HERBSTLICHER SONNENSCHEIN erhellte den Raum. Es waren vermutlich die letzten Strahlen, die Jimin heute zu sehen bekommen würde, denn seit die Tage stetig kürzer wurden, kam er immer seltener ans Licht. Draußen bedeckte bereits eine lose Schicht orange-brauner Blätter den Boden und ein kühler Wind wehte umher, doch im Mount Everest herrschte ein konstantes, warmes Klima.
Jimin war gerade dabei, Gläser zu putzen, als Dawon in die Küche kam. „Du scheinst deine Sache gut gemacht zu haben, letzten Freitag“, darauf folgte ein Lachen, das Jimins Herz erwärmte. Dawon stellte sich neben ihn an die Arbeitsfläche und nahm ihm unkommentiert das Glas aus der Hand.
„W-Was?“ Am letzten Freitag war es gewesen, als der Fremden aus dem Supermarkt in seinem Kopf diesen Namen verloren und zu Kim Seokjin geworden war.
„Am Tresen steht Einer, der dich sehen will.“ Während Dawon leicht über Jimins Reaktion kicherte, wurde dieser ganz unruhig.
„Mit mir? W-Wer denn?“
„Keine Ahnung. Ich würde vorschlagen, du gehst einfach mal hin. Deine Schicht hier endet doch sowieso gleich, und wenn er dir unsympathisch ist, musst du ja nicht mit ihm reden. Komm einfach wieder und ich sag ihm, dass er abdampfen soll.“ Dabei lächelte Dawon beruhigend, und Jimin war wieder einmal dankbar für diese Unterstützung.
Trotzdem fühlten sich seine Beine komisch weich an, als er den Gang aus der Küche heraus und zum Tresen lief. Seine Gedanken wirbelten herum, zu schnell, als dass er einen davon hätte bewusst mitbekommen können. Obwohl er sich auf dem kurzen Weg (der ihm unendlich lang vorkam) immer wieder sagte, dass es nicht Seokjin sein konnte, und dass es sowieso auch ungelegen käme, wäre er es (schließlich hing seine Jacke wieder auf Jimins Wäscheleine), so war er trotzdem ein wenig enttäuscht, als ihn tatsächlich jemand anderes erwartete ― doch als er dann Taehyung erkannte, kehrte sich diese Wirkung um.
Sein Gegenüber stand mit dem Gesicht dem Fenster zugekehrt, sodass Jimin für einen Moment lang sein Profil betrachten konnte, bevor sich er umdrehte, und ihn entdeckte. Obwohl er nicht ganz sagen konnte weshalb, machte Taehyung einen traurigen Eindruck auf Jimin.
„Jimin!“ Ein Lächeln schob sich über die trübe Miene. „Da bist du ja.“
„J-Ja. Hallo, Taehyung“, erwiderte der Angesprochene schüchtern.
„Setz dich doch!“ Taehyung wies auf ein Stuhl an einem Platz am Fenster in ihrer Nähe, als wäre das hier seine Zuhause und nicht das Café, in dem Jimin arbeitet ― obwohl er es wahrscheinlich tatsächlich besser kannte als Jimin, in Anbetracht der Tatsache, dass Taehyung hier als Stammgast behandelt wurde, während Jimin noch immer der Neuling war. Außerdem strahlte er Jimin dabei so an, dass dieser die Aufforderung gar nicht hinterfragte.
„Wie gefällt dir die Arbeit hier?“, fragte Taehyung nun.
Er ließ seinem Gegenüber jedoch nicht einmal die Zeit, darauf zu antworten, denn er schob gleich den nächsten Satz hinterher. „Ich habe gehört, du hättest vorher in der Bibliothek gearbeitet, stimmt das?“„J-Ja. Das mache ich auch immer noch, also ich―“, begann Jimin zu erklären, doch wieder ließ Taehyung ihn kaum sprechen.
„Das ist ziemlich interessant, weißt du? Mit Namjoon und Seokjin bin ich ja immer nur von eher reichen Leuten umgeben, aber du lebst so ein anderes Leben“, unterbrach Taehyung ihn.
Nachdem er kurz verstummt und scheinbar darüber nachdachte, was er gesagt hatte, fügt er hinzu: „Also nicht, dass das etwas Schlechtes wäre. Ich meine, wir können uns doch alle nicht aussuchen, wo wir geboren werden und ich finde das wirklich gut von dir, also ich respektiere dich sehr dafür, dass du so viel arbeitest.“Jimin runzelte die Stirn. Er arbeitete nicht besonders viel.
Klar, er hatte zwei Jobs, aber im Mount Everest wurde er meist nur am Wochenende gebraucht oder wenn, wie heute, jemand der regulären Mitarbeiter fehlte, und in der Bibliothek arbeitet auch nur zwei bis drei Tage in der Woche. Natürlich freute es ihn, dass Taehyung so hoch von ihm zu denken schien, doch er schien sich zu irren.„Eigentlich sollte ich gar nicht so daher reden. Weißt du, ich war früher auch mal ziemlich arm“, erklärte Taehyung nun. Er sah Jimin beim Reden kaum an, stattdessen schweifte sein Blick die ganze Zeit durch den Raum.
„Nur wegen Namjoon und Seokjin bin ich es jetzt nicht mehr. Hat eigentlich nichts mit mir zu tun, welchen Lebensstandart ich jetzt habe.“Irgendwo bei dem Wort arm hatte Jimin aufgehört, seinem Gegenüber zuzuhören. Bildete er sich das nur ein, oder waren Taehyungs Augen tatsächlich gerötet?
Er versuchte tatsächlich, dessen Blick aufzufangen, so wie Hoseok es immer bei ihm tat, doch es gelang ihm nicht. Taehyung klopfte ständig mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, doch scheinbar willkürlich; zumindest konnte Jimin keinen Rhythmus erkennen. Sein rechtes Knie wippte unaufhörlich auf und ab. Er redete ohne Unterlass.
Jimin erkannte, dass Taehyung sich ähnlich seltsam verhielt wie er selbst manchmal — wie er selbst, wenn er sich äußerst unwohl in seiner Haut fühlte.Das Geräusch des Zerreißens des Papiertütchens ließ Taehyung schließlich plötzlich verstummen. Sein Blick stoppte das Herumirren und fokussierte sich auf Jimins Hände. Eine davon streckte dieser in einem Anflug von Selbstbewusstsein zu ihm über den Tisch. Ohne zu überlegen legte Taehyung seine darauf.
Jimin drehte Taehyungs große Handfläche nach oben und ließ den kompletten Inhalt des kleinen Zuckerpäckchens, das in einer Schale zwischen ihnen auf dem Tisch gelegen hatte, hinein rieseln. Sein Gegenüber betrachtete den kleinen Berg in seiner Hand für eine Weile und kurz befürchtete Jimin absurder Weise, dass er es durch die Nase ziehen würde.
Doch Taehyung schien auch ohne Erklärung zu verstehen, was der Zucker bedeutete und begann ihn mit einem Löffel, den er in der anderen Hand hielt, aufzuessen. Dies war nicht die Weise wie Jimin die Dinge handhabte, doch so lange es ihm half, war es in Ordnung.
Und tatsächlich schien er sich zu beruhigen. Seine Augen und auch seine Hände brauchte er zum Essen, weshalb die zwangsläufig aufhörten, damit herumzuzappeln, doch auch sein Bein wippte nicht mehr.„W-Was ist los, Taehyung?“, fragte Jimin vorsichtig, als sein Gegenüber den Zucker fertig verspeist hatte. Er ahmte immer noch ein wenig Hoseok nach, denn er hatte nicht besonders viel Übung darin, andere Menschen zu beruhigen.
„Wie? Was soll los sein? Mit mir ist nichts, ich―“ Taehyung begann erneut zu brabbeln. Seine Stimme klang noch immer unruhig und er schien nicht wahrzunehmen, wie offensichtlich es war, dass etwas mit ihm nicht stimmte.
„Warum bist du her gekommen?“, unterbrach Jimin ihn. In jeder anderen Situation hätte er sich sehr unhöflich dabei gefühlt, jemandem einfach so ins Wort zu fallen, doch im an Betracht dessen, dass Taehyung dies zuvor mehrmals getan hatte, er ihn beim Thema halten wollte und die Antwort ihn tatsächlich interessierte, schien ihm dieses Handeln vertretbar.
„Oh achso. Das war, weil ich dich sehen wollte.“ Er lächelte zögerlich. „Und weil ich dich einladen wollte.“
„Einladen?“ Obwohl Jimin zuvor etwas verwirrt von Taehyung gewesen war, konnte er jetzt nicht verhindern, dass sich auch auf seinen Lippen ein Lächeln ausbreitete. Er freute sich, dass dieser scheinbar gekommen war, um ihn zu besuchen und sich für ihn interessierte, wenn auch auf eine etwas merkwürdige Art und Weise.
Sein Gegenüber erwiderte das Lächeln. „Ja, ich wollte dich zu meinem Geburtstag am Sonntag einladen.“
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tae's a softie as well and y'all better be nice to him.
thank you for reading,
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MOUNT EVEREST ― jinmin
Fanfiction»Jimin saß nun allein mit Seokjin. Das verunsicherte ihn zu erst, doch dann sah er, dass ein Lächeln auf dessen Lippen lag und zum ersten Mal an diesem Abend vergaß er, dass er es eigentlich nicht mochte, fremden Menschen in die Augen zu schauen.« ―...