8 - Das Mal am Flussbett

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Das Mal am Flussbett

Phillip hatte sich nach der Arbeit in der Schmiede sofort auf den Weg gemacht und beschlossen, das Ganze so schnell wie möglich hinter sich zubringen. Er hasste Verabschiedungen. Ausserdem wollte er nicht, dass Penny sich wieder unnötige Sorgen machte. Obwohl er schon bald volljährig war, hätte Penny ihn niemals alleine aus dem Dorf gelassen, aus Angst, dass er sich etwas antun würde, was natürlich grösster Müll war. Er hatte zwar öfters darüber nachgedacht, doch war zum Schluss gekommen, dass ihm der Mut dazu fehlte. Dazu kam, dass Helena das wahrscheinlich nicht verkraftet hätte und er ihr das Leben nicht noch schwere machen wollte.

Der Boden unter seinen Füssen wurde langsam matschig und war teilweise mit einer feinen Eisschicht bedeckt. Er folgte dem Pfad hinter der Mühle und stand ein paar Minuten später vor einem grossen abgebrannten Feld. Der Boden war noch immer schwarz gefärbt und einzeln standen kläglich abgebrannte Stoppeln traurig da.

Der Abend ging nicht aus seinem Kopf. Immer wieder sah er sich in seinen Träumen über die Wurzeln taumeln und das Gefühl kam in ihm auf, dass er wieder mit dem Kopf nach unten im Wasser lag und keine Luft bekam. Er stand atemlos vor dem Feld und starrte auf das Feld. Während er so da stand und in die Ferne blickte, kam ein kalter Wind von Norden auf.

Erst dachte er, es sei ein Holz, das am Boden lag und sich bewegte, doch als er genauer hinsah, merkte er, dass es ein kleiner menschlicher Körper war, der sich auf dem Boden bewegte. Phillip konnte sich nicht rühren und versuchte klar zu denken. Die Person, die auf dem kalten, gefrorenen Boden lag, musste ein kleines Kind sein. Was tat es hier draussen?

In der Ferne erklang ein klägliches Kreischen, das ihn zusammen zucken liess. Ihm wurde kalt. Er blickte zum Waldrand dahinter und sah eine grosse Gestalt hinter den Bäumen hin und her schlich. Was genau es war, konnte er auf die Entfernung nicht feststellen. Es wirkte nicht wie die Gestalt eines Tieres, noch eines Menschen. Alles zog sich in ihm zusammen und er sah wie ein Schwarm schwarzer Vögel weit über dem sich windenden Kind kreiste.

Ohne gross über seine Taten nachzudenken, rannte er auf das Feld. Die abgebrannten Stoppeln brachen unter seinen Schritten und der gefrorene Boden knirschte. Er spürte die plötzliche Kälte, die wie Eiszäpfen gegen seine Brust hämmerte, und wie ihn seine ganze Kraft verliess. Trotzdem kämpfte er sich vor bis zu dem zusammengekrümmten Körper im Feld. Als er ankam, packte ihn das Entsetzen.

Vor ihm lag ein Kind mit verbranntem Gesicht und klaffenden Wunden an seinen ausgehungerten Armen und Beinen. Es war bleich und schien nicht mehr zu atmen. Seine pechschwarzen Haare hingen ihm über die Augen, so dass Phillip nicht ausmachen konnte, wer es war. Es trug ein Leinhemd und seine nackten Füsse waren geschwollen und zerkratzt. Mit zitternder Hand strich er dem Jungen die Haare aus dem Gesicht und wurde im nächsten Moment zu Boden geworfen. Der Schrei blieb ihm im Halse stecken. Über ihm kniete der Junge. Der Wind blies ihm seine schwarzen Haare aus dem Gesicht und machte somit das schwarze Mal auf seiner Stirn sichtbar, was wie ein rundes Loch zwischen seinen Augen lag. Seine Augen wirkten glasig und leblos, trotzdem erschien es Phillip so, als würden die dunklen Augen mit stechendem Blick direkt in ihn hinein blicken. Der Junge öffnete sein Mund und zeigte all seine schwarzen, verfressenen Zähne, während seine Finger sich mit einer unnormalen Kraft in Phillips Schulter bohrten.

Er konnte kaum noch atmen. Am liebsten hätte er die Augen geschlossen und sich eingeredet, dass es nur einer seiner Albträume wäre. Doch er konnte es nicht. Das Gesicht des Jungen kam ganz nahe an das seine und plötzlich fing er an zu sprechen.

„Ihr habt meinen Sohn getötet", flüsterte eine tiefe Stimme, welcher überhaupt nicht zu einem Jungen passte. „Ihr habt ihn in den Flammen untergehen lassen. Meinen Sohn."

Black BirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt