Chaos

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17. K A P I T E L ║ Chaos

»Ich habe dir doch mal von diesem Mathefreak erzählt...«





Die Art, wie er die Gabel hielt und zum Mund führte, wirkte spießig auf Touko. Wenn N mit seinen Fingern aß, tat er das wie jeder normale Mensch: saute herum und leckte sie danach ab. Aber kaum gab man ihm Besteck in die Hand, legte sich ein kognitiver Schalter um und er bewegte sich wie ein mittelalterlicher Adelstyp aus den prachtvollen Höfen Kalos'. »Als G-Cis unmittelbar nach der Krönung seine Hand auf meine Schulter legte, wusste ich, dass ich nur seine Marionette war. Aber mir gefiel es, wie ich von den Menschen verehrt wurde.« Ein seltsamer Schatten zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

Touko nickte knapp, hob abwägend ihre Brauen. »Hat schon was... Aber wie kam es dazu, dass du plötzlich das Schloss verlassen durftest? Ich meine: Er hat dich doch jahrelang eingesperrt. Warum dann so plötzlich?«

N hatte die Frage wohl erwartet. Er zog einen Mundwinkel hoch, sodass ein Hauch schmerzhaftes Unwohlsein seine Worte begleitete. »Er hat mir jahrelang erzählt, wie grausam die Welt da draußen ist und als ich das Schloss verlassen durfte, habe ich tatsächlich überall nur Schlechtes gesehen. Trainer, die ihre Pokémon quälten, anstachelten und anschrien, obwohl sie verletzt waren... Ich habe an der Illusion einer bösen Welt festgehalten, weil sie meine Rolle als König und Retter bestätigte. Naja, und dann«, N sah ihr in die Augen und lehnte sich belustigt zurück, »kamst du. Hast mir gezeigt, dass ich nur ein Vollidiot von vielen war.«

Touko musste lachen.

»Tja, du hattest wohl recht.« Er leerte seinen Teller und stützte danach deprimiert den Kopf mit einer Hand, gestikulierte mit der anderen herum. »Ich schäme mich dafür, dass ich damals so viel von mir gehalten habe. Ich war so naiv...«

»Ach!« Touko winkte ab, lehnte sich etwas über den Küchentisch, nahm seinen Teller und stellte ihn auf ihren. »Du hast dich für das gehalten, was G-Cis in dir sehen wollte.« Mit großen Schritten lief sie zur Spüle am Fenster und stellte die Teller hinein. »Fühlst du dich denn eigentlich immer noch wie ein König?«, fragte sie dabei unsicher und sah lieber nicht zurück. N zögerte. »Ähm... Ich weiß nicht. Warum die Frage?« Er stand auf und lehnte sich neben Touko an die Küchenzeile, beobachtete sie eindringlich. Seine Finger klopften nervös auf der dunklen Oberfläche herum.

»Du isst wie ein König, du bewegst dich wie ein König, obwohl du jahrelang im Busch gelebt hast, du redest oft wie ein König und manchmal starrst du in die Ferne, als sei das Land, auf das du blickst, dein königliches Eigentum. Ich meine ja nur...« Sie wartete gespannt auf eine Reaktion und machte sich auch gleichzeitig auf eine Diskussion gefasst.

N blinzelte überrascht und erwiderte ihren flirtenden Blick. »Tue ich das?«

Sie bejahte mit einem eifrigen Nicken und wich nicht aus, als er ihr näher kam. »Ist nicht böse gemeint.«

»Seid Ihr Euch dessen bewusst«, schnaufte N hochnäsig, »dass dies eine schändliche Anschuldigung ist, meine Königin, die mich, den König über Einall, Held der Drachen, Rächer der Geschändeten, regelrecht in Verzweiflung stürzt?« Er machte sich grade und hob sein Kinn, um dem theatralischen Ausdruck noch mehr Tiefe zu verleihen. Als Touko einmal grunzte und sich beinahe den Kopf an der Abzugshaube stieß, konnte auch er seine gespielte Ernsthaftigkeit nicht mehr aufrechterhalten und lachte ausgelassen mit.

»Ehrlich gesagt kann ich mich so gar nicht mehr mit dieser Rolle identifizieren. Ich präferiere das bescheidende Leben eines stinkenden Farmers, zusammen mit Rührbesen und Brotschneidemaschinen«, sagte er, auf die Küchengeräte deutend, und versuchte sich krampfhaft zusammenzureißen. Doch Toukos dreckige Lache brachte ihn an seine Grenzen.

ℕatural Numbers  [ Pokémon Schwarz / Weiß ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt