogen.
Stoff raschelte und sie umarmten sich fest und innig. "Es wird funktionieren. Verlass dich drauf. Alles wird gut." Juni nickte an seiner Schulter, dann trat sie einen Schritt zurück und wischte sich kurz über die Augen. "Heb dir die Tränen für die Übergabe auf, Kleines. Das macht das Ganze noch glaubhafter." Sie lachte auf. Atlas klopfte Marley auf die Schulter. "Na kommt, ihr verdreckten Geiseln. Wir haben einen Job zu erledigen."
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The Parrots - Eine Rebellion
FantasyJuni ist die Tochter des einflussreichsten Mannes der Stadt. Als sie und ihr Bruder von der Rebellengruppe The Parrots als Geiseln genommen werden ahnt sie nicht wer ihr Vater wirklich ist - und dass sie schon sehr bald entscheiden muss ob sie den e...