Lichtblick

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4. K A P I T E L ║ Lichtblick

»Du bist nicht allein. Niemals.«


Die Luft flimmerte unter den erbarmungslosen Strahlen der Sonne. An einigen Stellen war der Boden aufgebrochen, wie ein spröder Schwamm, dem nicht einmal mehr Wasser helfen konnte. Zurrokex- und Ganovilfamilien versteckten sich in ihren Höhlen, versuchten der Hitze zu entfliehen. Wenn nicht gerade ein Sandsturm die Sonne verdunkelte und die Temperatur halbwegs erträglich machte, war es auf Route 4 kaum auszuhalten. Es gab weder belebte Siedlungen in dieser Gegend noch Grünzeug. Nur eingefallene Häuser, Ruinen und brachliegende Baustellen.
Vereinzelte Tankstellen und Werkstätten, die auf Motorradgangs und Trucks warteten, standen wie Geister am scheinbar unendlichen Highway nach Rayono City - der einzigen Straße, die heute noch durch das Wüstengebiet Einalls führte. Der Rest wurde unter Sandstürmen begraben oder von Plasma mutwillig zerstört.

Touko zog den Schlüssel der Harley und stieg ab. Das Geröll knirschte unter den dicken Sohlen ihrer Boots, als sie um die Maschine herumging und das Brecheisen an sich nahm.
Sie war nun fast sechs Stunden unterwegs gewesen und hatte eine Pause mehr als nötig. Mit der schweren Stange auf der Schulter näherte sie sich langsam dem Gebäude. Eine schäbige Werkstatt mit Imbiss. Das leuchtende Schild über der Tür fiel schon fast auseinander, die großen Fenster waren staubig. Hinter den Toren der großen Werkstatt auf der linken Seite waren Geräusche eines Schweißgerätes zu hören. Einige Funken flogen bis nach draußen und setzten trockene Gräser in Brand.

Die Tür knarzte laut, als Touko das Lokal betrat. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und sah sich im Inneren um. Ein dicker, bärtiger Mann mit Bandana im Haar stand hinter einem Verkaufstisch und polierte irgendwelche Motorteile. Um ihn herum waren Werkzeuge, Felgen und andere metallene Materialien an der Wand angebracht. Es roch nach Motoröl und frisch gebratenem Steak.
»Howdy, junge Dame! Hast du dich verlaufen?« Ein anderer stark verschwitzter Typ betrat den Raum, einen Teller mit Fleisch in der Hand. Die Zigarre in seinem Mund verteilte süßlichen Qualm.
»Ich hab Hunger. Wie viel kostet so'n Lappen?«, fragte Touko rau und nickte zum saftigen Steak auf dem Teller des Mannes. Ihr lautes Magenknurren versuchte sie zu ignorieren.

»20! Aber ich mache dir ein Angebot und gebe dir die Hälfte für 7. Mehr schaffst du sowieso nicht!«, rief der andere hinter der Anrichte und lachte laut los. Das Schweigen danach machte Touko unsicher. Sie war noch nie so richtig alleine unterwegs gewesen. Und nun befand sie sich mitten im Nirgendwo, nur mit einem verrosteten Brecheisen bewaffnet und ließ sich von zwei ekelhaften Typen ärgern.
»Ich nehm eine ganze Portion.«
»Sicher? Danach wirst du aber nicht mehr in dein Höschen passen!« Nun lachten beide Männer. Touko verdrehte die Augen und nahm Platz am verstaubten Panoramafenster, ganz hinten am anderen Ende des Raumes. Die mit rotem Leder bezogene Bank war dreckig und voller Fettflecken. Der Tisch sah etwas besser aus.
»Wird's bald? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit!«, rief sie den beiden zu, ohne einen Blick in die Richtung zu wagen.
»Kommt sofort, Miss!«

Als ihr die Bestellung endlich aufgetischt wurde, machte sie sich über den Klumpen her wie ein verhungertes Rokkaiman. Der Typ aus der Küche grunzte amüsiert und setzte sich auf die gegenüberliegende Bank, stützte seine mit Öl verdreckten Ellenbogen auf die Tischplatte. »Hi. Ich bin Johnny. Dürfte ich wissen, was eine junge Frau wie du ganz alleine mit einer Harley Davidson in dieser Einöde tut? Es ist ziemlich gefährlich seit Plasma den Besitz von Pokémon verboten hat. Du könntest auf irgendwelche Idioten wie uns stoßen. Kannst froh sein, dass wir von der halbwegs netten Sorte sind. Und dein Stöckchen kann dich im Notfall nicht retten.«
Touko hob lediglich ihren grimmigen Blick für zwei Sekunden und schlang dann unbeeindruckt weiter. Wollte er ihr etwa Angst machen? Obwohl der Mann ziemlich nach Arbeit aussah - mit versiffter Latzhose, Brandlöchern im Hemd, Öl an den Armen - waren seine Hände sehr sauber. Dasselbe galt auch für die Gegend um seine Augen herum, was wohl an der Schweißerbrille liegen musste. Seine Gesichtszüge waren zwar hart, doch er hatte auch etwas Väterliches an sich.

ℕatural Numbers  [ Pokémon Schwarz / Weiß ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt