34 - Retter

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Retter


Noch bevor sie jedoch komplett über den Rand in die Tiefe glitt, packte sie jemand an der Hüfte und zog sie mit Kraft auf den Boden. Die Stimme kreischte wütend. Alles drehte sich und Helena brach zusammen. Sie weinte wie ein kleines Mädchen.

Ihr Retter zog sie an seine Brust und sie weinte sein Hemd voll. Ihr Herz schepperte bei jedem Atemzug und stach, doch sie konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Die Tränen rollten ihr ununterbrochen über die Wange und die Nase. Sie schniefte. Obwohl alles  um sie verschwamm, konnte sie klar denken. Sie wollte springen! Sie wollte sich das Leben nehmen! Fassungslos darüber, dass sie für diesen kurzen Augenblick keine andere Lösung gefunden hatte, starrte sie mit Tränen vor sich hin.

Sie wurde enger an die Brust gezogen und sie spürte, den regelmässigen Atem ihres Retters in ihrem Nacken. Langsam beruhigte sie sich und nahm seinen Rhythmus an. Sie atmeten gleichmässig und sie fühlte sich elend. Sie war erschöpft vom Weinen und wollte einfach nur noch schlafen. Sie schloss die Augen und atmete den Duft ihres Retters ein. Er roch nach Blumen.

Er strich ihr über das Haar und sagte nichts. Er hielt sie einfach in seinen Armen und schwieg. Nach einer Weile, richtete sie sich etwas auf und drehte langsam ihren Kopf. Sie starrte in dunkle Augen.

„Was ist passiert?", fragte Offizier Claudios leise, während er seine Hand zurückzog.

Sie wandte den Blick ab. Es war ihr peinlich, dass er sie so auffinden musste. Und vor ihr selbst retten musste.

„Nichts", log sie murmelnd und rückte etwas von ihm weg. Als sie seine Berührungen nicht mehr spürte, wurde ihr kalt.

Er richtete sich etwas auf und sah sie besorgt an. „Das glaub ich dir nicht. Du wolltest dich gerade umbringen, Helena. Das ist nicht nichts. Ich mach mir wirklich langsam Sorgen um dich."

Sie zuckte bei seinen Worten zusammen. Wenn er es aussprach, klang es noch viel schlimmer, als das sie es empfand. Sie senkte etwas beschämt der Kopf. Sie war gebrochen und nicht mehr zu heilen. Helena wusste, dass er es sehen konnte. Sein Blick schien bis zu ihrem Herz durchdringen können. Er sah all die kleinen Splitter.

„Ich weiss nicht, was passiert ist", flüsterte sie schliesslich. Und es entsprach der Wahrheit. Sie wusste nicht, wie es sein konnte, dass sie soweit gegangen war. Dass sie sich umbringen wollte. Bei dem Gedanken schauderte es sie.

Er nickte langsam, wandte seinen Blick trotzdem nicht von ihr. Dabei war Helena sich sicher, dass er genau wusste, wie sehr es sie in Verlegenheit trieb.

Sie richtete sich schwankend auf und strich mit zitternden Händen den Dreck von ihrem Rock. Mit gesenktem Blick richtete sie ihre Haare etwas und spürte ein schmerzhaftes Ziehen an ihrem Knie. Sie versuchte es zu ignorieren und es sich nicht anmerken zu lassen, als sie zum Haus lief, doch Offizier Claudios fiel es sofort auf. Er ging ihr hinter her und überholte sie. Besorgt sah er sie an und stellte sich vor sie. Ruckartig blieb sie stehen.

„Lasst mich durch. Ich würde mich gerne etwas ausruhen", forderte sie heisser und sah ihm dabei nicht in die Augen.

Er schüttelte den Kopf. „Ich habe dich verletzt, als ich dich herunter gezogen habe. Lass mich die Verletzung ansehen."

„Mir geht es gut. Ihr habt mich nicht verletzt", erwiderte sie und wollte schon an ihm vorbei huschen, als er nach ihrem Arm griff und sie umdrehte.

„Ich möchte mir die Verletzung ansehen. Bitte, lass mich wenigstens bei der Verletzung helfen. Du musst mir auch nicht sagen, was passiert ist."

Sie starrte auf seine Hand, die ihr Handgelenk sanft, aber bestimmt festhielt. Langsam holte sie nach Luft und blickte hoch in seine Augen. Sie funkelten im Licht der Sonne. Sie suchte darin nach irgendetwas, was sie dazu veranlassen würde, sich loszureissen und zu gehen, doch sie fand nichts. In seinen Augen lag nur aufrichtige Besorgnis. Und etwas anderes, was sie nicht einordnen konnte.

Black BirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt