Improvisation

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12. K A P I T E L ║Improvisation

»Der Möchtegern-König hat ein kleines Autoritätsproblem, oder?«


»Hat es funktioniert?« Ein ängstlich wirkendes Augenpaar lugte vorsichtig in den Raum. Bis auf ein unwirkliches Flackern, welches das kleine Labor in Avenitia von Innen erhellte, war es stockfinster.

Bell reagierte kaum, als Herr Esche sie ansprach. Sie starrte mit offenem Mund auf die eigens zusammengebastelte Konstruktion vor sich. Drei Bildschirme wurden in einem Kreis aufgestellt und mit allerlei Kabeln und Sensoren verbunden. Sie waren einander zugewandt und aufgrund der kurz bevorstehenden Datenübertragung direkt am Hochleistungsrechner im anderen Teil des Labors angeschlossen. In der Mitte des Kreises hatte Bell die drei Evolutionssteine vom Schwarzmarkt platziert – doch genau diese hatten sich merkwürdigerweise in Luft aufgelöst, als das ominöse Programm aus Kanto gestartet wurde.
»Ääh... Ich weiß es nicht.« Bell schluckte trocken und sah sich die Bildschirme genauer an. Die Stromversorgung war in ganz Avenitia ausgefallen als der Prozess begann, doch sie flackerten trotzdem ununterbrochen und hell. Das verpixelte Chaos war verzerrt und bunt. Einige Felder änderten so schnell ihre Farben, wechselten die Felder oder vermischten sich, dass es für das Auge kaum zu ertragen war.
»Sehen Sie sich das an! Ich glaube es...« Bell verstummte als sie sah, dass sich eine undefinierbare Masse innerhalb der Konstruktion bildete und gleichmäßig heranwuchs. Sie war furchtbar grell und bestand aus jenen Pixeln, die auf den Bildschirmen ringsherum zu sehen waren.

Herr Esche haderte eine Weile mit sich, sah sich das blitzende Schauspiel aber trotzdem an. »Oh, mein Kopf! Das hält man ja nicht aus!« Das Flackern der Masse wurde greller, kontrastreicher, stärker und bunter. Bell stand wie angewurzelt da und zitterte am ganzen Körper.
Plötzlich fand das Spektakel ein abruptes Ende. Die Stromversorgung funktionierte wieder, die Bildschirme implodierten und qualmten folglich aus allen Löchern. Der Rauchmelder reagierte sofort mit einem ohrenbetäubenden Signal und animierte die Sprinkleranlage dazu, die teuren Elektrogeräte im Labor mit Unmengen Löschwasser zu duschen.
»Oh nein!« Herr Esche warf erschrocken seine Arme hoch und lief in den Kontrollraum des Labors zurück, um dem ein Ende zu setzen. Die Fliesen des Labors waren in wenigen Sekunden nass und furchtbar rutschig geworden.

Bell hob langsam eine Hand, um ihre nagelneue Brille abzusetzen. Sie hatte einen Sprung bekommen. »Was zur... Es hat funktioniert.« Ungläubig starrte sie das lebendige Ding an, das sich binnen einer Minute aus Daten und Energie zusammengesetzt und materialisiert hatte. Das virtuelle Pokémon Porygon.

»Hey, du«, sprach Bell vorsichtig. Ihre Kopfschmerzen waren unerträglich, doch das war ihr in diesem Moment egal. »Wir haben eine wichtige Aufgabe für dich. Man sagt, du könntest durch die virtuelle Welt reisen. Weißt du, mein Freund ist in Gefahr. Er braucht deine Hilfe und nur du kannst ihn erreichen. Könntest du Cheren ein paar Informationen überbringen?« Ganz langsam näherte sie sich dem offiziell registrierten Pokémon und streckte eine Hand nach ihm aus. Das Porygon stieß verzerrte Laute aus und verschmolz zeitweise mit den Gegenständen in seiner Nähe. Es war noch immer verpixelt und flackerte an einigen Stellen.

Professor Esche haute währenddessen im anderen Teil des Labors fluchend auf ein paar Knöpfen herum, bis der Regenguss endlich stoppte. »Meine Güte... Diese Sicherheitsvorschriften sind wirklich unnötig! Völlig unnötig! Und teuer sind die auch noch! Da setze ich meine Arbeiten lieber in Brand und sehe zu, wie sie zu Asche werden, anstatt sie nass und tot in meinen Händen halten zu müssen!« Ein heiseres Husten drang aus seiner Kehle. Der Rauch machte ihm schwer zu schaffen. »Bell?«, rief er besorgt und hetzte zu den rauchenden Bildschirmen. »Bell, wo bist du? Ist alles in Ordnung?« Mit fuchtelnden Bewegungen versuchte er den Rauch zu vertreiben, lief zu den Fenstern herüber und öffnete sie alle. Es war Nacht. Das Flackern musste trotz der Vorhänge überall gesehen worden sein.
»Ich bin hier!«, hörte er dann zu seiner Erleichterung und sah sich suchend um. Bell hüpfte freudestrahlend auf ihn zu, rutschte auf den nassen Fliesen aus und landete auf den Hintern. Das frisch erschaffene Porygon befand sich trotzdem noch auf ihrem Arm und bewegte seinen Kopf seltsam. »Au... Ähm. Ich mag es! Und ich werde es Glitchy nennen!«

ℕatural Numbers  [ Pokémon Schwarz / Weiß ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt