Kapitel 19 - Dumme Fehler

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Er erwachte mit Juni im Arm. Es war das schönste Gefühl das er seit Langem gespürt hatte. Er sah zu Juni hinab, sah wie ihre Wimpern auf den sommersprossigen Wangen ruhten und sie ab und zu im Schlaf die Nase rümpfte. Ihr Atem ging ruhig und sie schmiegte sich noch immer an ihn. Sie war das schönste Wesen der Welt.
Henry hatte bereits Beziehungen hinter sich. Nie etwas ernstes. Nie etwas das ihn mitriss. Aber an diesem verschlafenen Morgen beschloss er, Juni nie mehr loszulassen. Heute war er sich sicher; er würde auf ihrer Seite stehen wenn es Hart auf Hart kam. Campbell konnte ihn mal. Er musste es Juni und den anderen nur noch schonend beibringen wer er wirklich war. Er schluckte. Eigentlich hatte er genau das letzte Nacht vorgehabt - doch Juni hatte ihm einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht.
Als er ihr versonnen eine verwirrte Locke aus der Stirn strich öffneten sich ihre Lider flatternd. "Ich wollte dich nicht wecken.", flüsterte er. Juni blickte ihn durch ihre großen Teichaugen an und lächelte verschlafen. "Hast du aber." Sie küsste ihn, kurz und leidenschaftlich, dann stand sie auf um ein Bad zu nehmen. Er blickte ihr wie paralysiert hinterher, wie sie ihren kurvigen - sehr kurvigen - Körper in eine Decke wickelte und das Wohnzimmer verließ.
Dann stand auch er auf und stieg die Stufen zu seinem Zimmer hinauf. Doch als er die zu seiner Verwunderung nicht abgeschlossene Tür ausdrückte fiel die gesamte wohlige Wärme der letzten Nacht von ihm ab - denn Bruno saß auf dem Boden, den Rücken an das Bett gelehnt, die Beine an die Brust gezogen und den Kopf in den verschränkten Armen vergraben. Henry erstarrte. Bruno sah auf als er ihn bemerkte, die Augen gerötet. Seinem Blick nach zu urteilen musste er sehr lange auf ihn gewartet haben. Und er war nicht gekommen. Er war nicht da gewesen.
Henry war kein Idiot. Es gab nur eines das seinen besten Freund so aufwühlen konnte - und dass Henry, im Gegensatz zu Bruno, unglaublich großen Mist gebaut hatte. Ihm wurde schlecht. Bruno schaute ihn ausdruckslos an. "Ich hab ihn einfach allein gelassen, Henry. Ich bin gegangen, und hab ihm wahrscheinlich das Herz rausgerissen. Ist es das, was du von mir verlangt hast?" Die Stimme seines Freundes war brüchig und dünn, doch Henry traf die Anschuldigung seiner Worte bis ins Mark. Bruno rappelte sich mit einem Mal auf. "Ich hab das hier deinetwegen getan, Henry. Ich konnte es ihm nicht sagen, also hab ich ihn sitzen lassen, ohne ein weiteres Wort. Und jetzt frage ich dich, Henry; Wo warst du die Nacht über?" Noch gestern Abend hatte er Bruno vor Atlas' großer Ansprache beiseite genommen und ihm eingebläut dass sie es entweder aufklären oder beenden mussten - sie beide. Genau das hatte er gestern mit Juni tun wollen, und dann war er schwach geworden. Er hatte sich mitreißen lassen. Er, der Meisterspion. Und Bruno, sein bester Freund Bruno, der liebevolle, freundliche Reporter, hatte dem Jungen für den er ernste Gefühle empfand eine schmerzhafte Anfuhr erteilen müssen.
Natürlich erwartete Bruno keine ernsthafte Antwort von Henry. Schließlich war er Reporter und hatte sich seine Story, mit der er wie immer goldrichtig lag, längst zusammengereimt. Und als Henry nicht protestierte oder eine plausible Erklärung parat hatte, die es ohnehin nicht gab, schüttelte Bruno nur den Kopf. Der Blick, mit dem er Henry bedachte, war so voller Abscheu dass es ihm wehtat. Bruno lachte einmal auf - knapp, humorlos, eiskalt. Es war wie ein Schlag. Und dann drückte er sich an ihm vorbei, ohne ein weiteres Wort. Die Tür fiel ein wenig lauter ins Schloss als nötig gewesen wäre. Es fühlte sich an wie der entscheidende Schuss bei einer Exekution.

Er versuchte den ganzen Tag Juni allein zu erwischen. Doch wenn er sie fand sprach sie gerade mit Atlas die letzten exakten Details des Plans durch, besserte minimale Schwachstellen mit seiner Hilfe aus, packte Ausrüstung für die Mission oder - und das war mit Abstand das Schlimmste - ließ sich von Rainn einige Wunden beibringen um keinen Verdacht zu erregen. Genau wie ihr Brunder hatte sie selbst darauf bestanden. Was alle den Zwillingen hoch anrechneten, obwohl es Henry gar nicht gefiel ihre Arme mit Blutergüssen und Quetschungen übersäht zu sehen.
Kurz sah er Juni als Twila ihr einen Stapel zerrissener Klamotten reichte, die sie und ihr Bruder zum Geiselaustausch tragen sollten.
Er folgte ihr als sie davonging, doch dann war sie auch schon wieder fort. Er verfluchte sich selbst, den gesamten Tag über. Bruno kam nicht aus seinem Zimmer. Lediglich beim Abendessen ließ er sich blicken - rührte jedoch kaum etwas an. Er sah kein einziges Mal von seinem Teller auf. Auch Flint war anwesend - doch er schien weit, weit weg zu sein.
Henry hatte alles vermaselt.
Er musste es in Ordnung bringen - irgendwie.
Und als Juni dann zu ihm kam - sie schmiegte sich kurz an ihn als er sein Geschirr in die Küche brachte - war es der denkbar ungünstige Zeitpunkt. "Ich bleibe heute Nacht bei den Mädchen. Wir besprechen unsere Vorgehensweise für morgen und übernachten bei Twila. Falls du mich besuchen wolltest oder so - das holen wir nach." Sie küsste ihn stürmisch und im nächsten Moment flog sie bereits davon. Sie hörte ihn nicht mehr als er ihr noch nachrief.
Auch Bruno war eben noch da gewesen, müde am Tisch lehnend - doch auch er war nun verschwunden. Bei Henrys Glück hatte er den Kuss auch noch beobachtet. Es war wie verhext. Irgendwann, nachdem er noch etwas ziellos im Haus umhergewandert war, zwang er sich ins Bett zu gehen und fiel in einen unruhigen Schlaf.

The Parrots - Eine RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt