SONNE SCHIEN in Jimins Gesicht. Das war einer der Vorteile daran, ganz oben zu wohnen. Seine kleine Wohnung war bis auf den Flur (der keine Fenster hatte) von warmem Licht durchflutet.
Er lag auf dem Boden seines Wohnzimmers vor der geöffneten Balkontür. Aus seinem alten CD-Player drang ruhige Musik und ein seichter Wind gab ihm für einen Moment das Gefühl, es wäre immer noch Sommer. Dann wäre es allerdings unerträglich heiß gewesen und Jimin hätte vermutlich wie ein Vampir die Sonne gemieden.
Jetzt starrte er jedoch an die mit Raufasertapete bedeckte Wand und beobachtete einen kleinen regenbogenfarbigen Streifen darauf. Das Licht der Sonne musste sich irgendwo brechen und ihn erzeugen; Hoseok hatte ihm das einmal genauer erklärt, aber obwohl er seinen Freund und dessen Wissen sehr bewunderte, hatte er es sich nicht besonders lange merken können.
Ab und zu wanderte sein Blick auf die Landkarte, die über seinem Sofa hing. Eigentlich war es überflüssig, überhaupt eine Couch zu haben, schließlich bekam er so gut wie nie von jemandem anderen als seinem besten Freund Besuch und mit ihm saß er meistens in der Küche. Obwohl es auch sinnlos war, dass Jimin überhaupt in Küche und Wohnzimmer unterschied, denn eigentlich handelte es sich nur um zwei Seiten des gleichen Zimmers. Trotzdem hatte er sich damals entschieden, die Landkarte im Wohnzimmer aufzuhängen, und so war es nun mal.
Die Karte hatte Jimin aus dem Haus seiner Eltern mitgenommen. Wie in seiner Kindheit war es ihm auch jetzt noch eine Freude, seinen Blick darüber schweifen zu lassen und sich zu fragen, wie die anderen Menschen auf der Welt wohl lebten — was machten sie gerade, worüber dachten sie nach, was beschäftigte sie. Früher wie war dies seine Art gewesen, für eine Weile lang der eigenen Realität und der Einsamkeit, die er so oft gefühlt hatte, zu entkommen. Heute benutzte er es, um sich von den Erinnerungen an gestern und der Aufgeregtheit vor dem kommenden Abend abzulenken.
Sein seltsamer emotionaler Ausbruch und die Nähe zu Seokjin verunsicherten ihm im Nachhinein und er wusste nicht mehr, ob es vernünftig gewesen war, dass er zugesagt hatte, als dieser ihn gefragt hatte, ob er am nächsten Tag wiederkommen und mit ihnen Halloween feiern würde. Es hatte Jimin überrascht, dass sie erneut eine Feier veranstalten würden und dass Seokjin ihn offenbar gern wieder treffen würde, aber ihn auch umso mehr gefreut gehabt.
Noch immer wusste er nicht, warum Taehyung seinen Geburtstag ausgerechnet gestern gefeiert hatte. Es kam ihm — vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass auch die Halloweenfeier offenbar schon länger geplant gewesen war — merkwürdig vor, doch schließlich war Taehyung durch und durch merkwürdig und so passte es eigentlich zu ihm. Überhaupt waren sie das alle; auch aus Namjoon und Seokjin konnte der Junge sich keinen Reim machen. Doch vielleicht war es gerade das, was sie für ihn so interessant machte. Sie weckten die Neugier, die seine Eltern in seiner Kindheit so stark zu unterbinden versucht hatten, und die dennoch immer in ihm gewesen war. Und schließlich war auch er selbst nicht gerade nicht merkwürdig.
Auch Hoseok und Wheein schienen an den seltsamen Gastgebern Gefallen gefunden gehabt zu haben, allerdings waren sie — soweit Jimin wusste — nicht auch noch für Halloween eingeladen worden. Unter anderen Umständen hätte es Jimin vielleicht unwohl fühlen lassen, dass er heute deshalb allein gehen würde, allerdings hatte er sich am Abend zuvor so wohl im Salon des Hauses gefühlt, dass er es kaum abwarten konnte, ihn erneut zu besuchen.
Seokjin hatte nichts darüber gesagt, dass Jimin sich irgendwie zum Anlass passend anziehen solle, und aus Angst davor, der einzige zu sein, der tatsächlich verkleidet war, tat er es lieber nicht, obwohl er es eigentlich immer sehr gemocht hatte. Es war eine weitere Form der Realitätsflucht, die Jimin früher angewendet hatte, und es fühlte sich gut an, dadurch für einen Moment lang ein anderer Mensch zu sein.
Als eine Art Kompromiss mit sich selbst, zwischen seiner Freude und seiner Angst, lackierte er sich schließlich wenigstens die Nägel in abwechselnd schwarz und lila und steckte sich kleine Spangen mit Fledermäusen in die Haare; auch um sich selbst ein bisschen in Halloween-Stimmung zu versetzen. Er wusste nicht besonders viel über dieses Fest; es war ihm früher nie erlaubt gewesen, um die Häuser zu ziehen und wenn er ganz ehrlich war hatte er sich auch lange ein wenig vor all den dunklen Fabelwesen gefürchtet, die sich angeblich in dieser Zeit herumtrieben. Natürlich hatte auch er immer gern Gruselgeschichten gelesen, allerdings hatte er dabei bevorzugt, neben seinem Bruder im Hochbett so weit wie möglich vom Boden entfernt zu liegen, und nicht nachts durch nebelige Straßen zu schleichen.
Heute war er gespannt, mehr darüber zu erfahren, wie andere das Fest feierten; doch in seine Neugierde mischte sich auch immer noch leichte Unsicherheit. Es war gut gewesen, gestern mit Seokjin zu sprechen und immerhin war die Einladung auch von diesem ausgegangen, doch trotzdem konnte es Jimin kaum so richtig glauben. Auf ihn wirkten die drei Freunde so außergewöhnlich, so anders als er es selbst war und irgendwie auf so bewundernswert — warum sollten sie an seiner Gesellschaft interessiert sein?
An irgendeinem Punkt in seiner Freundschaft mit Hoseok hatte Jimin begonnen zu akzeptieren, dass es tatsächlich Menschen gab, die sich für ihn interessierten und Zeit mit ihm verbringen wollten. Doch im Gegensatz zu Hoseok und dessen Freundin erschien ihm Seokjin nicht wie eine besonders kontaktfreudige Person und so konnte er sich dessen Beweggründe nicht erklären. Dass Taehyung ihn mochte, konnte er sich noch vorstellen, immerhin hatte er ihn zu seinem Geburtstag eingeladen und war allgemein aufgeschlossen, doch auch Namjoon schien überhaupt niemanden sonderlich gern zu haben. Trotzdem würde er Seokjins Einladung natürlich nachkommen, schon allein, weil es ihm unhöflich vorgekommen wäre, abzulehnen.
Außerdem hatte er insgeheim wohl auch selbst gar nichts dagegen, dessen kastanienbraune Augen wiederzusehen.﹙+﹚
short chapter for today!!
dafür wird das nächste aufregend,
hoffe ich hehethank you for reading,
please vote and comment.
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MOUNT EVEREST ― jinmin
Fanfic»Jimin saß nun allein mit Seokjin. Das verunsicherte ihn zu erst, doch dann sah er, dass ein Lächeln auf dessen Lippen lag und zum ersten Mal an diesem Abend vergaß er, dass er es eigentlich nicht mochte, fremden Menschen in die Augen zu schauen.« ―...