déjà-vu.

137 23 93
                                    

DER STOFF der Decke fühlte sich in Jimins Nacken so weich an, wie Seokjins Stimme klang und beides zusammen versetzte ihn in eine angenehm ruhige Stimmung. Nicht, dass er nicht sehr interessiert daran war, was sein Gesprächspartner zu erzählen hatte, aber die Tatsache, dass es schon ziemlich spät war, machte ihn etwas schläfrig.

„Als Taehyung in dieses Heim eingezogen ist, war ich gerade vierzehn. Vorher sind wir beide nie lange irgendwo geblieben — wie ich dir gestern erzählt habe, ich bin schon oft umgezogen. Aber zusammen hat es irgendwie funktioniert. Jedenfalls war ich deshalb auch mehr oder weniger bei seinem ersten Mal dabei.“ Jimin verstand zwar, was er meinte (und auch nur das), doch Seokjin fügte hastig hinzu: „Beim ersten Mal, dass er Drogen genommen hat, meine ich.“

„Kennt ihr Namjoon auch daher?“, fragte Jimin, als der Ältere nicht weiter erzählte.

„Oh nein. Namjoon hat nie in einem Heim gelebt. Taehyung hat ihn außerhalb kennengelernt, als er sechzehn war und wir sind später zu ihm gezogen, als ich dann achtzehn geworden bin und aus dem Heim ausziehen durfte. Taehyungs Eltern haben ihm das schon mit siebzehn erlaubt, aber meine sind tot, weshalb ich bis zur Volljährigkeit bleiben musste.“
Es wirkte wieder so, als wäre Seokjin von seinem eigenen Verhalten überrascht; als hätte er so viel gar nicht erzählen wollen und als wären die Worte aus ihm rausgeflossen, ohne das er sie hätte stoppen können.
Im Versuch, Unterstützung zu zeigen, ohne ihn zu unterbrechen, lehnte sich Jimin vorsichtig an seine Schulter. Er wusste gar nicht, warum er auf einmal so etwas machte, aber es schien ihm das einzig Richtige zu sein. Seokjins Haut fühlte sich durch sein feines Hemd warm und angenehm an und auch ihm schien der leichte Körperkontakt zu gefallen.

„Als ich dann achtzehn geworden bin, habe ich auch das ganze Geld vererbt bekommen“, fuhr er leise fort.
„Das war schon ziemlich seltsam, nach all den Jahren, in denen ich so ziemlich ohne eigenen Besitz gelebt habe, plötzlich so ein Vermögen von Leuten zu bekommen, die ich noch nie gesehen habe. Ich glaube, deshalb hat das auch alles keinen Wert für mich — ich habe nie gelernt, mit Geld umzugehen und habe nie dafür arbeiten müssen. Im Heim haben wir alles gestellt bekommen und mussten alles teilen und jetzt bin ich auf einmal reich genug, um mir alles kaufen zu können, was ich brauchen könnte und noch so viel mehr.“

Jimin verstand, was er meinte, obwohl er nicht mehr in derselben Situation war. Ohne zu wissen warum, begann er während dem Zuhören, mit den Fingern kleine Kreise auf Seokjins Handoberfläche zu malen, die auf dessen Oberschenkel ruhte.
Dabei wäre er mindestens genauso verwirrt von sich selbst, wie Seokjin es zuvor gewesen war, wäre er nicht zu müde, um darüber nachzudenken.

Ohne dass Jimin es mitbekommen hatte, war der gedämpfte Lärm von unten verstummt und von Klaviertönen ersetzt worden. Seokjin hatte es jedoch registriert. „Ist es null Uhr?“, fragte er mit brüchiger Stimme mehr sich selbst als den Kleineren an seiner Seite, bevor ihm klar wurde, dass es das nicht mehr zwangsläufig sein musste. Sie waren nicht im Mount Everest, obwohl er sich für einen Augenblick lang dorthin zurückversetzt fühlte.
„Ist Yoongi gekommen?“

Vorsichtig umschloss er Jimins zeichnende Hand, zog ihn auf die Füße und half ihm vom Dach. Während sie die Treppen hinunterliefen, erzählte er, woher er Yoongi kannte: „Er ist mit fünfzehn ins Heim eingezogen. Ich glaube, er hatte bis dahin noch zu Hause gelebt. Yoongi ist ein Jahr jünger als Taehyung und zwei Jahre jünger als ich, weshalb wir nicht so lange gleichzeitig dort gewohnt haben, aber—“, wieder stockte Seokjin etwas, wie er es schon ein paar mal bei Erzählungen von seiner Vergangenheit getan hatte, so als wüsste er nicht, wie er ausdrücken sollte, was er meinte. „Aber jedenfalls haben wir uns früher, auch als wir schon ausgezogen waren, trotzdem ziemlich oft getroffen, weil wir uns - äh - nahe standen.“

Jimin fragte nicht nach, weil Seokjin dies scheinbar nicht präzisieren wollte und sie mittlerweile unten angekommen waren. Er war durch das Treppensteigen etwas aufgewacht und seine Wangen und Ohren rot angelaufen, als er zum ersten Mal tatsächlich gemerkt hatte, dass er gerade mit Kim Seokjin Händchen hielt. Neben ihm lief er, der geheimnisvolle Fremde aus dem Supermarkt mit den kastanienbraunen Augen und hatte seine Hand um Jimins geschlossen, als wäre dies das Normalste der Welt. Er konnte nicht anders, als sich ein bisschen geehrt zu fühlen.

Unten traten sie wieder in den Raum, der zuvor so überfüllt gewesen war, doch mit dem Rauch schienen auch die Menschen gegangen zu sein. Eine breite Tür zum Garten, die Jimin vorher nicht aufgefallen war, stand offen und ließ klare Nachtluft, nüchterne Kälte und die Klaviertöne ins Zimmer kommen. Zwischen den Kirschbäumen saß er tatsächlich — Yoongi. Im Mondlicht sah er genauso aus, wie er es im Park getan hatte und Jimin konnte seinen Blick nicht von ihm abwenden. Für einen Moment lang kam es ihm so vor, als wäre sie wieder allein, als wäre alles andere nur ein Traum gewesen, als säßen sie wieder zusammen unter dem Sternenhimmel.

Doch er schien Yoongi nicht aufzufallen, als dieser aufsah. Stattdessen blickte er nur Seokjin an, der zwar noch immer Jimins Hand hielt, aber ebenfalls nur Augen für den Pianisten hatte. Es war ein seltsamer Moment, der für Jimin durch das verwirrende Déjà-Vu nur noch komischer wurde.

Als er sich deswegen von Yoongis Anblick losriss, bemerkte er, dass Namjoon in der breiten Tür lehnte und ihn ansah. Er stieß sich vom Rahmen ab und kam auf ihn zu. „Soll ich dich heimfahren, Jimin?“

Als hätte er erst dadurch bemerkt, wie müde er bereits war, gähnte er auf einmal und nickte dann dankbar. Er löste sich vorsichtig von Seokjin, der es kaum zu bemerken schien. Das fand Jimin ein bisschen unfreundlich, aber auf der anderen Seite konnte er es ihm nicht übel nehmen — würde ihn jemand so anblicken, wie Yoongi es mit Seokjin machte, würde er vermutlich nicht nur nichts anderes mehr um sich herum wahrnehmen, sondern auch noch dahinschmelzen wie ein Eiswürfel.

„Wo ist Taehyung? Ich würde mich gern noch von ihm verabschieden“, wand er sich leise an Namjoon.
Hoseok hatte ihm einmal gesagt, dass es freundlich sei, sich von den Gastgebern zu verabschieden, wenn man ging und Jimin hielt es für eine gute Sache, nett zu sein.

„Er schläft schon“, antwortete Namjoon mit einem Anflug von einem Lächeln und deutete auf eines der Sofas. Dort lag Taehyung tatsächlich, schlafend. Jimin fand, dass er so viel jünger und kleiner wirkte und unwillkürlich schlich sich auch auf seine Lippen ein Lächeln. Er sah niedlich aus, wie er dort so lag.

Zusammen gingen sie den Flur entlang. Namjoon wartete geduldig, als Jimin etwas länger als normalerweise zum Schuhezubinden brauchte und dann stiegen sie in ein schwarzes Auto, das seine Kollegen aus der Bibliothek vermutlich bewundert hätten. Dabei öffnete Namjoon wie ein echter Chauffeur die Tür für Jimin und diesem kam der Gedanke, dass seine Mutter es wohl nicht gut gehießen hätte, dass er zu einem Beinahe-Fremden ins Auto stieg. Aber aus irgendeinem Grund vertraute er Namjoon so sehr, dass er das Gefühl hatte, er würde sich in dessen Gesellschaft nicht mal vor den Halloween-Fabelwesen gruseln.

Tatsächlich schien er ihm unterbewusst sogar so sehr zu vertrauen, dass er während der Fahrt einschlief. Die Wärme im Auto, Namjoons ruhiger Fahrstil und die monotone Dunkelheit vor den Fenstern hatten ihm den Rest gegeben und er war eingedämmert. Dabei schien er zu träumen, denn Bilder von Yoongi, der neben Seokjin am Klavier im Park saß, flogen an seinem inneren Auge vorbei und mischten sich mit Erinnerungen an seinen Bruder.

Erst als Namjoon ihn vorsichtig ansprach, wachte Jimin wieder auf. Der Butler hielt ihm bereits die Tür auf und streckte ihm eine große Hand entgegen, um ihm aus dem Wagen zu helfen. Er hatte den gleichen Anflug von einem Lächeln auf dem Gesicht, als er Jimin verabschiedete, den er auch gehabt hatte, als er Taehyung betrachtete.

„Danke, dass du mich heim gefahren hast“, murmelte Jimin. „Gute Nacht, Namjoon.“

„Schlaf gut, Jimin.“ Erneut wartete Namjoon geduldig; diesmal um sicherzustellen, dass der Junge tatsächlich unbeschadet bis in sein Haus kam, dann fuhr er beinahe geräuschlos an und sein dunkler Wagen verschwand in der Nacht.



﹙+﹚

namjoon's a protective bear
and i love him
(also: shit why am i so weak for minjoon rn?? ahhh)


who's your favourite character tho??

thank you for reading,
please vote and comment.

MOUNT EVEREST ― jinminWo Geschichten leben. Entdecke jetzt