Kapitel 36

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„Ich weiß es nicht", flüsterte ich leise. Abermals stellte ich geschockt fest, dass sich meine Stimme nun in dem neuen Körper ganz anders anhörte. „Wie, du weißt es nicht?", fragte Feoni sichtlich verwirrt. „Sie ist ein Flüchtling", erklärte Nelatia ihrem Sohn verständnisvoll, „Sie wurde beim Massaker verletzt und ist geflohen. Ich habe sie bewusstlos gefunden. Wahrscheinlich hat sie etwas auf den Kopf bekommen und kann sich nicht mehr erinnern." Betreten sah ich beschämt zu Boden. Es war alles meine Schuld und dennoch nutze ich es gerade zu meinem Vorteil aus. Wie tief war ich nur gesunken? „Es tut mir leid", flüsterte ich in meiner neuen, kratzigen und rauchigen Stimme. Und ich meinte es auch wirklich so. Es tat mir alles so unfassbar leid. Dass ihre Familie so schrecklich zerrissen wurde. Dass die Menschen so furchtbar zu den Dämonen waren. Dass ich mich für die Menschheit eingesetzt hatte. Dass ich so viele Dämonen umgebracht hatte. Und dass ich die beiden jetzt belog und ausnutzte. Es tat mir alles so unfassbar leid! Doch ich hatte keinen anderen Ausweg. Denn ich hatte nirgends irgendeinen anderen Ort, wo ich jetzt noch hinkonnte. Nicht hier, nicht auf der Erde. War es nicht paradox? Ich als Prinzessin konnte nirgends hin. Nicht einmal ein Dach über dem Kopf, zu Essen oder zu Trinken hatte ich! Nirgendwo hatte ich ein Zuhause oder eine echte Familie. Denn ich gehörte nirgends hin und nirgendwo dazu. Doch hier, bei diesen beiden Dämonen fühlte ich mich einfach wirklich unfassbar wohl. Natürlich war es enorm unfair, sie anzulügen. Doch ich sah schlichtweg keine andere Möglichkeit, zu überleben. Wenn ich jetzt nicht hier bliebe, wäre ich wieder auf mich alleine gestellt. Alleine, in der riesigen und niemals endenden Hölle. Erneut wäre ich in einer endlosen Folter gefangen, aus welcher ich mich schlichtweg niemals selbst, aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, befreien konnte. Es gab keinen Ausweg für mich. Außer, ich blieb nun hier, bei diesen Dämonen. Denn allein konnte ich diese furchtbare Situation nicht bewältigen und meistern. Doch nun boten sie mir die Möglichkeit an, mir zu helfen. Sie boten mir an, nicht mehr allein sein zu müssen. Es war nicht nur der Drang zum Überleben, dass ich mich dazu entschied, nicht mehr abzublocken. Denn ich wollte es. Ich wollte wirklich hier sein. Und ich wollte auch hier bleiben.


„Es ist nicht deine Schuld", versicherte Nelatia sofort mit einer tröstenden, weichen Stimme und umarmte mich herzlich. Ich schluchzte leise an ihrer Schulter. Ich fühlte mich so schwach, einfach meine Gefühlen freien lauf zu lassen! Niemals zuvor in meinem Leben hatte ich so etwas getan. Doch es hatte sich viel verändert und ich hatte furchtbare Erlebnisse durchmachen müssen. Vielleicht war es schwach, zu weinen. Doch es tat so gut. Es tat so unfassbar gut, nicht mehr allein mit meinen Gefühlen zu sein. Sondern jemanden zu haben, der für da war und mich einfach hielt. Obwohl sie mich nicht kannte, meinen Schmerz nicht verstand und nichts über meine wahre Identität wusste. Und insbesondere letzteres musste auch unbedingt so bleiben!


„Wir geben dir einfach einen neuen Namen", schlug Feoni begeistert und voller Energie plötzlich vor. Die hübsche Dämonin und ich lösten und voneinander und sahen ihn verwundert an. „Du hast zwar vielleicht keine Identität mehr, aber das macht doch nichts! Du bist jetzt bei uns! Wir sind deine Familie! Du bekommst einfach einen neuen Namen! Wir lehren dich alles was wir wissen und alles, was du wissen musst. Du kannst einfach hierbleiben. Wir haben ja schließlich einen freien Platz, hier..." Sein anfänglicher Enthusiasmus geriet stark ins Wanken und er konnte den Schmerz, den Wut und die Selbstvorwürfe weder in seinem Blick, noch in seiner Stimme verbergen. Seiner Mutter stiegen ebenfalls Tränen in die Augen. Dennoch nickte sie tapfer und versöhnlich lächelnd, „Das wäre schön. Möchtest du bleiben, Kleines?" Obwohl sie bereits angedeutet hatten, dass sie mich in ihrer Familie aufnehmen wollten, war ich dennoch überrascht. Sie boten mir einfach so den Platz ihrer verstorbenen Tochter an! Und das, obwohl ich zurzeit nur ein schwacher, normaler Dämon war. Dazu sah ich auch noch wirklich unfassbar hässlich und abstoßend aus! Und insbesondere sie als Wächter gehörten definitiv zu der höheren höheren Gesellschaftsschicht! Und dennoch boten sie mir diesen Platz an. Sie fragten mich sogar! Sie fragten mich, was ich wirklich wollte. Meine eigene Meinung! Dies war etwas, was in meiner echten Familie niemals vorgekommen war. Hatten sie mich gefragt, ob ich den Thron und all den Druck wollte? Nein. Ob ich in dem Schloss eingesperrt sein wollte? Nein. Ob ich in die Stadt wollte? Nein. Und sie hatten es auch nicht zugelassen. Die einzige angebliche freie Entscheidung, die ich treffen durfte war, ob ich mit in die Hölle gehen wollte. Doch ich wurde so geschickt manipuliert und belogen, dass ich nicht einmal wusste, was genau dies ausmachte oder bezeichnete.

Die Prinzessin der Hölle - Das Erwachen der FlammeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt