Kapitel 25 - Familengeschäfte

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Joseph Campbell

Wenn man sagte dass dieser Abend ungewöhnlich verlief so untertrieb man gewaltig.
Als Joseph die Idee für dieses nette Fest gekommen war hätte er nie erwartet dass es so verlaufen würde.
Den gesamten Abend verbrachte er hauptsächlich damit mit seinen engsten Geschäftsleuten anzustoßen oder seinen liebsten Bekannten ein oder zwei - oder drei - Kurze zu trinken. Der Alkohol bewirkte dass er sich fühlte wie damals im Kriegsdienst. Wenn Bomben um einen herum explodierten und einem beinahe das Trommelfell zerfetzten. Wenn der Boden gefährlich zu schwanken begann und man sich irgendwo festhalten musste um nicht der Länge nach auf der Erde zu landen.
Er beobachtete die Gäste und entdeckte hin und wieder seine Kinder.
Seine wunderbaren Kinder.
Er war unglaublich froh dass sie wieder heil bei ihm Zuhause waren. Und sobald er das Geld, das dieser kleine Spion ihm versprochen hatte zurückzubringen, wiederhatte wäre endlich alles gut. Alles würde wieder seinen gewohnten Gang gehen. Das Geschäft lief gut - die Bordelle warfen einen enormen Gewinn ab. Zumindest war ihm das so berichtet worden. Joseph hatte schon längst Männer die alles für ihn in die Wege leiteten. Alles was er tun musste war Verträge zu unterschreiben, sich mit wichtigen Sklavenhändlern zum Tee zu treffen um Syphatien mit ihnen zu knüpfen und anschließend die Früchte seiner bequemen Arbeit zu ernten.
Der mächtigste Mann in Quintis erledigte doch nicht die Drecksarbeit.
Erneut sah er Victoria vorbeischweben.
Sie sah aus wie ihre Mutter, vorallem wenn sie ihr Haar glatt trug. Und wie immer durchfuhr Joseph bei ihrem Anblick ein schmerzhafter Stich.
Lydia Orwell, später Campbell war die schönste Frau auf der Welt gewesen. Campbells große und einzige wahre Liebe. Wie sehr wünschte er sie sich nun an seine Seite. Doch die Götter hatten sie schon lange zu sich geholt. Joseph war es ein Rätsel wie er diese Welt bereits elf Jahre ohne sie ertrug.
Er dachte an das bezaubernde Lächeln seiner Frau. Wie sie Witze erzählte und ihn neckte, bis er rot wurde und ihm anschließend einen stürmischen Kuss aufdrückte. Ihr langes braunes Haar und die intelligenten dunklen Augen, die ihn stets hatten lesen können. Sie hatte ihn immer am besten gekannt. Immer wenn er damals von anstrengenden Arbeitstagen in ihre kleine Wohnung hinaufstieg, die sie damals noch bewohnten, erwartete sie ihn mit einem Abendessen und einem offenen Ohr.
Damals, vor all diesen Jahren, konnte er sein Glück kaum fassen.

Dazu musste man wissen dass Joseph und Lydia sich bereits seit Kindheitstagen kannten. Er erinnerte sich an das kleine Mädchen mit der Zahnlücke und den frechen Sprüchen. Nach der Schule hatten sie sich aus den Augen verloren, doch das Schicksal wollte es dass sie sich Jahre später wiedertrafen. Mitlerweile war Joseph ein einfacher Bankangestellter der von früh bis spät im Büro arbeitete. Irgendwann beschloss er, da er allmählich an Stellung gewann, sich einen maßgeschneiderten Anzug anfertigen zu lassen. Er suchte eine kleine alte Schneiderei auf, die ihm empfohlen worden war wenn er nicht allzuviel für den Auftrag hinblättern wollte. Und als er den kleinen Laden betrat, dessen Wände über und über mit Stoffen und Borten behangen waren, erschien eine kleine stämmige Frau hinter dem Tresen. "Sie wünschen, mein Herr?" Sie war jung. Und bildschön. "Ich würde mir gerne einen Anzug schneidern lassen. Einen einfachen. Für die Arbeit." Damals lernte Joseph erst selbstsicher aufzutreten. Denn als pummeliger Junge mit Sehschwäche ist man meist mit wenig Selbstvertrauen gesegnet. Die junge Frau trat hervor und bat ihn zur Maßabnahme. Sie sprachen kaum, denn obwohl Joseph mit achtundzwanzig noch immer alleinstehend war brachte er einfach nicht den Mut auf sich mit der Frau zu unterhalten. Sie schien ein paar Jahre jünger zu sein als er, vielleicht um die fünfundzwanzig. Sie ging vor ihm in die Knie und maß die Länge seiner Beine. Joseph gab sich größte Mühe nicht hinzusehen. Als sie seinen Brustumfang maß entwich ihm ein undefinierbaren Laut. Sie hielt inne und sah zu ihm auf. "Ich rate Ihnen sich zu entspannen. Ansonsten könnte der Anzug zu eng werden." Mit einem Ruck brachte sie ihn dazu gerade zu stehen. "Ja, ja natürlich. Tut mir leid, Miss. Ich tue alles was sie sagen.", beeilte er sich zu sagen. Sie sah ihn an und dann lachte sie laut auf. "Sind Sie immer so schüchtern?" Als er rot wurde verging ihr das Lachen. "Oh, Verzeihung. Das war ziemlich unhöflich. Ich rede oft einfach drauf los. Bevor ich zu Ende gedacht habe sind die Worte bereits raus. Kennen Sie das?" Joseph starrte sie an. "Eher weniger. Sie haben nämlich recht; ich bin schrecklich introvertiert. Reden gehört nicht zu meinen Stärken." Er lächelte schief. Die Frau lächelte ebenfalls. "Dann sollten Sie anfangen sich mehr zuzutrauen.", sagte sie und trat zurück. "Aber glauben Sie mir, Kleider machen Leute! Sobald sie ihren neuen Anzug haben werden Sie sich wie ein anderer Mensch fühlen." Die Frau trat hinter den Tresen und blätterte in einer Kartei und zeigte ihm verschiedene Stoffe. Als alles ausgewählt war bat sie ihn um seinen Namen und Adresse, um ihn benachrichtigen zu können wenn der Anzug fertiggestellt wäre.
"Joseph Campbell. Ich wohne nicht weit von hier im ..."
"Joseph? Joey Campbell?", unterbrach sie ihn, die Augen ungläubig aufgerissen. Er blinzelte verwundert. "J-ja, wieso?" Nun breitete sich ein Grinsen auf ihren Lippen aus. "Weil wir zusammen zur Schule gegangen sind. Ich bin Lydia, Lydia Orwell. Ich war ein paar Stufen unter dir. Ich war das kleine Mädchen mit der Zahnlücke -"
"Ich weiß wer du bist.", schnitt nun er ihr das Wort ab, denn es war ihm soeben aufgegangen wen er da vor sich hatte. "Das ist ja Jahre her! Was hast du so getrieben? Schön, dich wiederzusehen. Du hast dich ganz schön verändert." Lydia stemmte die Hände in den kurvigen Körper. "Ja, nicht? Du aber auch. Ich hätte dich fast nicht erkannt. Du bist ja ein verdammter Riese geworden. Ich arbeite schon ein paar Jahre hier als Schneiderin. Bist du wirklich in die Bürowelt gegangen?" Er nickte. "Nach dem Kriegsdienst, ja. Ich bin noch dabei mich hochzuarbeiten. Sowas dauert eben." Sie nickte. "Alles kommt mit der Zeit.", erwiderte sie geheimnisvoll. Dann überlegte sie einen Moment und schrieb sich seine Adresse auf. "Was hältst du davon wenn ich dir den Anzug persönlich vorbeibringe wenn er fertig ist? Vielleicht lädst du mich ja dann auf eine Tasse Kaffee ein?" Zu sagen dass Joseph sein Glück kaum fassen konnte wäre hochgradig untertrieben gewesen.
Etwa zwei Wochen vergingen und als er bereits die Hoffnung aufgab und sich damit abzufinden versuchte dass sie es sich doch anders überlegt hatte klopfte es an der Tür seiner kleinen Einzimmerwohung.
Und dann stand sie vor ihm.
"Hallo Joey. Hast du Zeit für einen Kaffee?"

The Parrots - Eine RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt