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Nina hatte die ganze Nacht schlecht geschlafen. Sie hatte sich gefragt, ob Marten wirklich im Gefängnis gewesen war und wieso er ihr das nicht einfach erzählt hatte. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr fragte sie sich das. Und sie fragte sich, ob sie ihn überhaupt gekannt hatte. Sie hatte ja nicht mal gewusst, dass er ein so ernstes Verfahren am Hals hatte. Es überraschte sie nicht. Er hatte ihr so manche Dinge über sich erzählt, die sie hätten schockieren sollen. Hatten sie aber nicht. Wieso also hatte er ihr sowas verschwiegen?

Sie fragte sich auch, ob sich ihm die Weiber dauerhaft so an den Hals schmissen? Sie fragte sich, wieso er nur mit ihr hätte schlafen sollen, wenn er so viele andere Frauen haben konnte. Irgendwie war es mit ihnen etwas besonderes gewesen, hatte Nina zumindest gedacht, aber sie waren nie zusammen gewesen. Welchen Grund hätte er also gehabt nur mit ihr zu schlafen? Keinen.

Nina fühlte sich an diesem Morgen noch schlechter, als nach der Sache unter der Dusche eh schon. Sie konnte ihre eigene Dummheit nicht fassen.

Irgendwann, als sie die Gedanken immer noch nicht aus dem Kopf bekommen hatte, hatte sie sich eine Leggings und einen viel zu großen Pullover angezogen. Sie hatte sich in einen dicken Schal eingemurmelt und eine passende Mütze auf den Kopf gezogen, dann war sie zu Marten gestiefelt. Sie wollte Antworten und noch schlimmer konnte es ja eh nicht werden.

Lautstark klopfte sie an seine Tür. Eine ältere Nachbarin hatte sie unten in das Haus hereingelassen. Sie hörte Geräusche hinter der Tür, aber es dauerte ihr eindeutig zu lange. Erneut klopfte sie - diesmal energischer.

"WAS?", Marten riss die Tür auf und starrte sie finster an. Normalerweise hätte man Angst bekommen können, aber sie hatte keine Angst vor ihm. Sein Blick wurde weicher, als er sie erkannte.

"Nina.", sagte er überrascht und seine Körperhaltung entspannte sich. Nina fiel auf, dass er nur eine Boxershorts trug. Sie schluckte, dann blickte sie wieder in sein Gesicht.

"Wir müssen reden.", meinte sie schlicht. Marten rieb sich durch das Gesicht. Er schien noch ein bisschen verschlafen, dann nickte er.

"Versuch ich ja schon die ganze Zeit.", brummte er schließlich und machte ihr den Weg in seine Wohnung frei. Nina zog eine Augenbraue hoch. War das sein Ernst?

"Ach was? Bevor oder nachdem du mir in die Dusche gefolgt bist?", zischte sie. Martens Augen funkelten angriffslustig auf.

"Vergiss nicht, wer hier unbedingt gefickt werden wollte.", Martens Stimme war dunkel. Nina spürte, wie sie leicht rot wurde. Es war ihr immernoch peinlich, wie sie ihm das Duschzeug hingehalten hatte, weil sie mehr von ihm gewollt hatte. Trotzdem würde sie sich das vor ihm nie eingestehen. Sie ging einen Schritt auf ihn zu und stellte sich auf die Zehenspitzen, dann drückte sie ihm ihren Finger in die Brust und blickte ihm in die Augen.

"Ganz dünnes Eis, Marten.", ihre Stimme klang fest und einen Moment starrten sie sich schweigend an. Aus dem Nichts griff er plötzlich nach ihrem Handgelenk und drehte sich mit ihr um, sodass sie die Wand in ihrem Rücken spürte. Marten blickte sie stumn an, dann nahm er sie zwischen seinen Armen gefangen und küsste sie hart. Sie öffnete vor Überraschung leicht die Lippen und Marten legte seine Hände an ihre Wangen. Er lehnte sich mit seinem Gewicht gegen ihren Körper und Nina wurde wieder bewusst, dass er kaum Kleidung trug. Sie spürte seine Körperwärme.

"Marten", sie löste ihre Lippen von seinen und drückte ihn ein Stück weg.

"Ich bin hier, weil ich reden will und nicht, weil ich mit dir schlafen will.", meinte sie und versuchte sich zu befreien. Marten hatte seine Arme wieder neben ihrem Kopf abgestützt und blickte sie dunkel an. Sie sah das Verlangen in seinen Augen und wich seinem Blick aus. Er konnte sie mit diesen Augen immer schwach werden lassen.

"Okay.", brummte Marten schließlich und stieß sich von der Wand ab. Er trat einige Schritte nach hinten und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. Er beäugte sie, dann seufzte er tonlos.

"Ich hätte nicht so gehen sollen letztes Jahr. Es tut mir Leid. John hat von Anfang an gesagt, dass das eine dumme Idee ist.", meinte er schließlich. Nina legte den Kopf leicht schief.

"Ich verstehe einfach nicht, wieso du nicht einfach gesagt hast, dass du keinen Bock mehr drauf hast. Wäre doch voll okay gewesen. So habe ich mich so furchtbar billig gefühlt.", Nina verschränkte ebenfalls die Arme. Sie war stolz auf sich, weil sie es schaffte, ihm fest in die Augen zu blicken. Seine Augen weiteten sich.

"Dass ich keinen Bock.. Nina, glaubst du das wirklich?", er sah perplex aus. Sie zuckte mit den Schultern.

"Was hättest du denn an meiner Stelle gedacht?", sie verzog den Mund. Marten stöhnte und fuhr sich durch die verwuschelten Haare. Er sah immer noch ein bisschen verschlafen aus.

"Oh fuck, Nina, wenn du wüsstest, wie sehr ich Bock auf dich habe... und hatte.", es wirkte auf Nina so, als musste er sich bemühen, nicht wieder auf sie zuzukommen, aber er blieb da stehen, wo er gerade war. Nina versuchte seine Worte zu realisieren.

"Und was sollte das dann?", fragte sie schließlich leise. Sie kannte die Antwort seit gestern Abend vermutlich, aber sie wollte es von ihm hören. Das war er ihr schuldig.

"Ich war einfach feige... Ich wusste nicht, wie ich dir sagen sollte, dass ich... Ich für ein Jahr ins Gefängnis musste. Und ich wollte auch nicht, dass du dich irgendwie verpflichtet fühlst, auf mich zu warten.", er zuckte mit den Schultern. Nina starrte auf seine Brust und dachte nach.

"Du bist ein Idiot, Marten. Du hast also wirklich geglaubt, dass dein Abgang besser war? Noch einmal schnell bumsen und dann wortlos abhauen?", fragte sie stirnrunzelnd. Auf so eine Idee musste erst einmal jemand kommen.

"Nein, das war nicht besser. Ich weiß das, aber zu meiner Verteidigung: ich dachte irgendwie, dass du schon einige Tage später wüsstest, wo ich abgeblieben bin. Bin davon ausgegangen, dass du mal bei Instagram geguckt hättest...", Marten ließ die Arme sinken und Nina wurde erneut von dem Oberkörper abgelenkt. Sie hasste es, dass Marten immer noch so eine Wirkung auf sie hatte. Sie schüttelte leicht den Kopf um die Gedanken zu verdrängen.

"Du schätzt mich falsch ein, wenn du denkst, ich laufe irgendeinem Typen hinterher.", meinte sie schlicht. Marten nickte.

"Offensichtlich. Vielleicht dachte ich aber auch, dass ich nicht irgendein Typ für dich bin."

Calm after the storm Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt