Einsehen

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19. K A P I T E L ║Einsehen

»Bringt ihn raus. Wir nehmen ihn mit.«




N hatte eine recht große Nase, hohe Wangenknochen und einen blassen Teint. Das verlieh ihm dieses spießige Äußere. Er sah aus wie G-Cis. Nur nicht so verbittert und alt. Doch kaum lächelte er, glich er einem Kind, das in Schokolade baden durfte. Mit Kuchenstreuseln. Auf einem Riesenrad.

Touko seufzte und setzte sich auf die Bettkante. Warmes Sonnenlicht fiel auf den Teppich in ihrem Zimmer. Und auf N, der dort schlief, umringt von vielen herumfliegenden Staubpartikeln. Vermutlich hatte er es nicht lange im Bett ausgehalten und war im Halbschlaf geflohen. Touko nahm das nicht persönlich. Sie tapste nach viel zu langem Zögern mit der Decke zu N und legte sich neben ihn. Von dem Gewusel wurde er wach, blinzelte müde gegen das Licht. Seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem verschlafenen Lächeln, als er Touko eingewickelt in ihrer Decke sah.
»Guten Morgen, Prinzessin«, flüsterte sie und legte ihren Kopf auf seine Brust.
»Guten Morgen, Sushirolle«, grummelte er. »Oh. Ich liege auf dem Teppich.«
Sie spürte, wie seine Finger durch ihre Locken fuhren und sich über den Nacken bis hin zum Rücken unter die Decke bewegten. Es wurde ziemlich warm darunter, daher schlug sie die Decke weg und rückte stattdessen näher an N heran.
»Habe ich dich getreten?«, fragte sie wohl wissend.
»Mhm. Zweimal.« N streckte träge seine Glieder.
»Entschuldigung.« Touko musste lächeln. Es konnte gut sein, dass sie versehentlich ihr Knie zwischen seine Beine gehauen hat. Denn eigentlich hatte sie ja das ganze Bett für sich und wenn plötzlich ein unruhiges Etwas darin lag, konnte sie ihre unglaubliche Macht ja gar nicht bändigen. Oder sie hatte mal wieder von Roundhouse-Kicks geträumt und sich für Chuck Norris gehalten.
Da N damit begann, dürstend nach Rache in ihre Seite zu stechen, löste auch Touko eine Hand und schob sie ohne Umschweife unter sein Shirt. Seine Muskeln spannten sich unter ihren neckenden Berührungen an.
»Ich konnte nicht still liegen. Es war womöglich meine Schuld«, kam es gepresst aus ihm heraus. Da N nichts anderes übrigblieb, als mit erhobenen Händen zu kapitulieren, begann er wieder damit, friedlich an ihren Haarsträhnen zu spielen. Er war unnormal kitzelig. Vielleicht war das ein Resultat der Isolation von damals?
»Wie macht man das eigentlich, N?«
»Was?« Toukos braune Strähne zwischen seiner Oberlippe und Nase fiel zurück.
»Mit Pokémon sprechen.« Sie legte sich auf die Seite und sah ihn interessiert an. »Wie macht man das?«
»Hiermit.«
»Das ist mein Busen.«
»Nein, das ist dein Herz.«
»Nein, N.«
»Aber...«
»Es ist immer noch nicht mein Herz.«
Er zog seine Hand zurück und starrte sie verwirrt an. »Aber das Herz befindet sich genau dort. Hinter Haut, Fettgewebe, Brustkorb und Lunge.«
»Ich weiß. Ich bin nicht blöd.« Weil sie ihm unsanft in den Bauch stieß, wurde N vorsichtig und schaltete in den Analysemodus.
»Ich wollte dir nur zeigen, wie ich die Stimmen höre.« Sein Blick bekam etwas Flehendes, seine Augen tasteten in rasender Geschwindigkeit Toukos Gesicht ab. Das ›Error‹ auf seiner Stirn gewann mit jeder Sekunde an Leuchtkraft. Er zögerte etwas, dann flüsterte er unsicher: »Habe ich dich verletzt? Du bist rot an den Wangen. Du wirst rot, wenn du wütend bist. Zu achtzig Prozent aller Fälle jedenfalls.«
»Und was ist mit den anderen zwanzig Prozent?« Sie kam ihm näher und öffnete auffordernd ihre Lippen. N wich erst etwas zurück, doch schnell stellte er fest, dass er nicht widerstehen konnte und presste hastig seine Lippen auf ihre. Touko seufzte und ließ sich fallen, gab sich seinen fordernden Bewegungen hin.
Irgendwann lag N auf ihr und seine Finger krallten sich in den Teppich. »Ich verstehe das nicht«, flüsterte er frustriert, gönnte sich eine kurze Atempause, ehe er wieder in einem leidenschaftlichen Kuss versank. Bestimmend und fordernd. Touko drehte ihren Kopf zur Seite, in der Hoffnung, dass er kurz aufhörte und sie die Chance hatte, zu antworten. Doch daraus wurde nichts. N verteilte Küsse auf ihrem Nacken, der Schulter, auf ihrem linken Schlüsselbein... Die freche Antwort ging verloren, irgendwo zwischen ihrem hämmernden Herz und durchgebrannten, funkensprühenden Synapsen.
»Ich will seltsame Dinge mit dir anstellen, Touko.«
»Oh, echt?«, keuchte sie. Ihre Hände zitterten. Was zur Hölle tat sie eigentlich gerade? Er schmeckte so gut. Sie wollte mehr. Eigentlich.
»Hm...« Ein sanfter Biss ins Ohr, ein Kuss auf den Hals. Touko musste sich zusammenreißen.
»O Gott, N!«
»Ja?« Er riss seinen Kopf schlagartig zurück. »Mache ich etwas falsch?« Mit großen Augen sah er auf sie herab. Seine Brust hob und senkte sich.
»W-Was? Nein! Mach weiter!« Ungestüm und voller Verlangen schlang sie ihre Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich herunter. N gab einen erstickten Laut von sich und bedankte sich mit einem Zwicken in ihren Oberschenkel.
»Du... Du willst also auch seltsame Dinge mit mir anstellen?«, fragte er schelmisch und vergrub seine Nase in ihrem Haar. »Das sind also die zwanzig Prozent...«, ergänzte er flüsternd. Seine Hände wanderten nun mit sanfter Bestimmtheit an Toukos Körper entlang, halfen ihr, die knappe Kleidung loszuwerden, kitzelten sie, ärgerten sie.
»Ganz genau, N. Formel gelöst.« Sie presste sich an ihn, Haut an Haut, und schloss die Augen. Solange er nicht die Flugbahn ihres BHs oder Sonstiges berechnete und sie über das Ergebnis in Kenntnis setzte, war alles für sie in Ordnung.
Endlich hatte er geschnallt, dass er menschlich war. Dass das menschlich war.
Dieses naive Etwas.

ℕatural Numbers  [ Pokémon Schwarz / Weiß ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt