47 - Schweren Herzens

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Schweren Herzens


Heute war es so weit. Die Glocken schallten in hohen Tönen durch die Stadt und man konnte die Vorfreude der Bevölkerung bis zum Palast hören. Es wurden Fahnen aufgehängt und die Strassen mit Blumen geschmückt. Mütter zwangen ihre Töchter in enge Kleider aus Seide und zogen an ihren Haaren, um sie zu kunstvollen Frisuren zu flechten. Heute arbeitete keiner. Jeder putzte sich für die grosse Stunde heraus und Frauen kochten in den Küchen Festmahle für den Abend. Kinder rannten in neuen Hosen durch die Strassen.

Anita stand auf ihrem Balkon und starrte auf den See. Er lag still und unheimlich in der Ferne und sie spürte, wie ihr bei seinem Anblick übel wurde. Er verbarg eines ihrer grössten Geheimnisse. Eines dieser Geheimnisse, die sie hoffte, nie wieder erleben zu müssen.

Heute war ihr Tag. Doch bei dem Gedanken war ihr nicht wohl. In ihrem Bauch kribbelte nicht die Vorfreude, wie sie es sich tausend Mal ausgemalt hatte. Da war nur eine schmerzende Leere und sie versuchte die letzten Sekunden ihrer Freiheit zu geniessen. Noch heute Abend würde sie mit Jeremy in den Norden fahren, um dort ihr Leben an seiner Seite weiterzuführen.

Sie drehte sich vom Fenster weg und ihr Blick fiel auf das Brautkleid, das auf ihrem Bett lag. Es war weiss und wunderschön, trotzdem wirkte es auf sie wie eine Fussfessel eines Gefangenen, der jeden Moment auf seine Hinrichtung wartete. In wenigen Stunden war ihre Hochzeit, ihre Hinrichtung.

Sie fühlte sich schwer und erschlagen. Rasch wandte sie den Blick und trat auf den Balkon, um der erdrückenden Hitze im Zimmer zu entkommen. Die restlichen Stunden verbrachte sie damit auf dem Balkon zu sitzen, über ihr Leben nachzudenken, sich mit Büchern abzulenken und sich an Helenas Worte zu erinnern. Immer wieder fragte sie sich, ob sie wohl Recht hatte und sie ein egoistisches Miststück war, das lieber ihr Leben rettete, als das tausend anderer.

Doch die Magd, die eintrat, unterbrach ihre Gedanken. Während sie ihr ein Bad einlaufen liess, sprachen sie kaum ein Wort mit einander. Erleichtert tauchte Anita im heissen Wasser ab und schnitt sich vom Rest der Welt ab, während sie sich auf den Grund sinken liess mit geschlossenen Augen. Ihre Locken schwebten neben ihr und sie fühlte sich zum ersten Mal seit Tagen entspannt. Ihre Muskeln lockerten sich und die Nackenschmerzen lösten sich langsam auf. Sie öffnete ihre Augen und atmete aus. Luftbalter stiegen an die Oberfläche und der Lavendel brannte in ihren Augen. Sie stiess sich vom Boden ab und kam keuchend an die Oberfläche. Mit dem Daumen strich sie sich das Wasser aus den Augen und lehnte sich zurück. Die Spiegel reflektierten den kleinen Lichtstrahl, der durch den dünnen Spalt zwischen der Türe ins Badezimmer schien, und die Blumen waren ausgewechselt worden. Lavendel, Rosen und Tulpen standen in den einzelnen Gläsern.

Sie griff nach der Dose, die auf dem Rand stand. Wehmütig fing sie an, sich die Maske im Gesicht zu verteilen. Der Duft von Lavendel brannte ihr in der Nase und sie schloss die Augen. Die Creme auf ihrem Gesicht kribbelte und reinigte alle Poren.

Nach einigen Minuten tauchte sie wieder ab, um die Maske von ihrem Gesicht zu waschen, und suchte mit einer Hand nach der Rosenseife. Langsam fing sie an, sich am ganzen Körper einzuseifen und inhalierte den Duft von Lavendel und Rosen. Gedankenverloren fuhr sie sich mit dem Kamm durch die Haare, bis sie ihr in gleichmäsigen Locken über die Schulter fielen und ins Wasser sanken. Müde liess sie die Arme sinken und tauchte sie ins Wasser. Sie zog langsame Kreise mit ihrer Hand und seufzte.

Dann stiess sie sich vom Rand ab und schwamm auf die gegenüberliegende Seite. Sie drehte sich zu der anderen Seite um und hielt sich mit ihren Armen am Rand fest, bevor sie tief Luft holte, abtauchte und wieder zurückschwamm. Ihre Muskeln waren längst nicht merh so angespannt, wie zuvor.

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