Zweifel

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7. K A P I T E L ║Zweifel

»Sie werden sich erheben.«




Touko stellte die Tagebücher vorsichtig zurück und sah sich nach anderen Bänden um. Weder im Fach des Schreibtisches lag ein weiteres, noch in den zahlreichen Regalen des Raumes. Hatte G-Cis plötzlich aufgehört zu schreiben? Nein, das konnte nicht sein. Dafür war er sich zu wichtig.

Ein offenes Buch mit leeren Seiten sprang Touko ins Auge. Es lag auf dem Schreibtisch, vom Schein einer Kerze schwach beleuchtet. Daneben ein edles Tintenfass mit Schreibfeder, bereit, um Worte auf das Papier zu bringen. Touko fragte sich, wer heutzutage noch mit diesen antiken Werkzeugen schrieb, außer Hipster und Cheren natürlich, während sie das leere Blatt betrachtete, auf dem das Geschriebene von der vorherigen Seite leicht zu erkennen war. Ganz vorsichtig hob sie die Seite an und sah, dass sie beschriftet war. So wie der Rest des Buches.
Da war er – der letzte Band. Der, der noch nicht beendet war. Sie setzte sich in den an G-Cis' Fettarsch angepassten Sessel und begann zu lesen. Ihre Laune verschlimmerte sich mit jedem Wort, das sie las.

Isolation. Herrschaft. König. Pläne. Manipulation.

Toukos Wut auf G-Cis erreichte Ausmaße, die sie kaum kontrollieren und verdrängen konnte. Sie schwor sich, dass sie diejenige sein würde, die die letzten Zeilen des Buches schrieb. Mit seinem Blut natürlich.
Danach fragte sie sich, warum sie auf solche krankhafte Ideen kam und ob das vielleicht am mittelalterlichen Mobiliar lag.

ナチュラル

Dass sie ihre Wut auf G-Cis mit schneller Geschwindigkeit zu kompensieren versuchte, bemerkte Touko erst, als sie beinahe ein wildes Sesokitz über den Haufen fuhr und trotz Vollbremsung mit der Maschine mehrere Meter über die Straße rutschte. Die lange schwarze Bremsspur sprach Bände. Wie es Zoroark nach diesem Manöver in ihrer Tasche ging, wollte sie gar nicht wissen.
Das Sesokitz verschwand schnell im Wald und tauchte nicht mehr auf. »Verdammt!«, brüllte Touko ungehemmt, riss sich den Helm von ihrem Kopf und sah in den Himmel. Ein frischer Wind wehte hier in den Bergen auf der Route 6. Die dunklen Tannen und Fichten verschluckten das Licht der Sonne beinahe, selbst wenn es sich in den reißenden Flüssen spiegelte und die Brücken von unten in einem wirren Lichtspiel beleuchtete.
»Ich brauche eine Pause, Zoroark... Du kannst rauskommen.« Touko schwenkte ihr Bein zur Seite und stieg ab, wie ein steifer Baumstamm. Die Fahrt durch Marea bis hierher hatte einige Stunden gedauert.
Das kleine Wattzapf kroch hinaus, sprang in die Luft und verwandelte sich in der Zeit in den Mann Larry. »Siehst nicht gerade begeistert aus. Soll ich mal fahren?«, bot er ihr freundlich und auch ein wenig vorfreudig an.
»Netter Versuch«, brummte Touko und gönnte sich ein paar große Schlucke Cola. Sie zog eine Fratze, als die Flüssigkeit auf dem Weg nach unten in der Speiseröhre drückte und stieß einen beachtlichen Rülpser aus. »So ganz ohne Führerschein? Nicht, dass du mir noch einen Kratzer in den Lack fährst.« Sie zwinkerte ironisch und grinste.
»Gesundheit. Hätte ich mir denken können. Aber jetzt mal ehrlich Touko: Was bedrückt dich so sehr?« Er legte unauffällig eine Hand auf die Harley und stütze sich ab.
»Tolle Frage! Alles bedrückt mich gerade!«, motzte sie, lehnte sich ebenfalls an die Maschine und drehte sich schmollend weg. Ein Barschuft sprang aus dem Fluss unter ihnen und landete wieder laut platschend im klaren Gebirgswasser. Touko brauchte noch einen Moment, dann wurde sie wieder ernst und sah Larry tief in die Augen. »Ich weiß noch nicht einmal genau, warum ich losgefahren bin. Es ist jetzt ein Jahr her und ich bezweifle, dass N mir zuhören wird oder sich auf unseren dummen Plan einlassen wird. Und... Wie soll ich das alles schaffen? Mama hatte Recht. Ich sollte wieder nach Hause fahren und Plasma der Polizei überlassen. Ich habe wieder einmal zu schnell gehandelt. Ohne zu überlegen. Typisch Touko.« Sie ließ seufzend ihre Arme auf die Beine fallen und stieß sich von der Harley ab. Anschließend irrte sie ein paar ziellose Schritte über die Straße und genoss den Wind. »Selbst wenn dieser Typ in der Wüste gesagt hat, dass ich nicht alleine bin, bezweifle ich, dass die Menschen hinter uns stehen werden, wenn N nach ihnen ruft. Sie kennen sein Gesicht aus den Nachrichten und werden uns die Köpfe abreißen, wenn wir fordern, mit ihm als Anführer Plasma zu überrennen.«
Larry verwandelte sich wieder zurück in die Gestalt Zoroarks und begann mit der Gedankenrede: »Natürlich werden sie hinter uns stehen! Du wirst schon sehen«, hörte Touko in ihrem Kopf. Die Empfindung war voller Hoffnung und Naivität. Fast schon rührend dämlich. »Sie müssen nur wachgerüttelt werden! Und jetzt müssen wir schnell weiter, Touko. Denn ich habe eine Überraschung für dich organisiert! Sie wartet am Wendelberg und wird uns bei der Sache helfen.«
Die junge Erwachsene sah neugierig zurück und lächelte. Zoroark machte ihr so viel Mut. Durch die Kommunikation über Gedanken wirkten seine Worte viel intensiver. »Um wen oder was handelt es sich?«
Zoroark blieb still und entblößte seine spitzen Zähne. »Den Akkusativ«, meinte es belustigt.
»Du wirst mir langsam immer sympathischer«, gab Touko samt ausgestreckter Zunge zurück. »Bis zum Wendelberg dauert es aber noch ein paar Tage! Sehen wir zu, dass wir heute noch Panaero erreichen.« Sie ballte eine Faust und grinste entschlossen. An Zoroarks Versprechen musste etwas dran sein. Seine Gedanken waren so kraftspendend, dass Touko wieder genug Energie hatte, um weiterzufahren.
Was sie am Berg wohl erwarten würde?

ℕatural Numbers  [ Pokémon Schwarz / Weiß ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt