Überzeugen

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9. K A P I T E L ║Überzeugen

»Glückwunsch.«




Die nächtliche Schwärze hatte sich wie eine zähflüssige Masse über G-Cis' Anwesen gelegt und verschlang selbst die groben Makel im Gestein dieses Schlosses. Sie kroch unbeeindruckt vom künstlichen Licht durch die offenen Fenster, nahm lange, edle Flure ein und verzehrte die patrouillierenden Wachen.

Irgendwo in den abgelegenen Gängen, fernab von den Gemeinschaftsräumen und Unterkünften der Soldaten hatte sich die Schwärze so sehr festgesetzt, dass selbst das Licht zahlreicher Fackeln nicht ausreichend war, um den Weg zu beleuchten. Lange Schatten, verursacht von den Unebenheiten in den steinigen Wänden, zogen sich von einer Fackel zur nächsten.
Die regelmäßigen Schritte von G-Cis hallten durch die Dunkelheit, als er ohne Leibwache die scheinbar endlosen Korridore hinabging. Sein Gesicht war zerfurcht von Stolz und Ärgernis, seine Haltung war erhaben und gebrochen zugleich. Das, was ihn in den unterirdischen Kammern seines Schlosses erwartete, ließ ihn vorfreudig lächeln. Schon ganze zwei Tage lang hatte er auf diesen Moment gewartet. Dieser Zeitraum kam ihm wie eine Ewigkeit vor.
Nun stand er wieder vor der schweren Eisentür. Mit einem verrosteten Schlüssel entriegelte er sie und schob sie langsam auf. Dahinter befand sich ein kleiner, dunkler Raum.
Ein junger Erwachsener kauerte dort und hob mit scheinbar großer Mühe seinen Kopf, um dem einfallenden Fackelschein entgegenzublinzeln. Sein weißes Hemd war übersät mit Dreck und getrockneten Blutflecken, an seinen Handgelenken klafften Wunden.

G-Cis trat in die fensterlose Kammer ein und zog ihn ohne eine Spur Vorsicht oder Sanftheit auf die Beine. Als das nicht auf Anhieb funktionierte, da der Gefangene vor Schwäche kaum stehen konnte, stieß er ihn grob gegen die Wand und versuchte es dann erneut. »Gibt es Probleme?«, brummte G-Cis belustigt und betrachtete das emotionslose Gesicht seines Gegenübers. Mit den Händen an seinem Kragen zog er ihn näher an sich heran, nur um ihn dann wieder wegzustoßen. »Oh... Du bist so dürr und zerbrechlich. Mir erscheint es so, als hättest du mehrere Mahlzeiten versäumt?« Ein schiefes Grinsen legte sich auf die Lippen des Königs. »Wie bedauerlich. Ich biete es dir ein weiteres Mal an: Wenn du meinen Befehlen folgst, sollst du deine Mahlzeiten bekommen. Wenn du dich weigerst, darfst du zwei weitere Tage ohne Nahrung hier verbringen, denn dann bist du wertlos für mich. Habe ich mich klar genug ausgedrückt, Cheren?«

Es war kalt in den Verließen und ziemlich still. Verzweifelte Hilferufe verpufften ergebnislos an den rauen Wänden. Cheren wusste nicht, wo genau er sich befand. Ob es Tag war oder Nacht. Es war immer dunkel und er hatte dadurch jegliches Zeitgefühl verloren. Dieser ganze Aufwand war nur ein Versuch, seinen Willen zu brechen. Aber er wollte keiner von Plasma werden. Das stand fest.

»Wirst du meinen Befehlen nun folgen? Antworte mir!«, hakte der selbsternannte König von Team Plasma laut nach und schüttelte Cheren erneut. Dabei strahlte er trotzdem eine furchterregende Gelassenheit aus, als wüsste er bereits, wie sein Gefangener reagieren würde. Cheren war zu schwach, um sich zu wehren und wäre beinahe der Länge nach hingefallen, wenn nicht die Wand hinter ihm gewesen wäre, gegen die er sich fallenlassen konnte. Er schnaubte herablassend, nachdem er sich aufgerappelt hatte. Nur leise und ein wenig zögerlich. Mehr konnte er sich auch nicht leisten in der Gegenwart dieses Scheusals. Und mehr konnte er auch nicht tun, denn in ihm zog sich alles vor Angst zusammen. »Um was für Befehle handelt es sich, wenn ich fragen darf?« Mit seinen verdreckten Fingernägeln krallte er sich an die Wand, um ein wenig Halt zu gewinnen. Die Wunden an seinen Gelenken, verursacht durch die Fesseln von vor zwei Tagen, bluteten an vereinzelten Stellen wieder.
»Die Üblichen.« G-Cis nahm etwas Abstand und sah sich unbeeindruckt im Raum um. Seine langsamen Schritte hallten im Gewölbe wider.
»Werde ich irgendwelche Leben in Gefahr bringen?«
»Vermutlich.« Die Aussage klang wie eine Frage. G-Cis sah über seine Schulter zu Cheren zurück und musterte ihn angeekelt.
Cheren zwang sich zu einem weiteren Schnauben. »Niemals. Ich werde nichts tun, was-«
»Ist mir recht. Vielleicht sehen wir uns dann in zwei Tagen wieder. Das ist abhängig von deiner Gesundheit und der Laune des Wächters.« G-Cis machte auf dem Absatz kehrt. Er war in keiner Weise verärgert über die verzweifelten Versuche des Trainers, Widerstand zu leisten. Jedenfalls ließ er es sich nicht anmerken und stieg seelenruhig die Stufen zum Korridor hoch. In seinem langen Gewand, das dabei großflächig über den Boden gezogen wurde, hatte sich bereits Dreck festgesetzt. Gemächlich langsam verließ er die Zelle und begann damit, die Tür zuzuziehen.
Schon in diesem Moment schrie Cheren auf, versuchte zum immer schmaler werdenden Türspalt zu laufen, fiel und kroch gehetzt durch den Dreck. Das Licht der Fackeln nahm mit jedem Zentimeter, mit dem der schwere Stahl zugezogen wurde, ab. »Nein, nein. Nein! Halt! Bitte nicht!« Seine Stimme wurde lauter, flehender. Plötzlich fielen seine Maske, seine erhabene Haltung und sein Drang sich zu widersetzen von ihm ab. Mit aller Kraft, die ihm blieb, versuchte er dem lebenserhaltenden Licht näher zu kommen. Doch G-Cis schloss die Tür, raubte ihm somit das, wonach er sich sehnte und blieb gezwungenermaßen zurück in der kalten, erbarmungslosen Dunkelheit. »I-Ich schaffe das nicht! Ich werde folgen! Ich... Bitte...« Seine verzweifelten Schläge gegen die Eisentür waren schwächer geworden. Schließlich ruhten seine Hände am Boden, krallten sich haltlos in das nackte Gestein.

ℕatural Numbers  [ Pokémon Schwarz / Weiß ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt