43 - Drohungen

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Drohungen


Helena träumte schlechter. Obwohl sie in ihren Träumen nie ihrem Dämon erschien, waren die Träume dunkler geworden und sie fürchtete sich jeden Abend vor dem Einschlafen. Sobald sie ihre Augen schloss, tauchte sie in dunkle Schwärze ab, die sie Mitten in der Nacht aufschrecken liess. Dann war sie meist schweissgebadet und ihr Atem ging schwer.

Auch dieses Mal war es nicht anders. Als sie die Augen schloss und in Schwärze getaucht wurde, schoss ihr Puls in die Höhe. In der Dunkelheit blinkte ein Licht, doch sie wollte das Ende des Tunnels gar nicht erreichen. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn sie einfach weiterhin in der Dunkelheit schweben konnte und nichts träumte. Doch das Licht kam immer näher und schliesslich umhüllte es sie wie ein Mantel. Sie presste die Augen auf einander und schluckte.

Nach einigen Sekunden riss sie sie auf und schnappte nach Luft. Sie stand auf einer Klippe. Neben ihr schoss ein Wasserfall in die Tiefe und sie musste weit oben stehen, denn die Wolken umhüllten die Klippe so, dass sie nicht ausmachen konnte, was unter ihr lag. Um sie herum wuchs kein einziger Halm und der Stein unter ihren nackten Füssen war schwarz. Sie zitterte am ganzen Leib. Es war schrecklich kalt da oben und sie schlang die Arme um sich. Ihr weisses Nachthemd wurde vom Wind in alle Richtungen gezerrt und einzelne Wassertropfen spritzen ihr ins Gesicht.

„Mutter."

Vor ihr tauchte ein Mann auf. Seine Augen waren glasig und seine blasse Haut rissig. Sie wich erschrocken einen Schritt zurück. Der Mann trug einen schwarzen Umhang und einen Hut. Seine Haare waren ebenfalls schwarz und seine Augen musterten sie erfreut. Er war gross und überragte sie um einen halben Meter. Sein Körper wirkte eher schmächtig und schmal. Seine Arme waren dünn und sie hatte das Gefühl unter seiner dünnen Haut jeden einzelnen Knochen zu erkennen.

Die Angst musste in ihrem Gesicht deutlich erkennbar sein, denn der Mann lachte nur auf und zog hinter seinem Rücken einen eleganten Gehstock hervor, dessen Knauf aus Silber bestand. Er kam etwas auf sie zu.

„Es freut mich sehr, dass du mich aufgesucht hast", sagte er mit kratziger Stimme und lächelte. Seine Zähne waren makellos, doch sie glaubte erkennen zu können, dass sie kleine Spitzen hatten. „Der Ort hier ist doch so freudlos. Folg mir. Ich zeige dir einen angenehmeren Ort. Ich will ja nicht, dass du mir erfrierst."

Helena wusste nicht, was sie sagen sollte. War dies der selbe Dämon, den sie gesehen hatte? Dieses Wesen, das Meter über dem Boden schwebte? Das Wesen mit den rabenschwarzen Fangzähnen und roten Augen? Einen Augenblick überlegte sie, ob sie einfach Anlauf nehmen sollte und über die Klippe springen, um aufzuwachen, doch als hätte er ihren Gedanken gelesen, schüttelte der Mann den Kopf.

„Das würde ich an deiner Stelle nicht tun. Auch wenn es ein Traum ist, du würdest dir sämtliche Knochen brechen. Du wachst erst auf, wenn ich das will."

Sie schluckte und folgte jeder seiner Bewegungen. Was wollte er von ihr? Er lief an ihr vorbei und deutete ihr ihm zu folgen. Zitternd folgte sie ihm über den kalten Stein. Einige Meter hinter der Klippe war ein riesiger Tannenwald. Die Tannen waren hoch und dicht. Der Mann schob einen Ast zur Seite und drehte sich zu ihr um.

„Die Nadel tun weh", sagte er und lächelte. „Bitte mich darum und ich werde dir helfen."

Sie blickte tiefer in den Wald und sah, dass der Boden von den spitzen Tannennadeln übersäht war. Es würde höllisch wehtun, mit nackten Füssen darüber zulaufen. Es ist nur ein Traum, wisperte eine Stimme in ihrem Kopf. Trotzig hob sie das Kinn an und folgte ihm in den Wald. Er lachte leise vor sich hin. Niemals würde sie ihn darum bitten, ihr die Schmerzen zu nehmen.

Black BirdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt