27 - Wenn die Welt sich dreht

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Wenn die Welt sich dreht

Helena starrte aus ihrem Fenster. Offizier Claudios war erst gerade vor ihrer Türe gestanden und hatte ihr mitgeteilt, dass es in jedem Moment zu Abend geben würde. Obwohl sie gewusst hatte, dass ihre Mutter es auf keinen Fall nach unten schaffen würde, hatte sie ihn nicht um Hilfe gebeten. Dafür war sie zu stolz gewesen.

Ihre beiden Geschwister lagen schon in ihren Betten und schliefen. Anna lag dagegen hellwach auf ihrem Bett und sah seit Stunden an die Decke.

Rote Streifen zogen sich über den Himmel. Es wurde langsam immer wie dunkler. Die Nacht brach ein. Sie zog ihre Beine an. Ihr Rock war verschmutzt und sie hatte bisher noch keine Zeit gefunden sich zu waschen.

„Kannst du mir nachher etwas hochbringen?", fragte ihre Mutter leise.

Sie wandte den Kopf und nickte. „Natürlich."

Ihre Stoffsäcke mit ihren wenigen Habseligkeiten lagen an ihrem Bettende. Sie zog einen näher zu sich und öffnete ihn. Im Sack waren ihre einzigen Kleider verstaut. Mit einem flaumigen Gefühl zog sie ein weisses Kleid mit Spitze aus dem Sack und hob es hoch. Sie warf einen Blick zu ihrer Mutter, diese lächelte.

„Mein Hochzeitskleid. Es sollte dir gehören", flüsterte sie beinahe lautlos.

Helena seufzte. „Das wirklich lieb von dir, Mutter", murmelte sie und legte es auf ihr Bett. „Nur ist es vielleicht unnötig."

Bei diesem Satz musste sie schlucken. Es war nötig. Irgendwann würde man über ihr Vergehen Bescheid wissen. Irgendwann würde man sie dafür zum Tode verurteilen, das konnte sie deutlich spüren. Bevor ihre Mutter etwas erwidern konnte, läutete unten die Glocke. Rasch richtete sie sich auf und öffnete die Türe.

„Ich bringe dir das Abendessen hoch, versprochen", sagte sie ihrer Mutter und huschte in den Gang.

Auf halbem Weg nach unten traf sie auf Phillip. Er sah mitgenommen aus und schien nicht wirklich seine Ruhe gefunden zu haben. Neben ihm stand ein blonder Junge, dessen Augen immer wieder verstört hin und her huschten.

Ein leichtes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen, als er sie erblickte und sie zwang sich zu einem ebenfalls erleichterten Gesichtsausdruck, doch sie hatte das Gefühl, dass er ihr deutlich misslang. Doch Phillip sagte nichts, sondern umarmte sie ohne Begrüssung. Sie atmete in seinen Armen tief durch. Es fühlte sich so gut an in seinen Armen zu sein, obwohl sie genau wusste, wie falsch dieses Gefühl war. Er liess sie auch viel zu früh wieder los und sie gingen gemeinsam die restlichen Treppen bis in den Gemeinschaftsraum hinunter.

„Hat sich deine Mutter ausgeruht?", fragte er und der blonde Junge blickte sie neugierig an.

Sie zuckte mit den Schultern. „Sie hat vorhin glaub geschlafen."

Besorgt musterte er sie von der Seite und seufzte. „Hast du dich etwa nicht ausgeruht?", hackte er nach.

Verärgert rollte sie mit den Augen.

„Ich war nun mal nicht müde."

Phillip sagte nichts mehr dazu und drehte sich zu dem blonden Jungen um, der nun wieder auf seine Füsse starrte und plötzlich niedergeschlagen und traurig wirkte.

„Das ist Helena", sagte er zu ihm und der Junge blickte auf. Seine Augen musterten Helena eingehend und er nickte. „Sie ist meine beste Freundin."

Helena rang sich um ein freundliches Lächeln, doch seine Worten fühlten sich noch immer wie Messerstiche an. Rasch wandte sie den Blick ab und studierte die Wände.

Black BirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt