Vier Jahre später
Es ist wunderschön hier. Ich liebe unser Zuhause. Es ist Winter. Im Garten liegen 20cm Schnee und es fällt noch mehr. Die Schneeflocken fallen nur so, sie tanzen wunderschön mit einander. Das erinnert mich an meinen Hochzeitstanz. Er war mindestens genauso schön und wie gut er getanzt hat. Die Bäume hier sind alle komplett kahl, aber ich finde es nicht traurig, so wie es viele sehen, dass die Bäume ihre Blätter verlorenen haben. Mich erinnert es eher an einen Neuanfang, mit ganz viel Glück und Hoffnung. Ich weiß ich bin etwas komisch und meine Interpretationen sind meist auch genau das Gegenteil von dem was alle anderen sagen. Doch wenn ich auf meine Vergangenheit zurückblicke, hat mir genau da geholfen. Wenn ich als Kind so gewesen wäre, wie andere Kinder würde ich vielleicht nicht mehr leben. Vielleicht hätte ich mich erhängt, oder mich vor einen Zug geschmissen. Ich weiß es nicht. Doch das ist nicht relevant, ich lebe und habe überlebt. Alles. Und das werde ich auch in der Zukunft machen. Ich habe mich immer gefragt, ob nicht dass was wir jetzt durch machen und erleben, uns nur darauf vorbereitet, was uns bevor steht und wir es dann dadurch leichter haben, oder es dadurch besser machen. Das weiß ich auch nicht, aber ich bin auch auch nicht Newton, ich bezweifle aber auch, dass er es wissen würde, wäre er jetzt da.
Ich höre die Verandatür aufgehe. Ein Stöhnen ist nicht zu überhören. Ich höre seine schweren Winterstiefel im Schnee knarzen. Wie ich das Geräusch liebe. Da merkt man einfach das ich ein Winterkind bin, scheiß egal wie alt ich zwar bin. Im Winter schwitzt man nicht, man kann snowboarden und Ski fahren. Gut in meinem Fall dieses Jahr eher weniger. Ich muss aussetzen. Das ist frustrierend. Kaffee und Tee schmecken einfach viel besser durch die Kälte. Man kann Schlitten fahren und das Morgendliche Auto-Kranz-Ritual ist einfach himmlisch oder das glitzern des Schnees und die Stille.
Nochmal ein Räuspern. Ich glaube er will das ich mich umdrehen, aber ich will wieder die Schneeflocken beobachten.
„Hey, Hoheit! Bist du taub, oder sind dir schon die Ohren eingefroren? Komm wieder rein. Du hast nichts weiter als dein Schafkleid an. Du stehst barfuß im Schnee. Es sind minus Grad. Wenn du hier draußen bleibst erfrierst nicht nur du, sondern auch die Zwillinge.
Ich werde dir die Tasche packen. Das wir jetzt jederzeit ins Krankenhaus können."
„Ist gut, danke. Ich bleibe nur noch zwei Sekunden. Dann gehen wir drei rein."
„Ich sage Daniel, er soll dir einen Tee aufsetzen."
„Okay."
Ja. Ich wurde Hoheit genannt. Luke ist da. Eineinhalb Jahre, nachdem ich aus Chicago bin, kann er in die Werkstatt gelaufen und hat mich an den Beinen gepackt, unter dem Auto an dem ich gerade war herausgezogen und mich dann geküsst, noch bevor ich wusste wer das ist.
Seine Mutter hat den Krebs besiegt und seine Geschwister helfen ihr jetzt. Wir sind nach nicht allzu langer Zeit zusammen gekommen. Er ist hier eingezogen. Dann hat er mir ein halbe Jahr später einen Antrag gemacht. Ein weiteres halbes Jahr hab ich gewartet, dann haben wir geheiratet. Dann vor grob neun Monaten ein Schwangerschaftstest, nach jedem morgen Übelkeit und ausbleibender Periode. Er war positiv. Wir sind die ganze Zeit von einem Jungen ausgegeben, dann auf dem Ultraschall zwei Körper und zwei Herzschläge, nach weiterem warten, Mädchen und Junge. Wir sind so überglücklich. Daniel fand es super Onkel zu werden. Er und Luke haben für die Kinder ständig irgendeine coole Idee, die sie für ihr Zimmer bauen. Daniel hat extra Rezepte für Babynahrung geschrieben. Er ist der Beste. Ich soll dem nächst entbinden, ich bin schon etwas aufgeregt.
Ich habe den Traum von Papa und mir erfüllt. Die Werkstatt läuft so gut, ich arbeite zwar gerade nicht, aber wir haben nicht nur viele Aufträge, sondern auch einen Ansturm an Bewerbern. Nicht zu fassen. Luke ist jetzt hier in der Feuerwehr. Ich finde es gut, dass er weiter leben Retter. Ihm macht es einfach Spaß und das macht mich glücklich.
Aber jetzt muss ich rein, sonst laufen mir noch meine Füße blau an. In der Küche steht Daniel. Er stellt mir gerade meinen Tee hin, er dampft noch. Ich setze mich auf die Arbeitsplatte, das erweist sich mit überdimensional großen Babybauch als schwer, aber ich schaffe es.
„Gut geschlafen?"
„Halt Maul!"
„Also schon wieder ein Albtraum. Du hast sie nur nicht, wenn du strunz besoffen bis oder komplett übermüdet. Wann denkst du wird es besser?"
„Gar nicht. Morgen. In einer Woche. In drei Jahren. Mir auch relativ. Ich habe mich daran gewöhnt. Ich bin schon fast soweit das ich deine Frage mir 'ja' beantworten kann, weil es einfach normal geworden ist."
„Naja, sollte es aber nicht.
Hast du Hunger?"
„Ne."
Er stellt sich vor mich und legt eine Hand auf mein Knie. Er runzelt die Stirn und sieht mich fragend an. Ich grinse nur entschuldigend. Er schüttelt den Kopf und wendet sich von mir ab, anscheinend hat er verstanden, dass ich draußen war. Er verlässt die Küche kurz und kommt dann wieder, mit ein paar warmen Socken in der Hand. Er kommt zu mir, fast mit seinen warmen Fingern kurz an meine kalten Füße und zieht mir dann die Socken an. Sie sind angenehm warm.
Ich will gerade von der Arbeitsplatte runter rutschen, da schaut mich Daniel böse an. Ich bleibe kurz wie vereist in meiner Position und rutsche dann wieder ein Stück zurück. Wenn blickte töten könnten, wäre ich jetzt Geschichte. Seine Gesicht hellt auf, dann frägt er:
„Was willst du?"
Ich bezweifle das er es mir erlaubt, vor allem, weil er mir gerade extra Socken angezogen hat. Nach kurzem zögern und Worte ringen bekomme ich dann doch ein Wort raus.
„Eis?"
„Eis?!"
„Ja, Eis."
„Findest du nicht, dass draußen genug Eis ist?"
„Kann sein das draußen genug Eis ist, aber nicht in meinem Bauch."
Er fängt an zu lachen, dann geht er zum Fenster und nimmt etwas Schnee und drückt ihn zu einem Schneeball. Dann kommt er wieder zu mir und gibt ihn mir in die Hand. Er ist wirklich kalt und ich wollte Eis und kein Schnee. Meine Finger werden kalt und ich schmeiße die Kugel ins Waschbecken.
„Was hast du den gegen ihn?"
„Ich wollte Eis!"
„Hab ich dir doch gegeben!"
„Nein! Ich will Eis. Schokoladeneis. Vanilleeis. Himbeereis. Jogurteis. So was."
Er zögert kurz und sagt dann mit gesengtem Blick:
„Luke bringt mich eigenhändig um, daher bleibt das unter uns."
Ich nicke stark. Dann läuft er zur Gefriertruhe und holt mir ein Schokoladeneis heraus und gibt es mir. Eis geht immer, egal was für Wetter, egal welche Jahreszeit, ob schwanger oder nicht. Immer.
Als ich mein Eis gerade fertig gegessen habe kommt Luke rein. Er hat eine Tasche in der Hand. Er muss heute arbeiten gehen. In der Tasche hat er immer seine Klamotten für sie Schicht dabei. Er kommt zu mir. Gibt erst einen Kuss auf meinen Bauch und dann auf meine Lippen. Als wir uns wieder voneinander lösen sagt er:
„Viel spaß euch heute bei Bobi. Stellt nichts an uns sagt allen einen schönen Gruß von mir."
„Werden wir."
Er verabschiede sich noch kurz von Daniel und dann ist er auch schon durch die Tür.
Es ist Freitag, bedeutet wir beide treffen uns wieder mit den Sechs bei Onkel Bobi. Das machen wir mittlerweile jeden Freitag Abend. Es sind immer schöne Abende. Amanda ist nach ein Dienstjahr, nach meiner Ankunft hier, aus der Armee ausgestiegen. Sie arbeitet jetzt bei mir im Büro und Tobias arbeitet seit Eröffnung der Werkstatt mit mir in der Halle. Es machst so viel spaß wieder sich täglich zu sehen und zusammen zu arbeiten.
„Was wollen wir bis heute Abend machen?", frägt mich Daniel.
„Eis essen?", antworte ich kurz und knapp.
„Lass dir was besseres Einfallen."
„Wir könnten eine Runde im Mustang fahren. Ein paar Geschwindigkeitsbegrenzungen über schreiten, überteuerte Passbilder mit den Blitzer machen und die Landschaft genießen."
„Ist gut, zieh dich an und wir fahren los."
„Im ernst?"
„Klar. Komm ich helfe dir runter."
Er hebt mich vorsichtig von der Theke und dann gehe ich schnell hoch, um mich umzuziehen.
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Blindgänger
Teen FictionEine Soldatin (Lynn) schlägt sich durch ihr Schicksal, was mit einer schweren Kindheit begann, weiter mit einem tragischen Einsatz und dem Tod ihres geliebten Vaters. Ihr Leben verändert sich schlagartig, sie ist am boden zerstört. Sie muss sich neu...