12 - Thomas

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Thomas


Anita sass in ihrem Zimmer und summte leise vor sich hin. Mit einer Rabenfeder ritzte sie Gesichter auf ein Pergament. Sie vermisste ihr Zuhause und die Möglichkeit regelmässig sich waschen zu können. Seit sie hier ist, hatte sie noch kein einziges Mal sich waschen können und Gaston hatte ihr stirnrunzelnd erklärt, dass sie in jeder Woche nur einmal die Möglichkeit haben würde sich waschen zu können. Eine arrogante Damen, die sich mit ihm unterhalten hatte, hatte sie von oben bis unten gemustert und gemeint, dass selbst von jeden Tag waschen der Schmutz nicht von ihrer Haut gehen würde.

Sie legte die Feder zur Seite und seufzte. Weshalb behandelten sie die Bewohner so. Als sie mit Mirko zur Verteilung der Nahrung gegangen war, hatte man sie von allen Seiten gemustert und in der Menge hatte man sie absichtlich hin und her gestossen. Man hatte Beleidigungen ihr zu geflüstert und kleine Kinder waren kichernd dabei gewesen Lieder über sie zu reimen. Erst als Mirko in Tränen ausgebrochen war und den Korb nach einem kleinen Kind geworfen hatte, hatte die Menge geschwiegen.

Nichts wünschte sie sich sehnlicher, als endlich wieder nach Hause zu gehen, und sie überlegte, ob sie vielleicht einfach heute Nacht klangheimlich verschwinden sollte, dorthin wo man sie nicht verabscheute, sondern tolerierte. Doch dann dachte sie an Mirko und musste mit schwerem Herzen einsehen, dass er am Boden zerstört sein würde, wenn sie jetzt gehen würde. Er war vom ersten Moment an ziemlich stark besessen von ihr gewesen und folgte ihr eigentlich jeden Tag auf Schritt und Tritt. Erst hatte sie es nicht wirklich nachvollziehen können, erst später hatte sie begriffen, dass er alleine war, obwohl es so viele Kinder in diesem Dorf gab. Die Leute im Dorf wichen ihm aus und wenn ihre Kinder mit ihm spielen wollten, zog man sie mit bösen Blick von ihm weg.

Sie blickte auf das Pergament. Ihre Mutter blickte ihr darauf in aller ihrer Anmut entgegen. Die gelockten Haare waren kunstvoll hochgesteckt und sie blickte lieblich in die Weite. Sie sah ihrer Tochter zum Verwechseln ähnlich. Sie hatte die selben, unglaublich dunklen Augen und weiche Gesichtszüge.

Es klopfte gegen die Türe und Anita schreckte aus ihren Gedanken. Mit einem Satz war sie vom Bett gesprungen und die Feder fiel zu Boden. Sie legte sie wieder auf die Decke und ging zur Tür. Als sie sie öffnete, war sie erst etwas verwirrt.

Vor ihr stand das Mädchen, das sie an ihrem ersten Morgen gesehen hatte. Helena war nervös und zwang sich zu einem Lächeln.

„Guten Morgen", begrüsste sie Anita und musterte sie von oben nach unten.

Anita hatte ihre Haare heute in der Eile bloss zu einem lugen riesigen Knoten zusammengebunden und vereinzelte Locken hingen ihr wirr ins Gesicht. Sie hatte dicken Wollensocken an und ein Wollmantel lag auf dem Bett. Mit zusammengekniffenen Augen sah Helena sie an. Etwas stimmte hier nicht. Niemand konnte sich Wollensocken und einen solch dicken Mantel leisten. Niemand, der in dieses Dorf kam.

„Guten Tag."

Das Mädchen streckte ihr die Hand entgegen. „Mein Name ist Helena!"

Anita blickte sie etwas verwirrt an und nahm schliesslich ihre Hand zögernd entgegen.

„An...Maria", murmelte sie.

Helena sah sie fragend an und Anita trat zurück. „Wollen Sie eintreten?"

Sie schritt an ihr vorbei und blickte sich im Zimmer um. Mehr als ein Bett, eine Kommode, ein Schrank und ein kleiner Sessel hatte keinen Platz in dem kleinen Zimmer und sie setzte sich auf den braunen Sessel am Fenster. Anita schloss etwas zögerlich die Türe und setze sich auf das Bett.

„Darf ich fragen, weshalb Sie ausgerechnet mich aufsuchen?"

Weshalb sie so förmlich angesprochen wurde, wusste Helena nicht wirklich und sie strich sich verlegen über das Haar. Wie dumm sie gewesen war, hier her zu kommen. Sie richtete sich etwas auf und dachte an Phillips Worte. Unbewusst schüttelte sie den Kopf, als sie wieder den ziehenden Schmerz in ihrer Brust fühlte.

Black BirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt