Exhaustion [17]

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"Die Wahrheit ist, dass man niemals aufhört zu trauern", flüsterte Minho und sah den Passanten beim Durchqueren des Parks zu, in welchem sie sich zurückgezogen hatten.
Die Schultern seines Freundes bebten mit jedem Stück Zeit, das verging. Es war, als würde Changbin den Weltuntergang beobachten. Sie versank in Feuer und Rauch und Asche, aber auch in kalten, alles durchdringenden Schatten. Dunkelheit, welche bis in die Unendlichkeit reichte. Er wusste, dass Minho jetzt keinen Trost wollte, aber er würde nicht von seiner Seite weichen. Er würde bleiben und abwarten und zuhören, falls er sprechen möchte.
Die Bank stand in dem Park, welcher an dem Polizeipräsidium angrenzte. Changbin beobachtete die vorbeigehenden Passanten ebenfalls, die mit Hunden oder ihren Kindern spazierten. Insbesondere die Kinder strahlten und kreischten und rannten umher.
"Sie trug diesen immerwährenden Sommer in sich", fing Minho nach einer halben Stunde an zu sprechen. Er flüsterte, als würde er ein Geheimnis erzählen.
"Egal wie schlimm es unserer Familie ging. Sie war optimistisch. Sie war stark und wunderschön. Sie war wie das Meer, so tief und unberechenbar, aber sobald man ihr genügend Aufmerksamkeit schenkte, war sie atemberaubend."
Ein weiteres Zucken seiner Schultern. Changbin starrte zum Himmel.
"Ihr Name war Ye-eun und sie hatte gestrahlt wie die Sterne, der Mond und die Sonne zusammen."
Minuten vergingen. Minuten, in denen sie einander anschwiegen.
Und dann, für einen kurzen Moment brodelte eine Wut in dem Braunhaarigen, die der Schwarzhaarige noch nie zuvor gespürt hatte.
"Er hat sie gefoltert. Mit einem Lötkolben. Stundenlang hat sie gelitten. Hat geweint und geschrien und Schmerzen ertragen müssen, weil die Polizei sie nicht finden konnte."
Changbin fielen die geballten Hände auf und dieses wut- und schmerzverzerrte Gesicht. Der Schwarzhaarige verstand ihn. Er fühlte mit ihm. Er litt mit ihm, weil er das Gleiche für ihn getan hatte, als Soo-young gestorben war. Genau wie Chan und Hyunjin. Sein ganzes Team stand stets an seiner Seite.
"Das, was ich am meisten bedauere und gleichzeitig hasse, ist, dass ich nicht weiß, was aus ihr geworden wäre. Wäre sie Ärztin oder Model geworden oder hätte sie in einem Café gearbeitet? Wäre sie Mutter geworden oder hätte lieber Tiere gekauft? Vielleicht hätte sie eine intelligente Freundin gefunden oder einen herzensguten Freund. Aber es ist nicht genug. Nur zu Glauben ist nicht genug. Nicht genug, es wird niemals genug sein."
Er beugte sich nach vorn über und zog an seinen Haaren, als würde er sie rausreißen wollen. Changbin nahm die Hände seines Freundes.
Minho atmete hörbar aus. Der Schwarzhaarige blickte ihm in die Augen und das was er da sah, war beängstigend. Es war Groll. Abgrundtiefer, schwarzer Groll. Sein Gemütszustand hatte sich binnen Sekunden geändert.
"Deswegen bin ich zur Polizei gegangen. Deswegen habe ich alle Rekorde gebrochen. Ich bin ein Arsch, weil ich ohne Anhängsel besser dran bin."
Der Braunhaarige wandte den Blick ab. Seine Stimme tönte düster und tödlich, wie eine Pistole, durch den Park.
"Ich will und werde sie alle töten. Ich werde sie niedermetzel, sie zerstören und pulverisieren. Bis keiner mehr übrig ist."
Nun war Minho fuchsteufelswild. Und selbst wenn Changbin ihn beschwichtigen könnte, er würde für immer in seinem Hass schwimmen. Er konnte seine Schwester nicht retten, genauso wenig der Schwarzhaarige seine Freundin hätte retten können. Es gab jedoch einen Unterschied. Changbin war dabei Soo-young loszulassen, während der Braunhaarige seine Schwester nicht aufgeben konnte, nein, vielmehr nicht wollte. Der Schwarzhaarige glaubte zu wissen, dass wenn Minho Ye-eun aufgab, ihren Tod nicht mehr rächte, dann würde er sie vergessen. Und das wollte er nicht.
"Weißt du, was ich über das Trauern gelernt habe? Trauer ist Liebe. Es ist all die Liebe, die du geben möchtest, aber nicht kannst. Es ist all die unverbrauchte Liebe, die in deinen Augen stecken, die in deinem Hals einen Kloß bilden und dem darin verborgenen hohlen Teil in deiner Brust. Trauer ist Liebe, die keinen Platz auf dieser Welt findet."
Minho sah ihn schweigend an, schien zu überlegen, wägte die ausgesprochenen Worte ab.
Changbin stand auf.
"Lass uns dieses Schwein schnappen. Lass ihn uns pulverisieren."
Er ging zurück zum Präsidium und ließ seinen Freund zurück, um ihm Zeit zum Nachdenken zu geben.

"Habt ihr sie schon gefunden?", fragte der Schwarzhaarige und beobachtete wie Chan auf dem Laptop von Hyunjin tippte.
"Die Techniker haben mir erklärt, dass es sich um eine gebrannte CD handelt. Da sie gebrannt ist, passt demzufolge nur eine Datei drauf. Es war dieses hochauflösende Video. Der Titel lautet: Der Tod der Alexandra Christine Schneiderman. Wir haben ihren Wohnsitz ausfindig gemacht und Hyunjin ist schon auf dem Weg zu ihr."
Changbin nickte nachdenklich. Warum machte der Täter es Ihnen so leicht? Warum sagte er Ihnen, wie das Mädchen hieß? Das wollte nicht in seinen Kopf gehen. Verhöhnte er Sie? Der Wolf in ihm wandte sich, schlich umher. Er wollte diesen Killer zerfleischen. Der Schwarzhaarige ließ noch einmal Revue passieren, was geschehen war. Er hatte ein Paket erhalten, in dem sich ein Brief befand, der an ihn adressiert war. Zudem war auch eine CD darin verstaut mit dem Mord eines neues Opfers. War sie auch Angestellte in einem Café? War sie zur falschen Zeit am falschen Ort? Schuldgefühle wuchsen ihn ihm. Das waren die stillen Botschafter, die sein Job mit sich brachten. Man fühlte sich schuldig, weil Menschen starben, weil man zu langsam war, weil man das Puzzle nicht schnell genug zusammensetzte. Changbin strich sich über die Augen. Das Erschreckendste jedoch war die Aussage über seinen Schlaf. Es könnte möglich sein, dass er Changbin nachspionierte oder verwanzt hatte.
"Wir müssen bei mir Zuhause alles überprüfen lassen", sagte er.
Chan nickte.
"Jemand ist auf dem Weg dahin. Herr Kim hat ihn persönlich ausgewählt. Er schätzt ihn scheinbar sehr. Er wird auch die Wohnungen von Minho, Hyunjin und mir durchchecken."
Etwas beruhigter dankte er seinem Freund.
Eine andere Tatsache ließ ihn nicht in Ruhe. Die Aussage an Minho. Es klang wie Spott. Doch woher wusste er das, wenn selbst seine Freunde nichts wussten?
"Überprüf Minhos Freunde, falls er außer uns noch welche hat, check seine Eltern und Verwandte."
Der Australier starrte ihn fragend an und griff währenddessen zu seinem Telefon.
"Erklärst du mir auch warum?"
"Überleg mal. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder er arbeitet bei der Polizei oder er hat seine Informationen auf herkömmliche Weise erlangt."
Chan schien zu verstehen. Er wollte schon nach der Nummer von Minhos Eltern suchen, da ertönte eine Stimme von der Tür.
"Ich werde mit meinen Eltern reden."
Der Blonde nickte und fragte den Braunhaarigen nach seinem Wohlbefinden. Minho ließ sich nichts anmerken. Er wirkte so wie immer. Eine perfekte Maske für seine Zuschauer.
"Ich werde zu Hyunjin fahren."
Es wurde langsam Zeit, dass sie Fortschritte machten.

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Schönen guten Abend, meine lieben Leser und Leserinnen!
Dieses Kapitel hat mich viel Zeit gekostet. Genauso, wie ein anderes, aber das werdet ihr später sehen.
2018 habe ich eine sehr gute Freundin bei einem Motorradunfall verloren. Es gibt Momente, da merke ich den Verlust nicht mehr so deutlich wie an jenem Tag oder denen die danach folgte, aber dann kommen wieder diese klitzekleinen Momente, die einen an diese Person erinnern. Und dieser Schmerz, der einen überfällt, ist so überwältigend, dass ich einfach nur weinen, mich verkriechen und die ganze Welt abstellen möchte. Erst im Nachhinein ist mir klargeworden, was ich verloren habe. Sie war der Grund, warum ich mit dem Schreiben begonnen habe. Sie war der Grund. Und ich vermisse sie schrecklich.
Dieses Kapitel war schwer zu schreiben, weil ich versucht habe, den Verlust in Worte zu fassen.

Durch das Schreiben habe ich das Gefühl sie nicht zu vergessen

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Durch das Schreiben habe ich das Gefühl sie nicht zu vergessen.

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Erin🌸

Coffee Love {ChangLix}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt