Indication [9]

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Changbin stand regungslos im Flur der Wohnung, welche sie vor wenigen Minuten betreten hatten, und sammelte sich für das, was gleich kommen würde. Es war eine Sache den Ort eines Mordes zu begehen, aber eine ganz andere, dem Tod zu begegnen, wenn man nicht richtig vorbereitet war. Die Erinnerungen an sein erstes Mordopfer stahlen sich wieder einmal in sein Gedächtnis. Es war etwas sehr Reales, was ihm jedes Mal aufs Neue unwirklich vorkam. Die Eindrücke, die er mit dem Anblick der Leiche verband, waren eine Zusammensetzung von verwaschen Farben, völliger Stille und Leere. Changbin wusste nicht mehr, wann und wo der Mord geschah, doch die Frauenleiche mit ihren unerträglichen Details standen ihm heute wie damals vor Augen. Er konnte immer noch ihren Leberfleck auf der linken Wange sehen, er erinnerte sich an den Neonpinken Nagellack auf ihren Nägeln. Wenn er die Augen schloss, konnte er sogar die feinen gezackten Spuren an ihrem Hals sehen, welches ein Messer hinterlassen hatte. Deshalb wusste er heute, dass es besser war ein bisschen zu warten und sich zu wappnen. Er sah Minho an. Die anderen waren schon drin.
"Bereit?"
"Für Mord doch immer", grinste der Ältere sarkastisch.
Sie verließen den Flur und gingen los, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Changbin blieb in der Mitte des Raumes stehen, in welches sie traten. Er sah die Leiche aus dem Augenwinkel, doch er rührte sich nicht, schloss die Augen und tauchte in das überwältigende Gefühl des Lebendigseins ein. Er zählte stumm seine Atemzüge.
Dann wandte er sich der Leiche zu. In seinem Kopf hörte er ein Klick!, das den Beginn seines anderen Ichs bedeutete. Sein Blick schärfte dich, ebenso sein Verstand. Jetzt war er am Ziel und sah nur sich und die Leiche in ihrer ungeschminkten Wahrheit. Das Opfer war männlich.
Er war geschlagen wurden, furchtbar geschlagen. Die Sorte von Schlägen, die sehr wehtaten, ohne zum Tod zu führen. Die Art von Schlägen, die sich anfühlten, als würden sie kein Ende finden. Die jede Hoffnung töteten, während der Körper am Leben blieb. Ein Auge des Opfers war zugeschwollen, die Nase gebrochen, Zähne wurden ausgeschlagen. Der Unterkiefer war zerschmettert und formlos. Der Täter hat ein Messer oder ein Skalpell an ihm benutzt. Changbin sah kleine und tiefe Schnitte überall auf dem Gesicht. Auch längere und tiefe auf der nackten Brust und im Bauchbereich. Und Blut. So viel Blut. Überall. Blut, das lief und tropfte und sickerte. Es wurde ein Y-Schnitt durchgeführt, welches die Gedärme freilegte und das Fehlen des Herzens zeigte.
Ein Frösteln durchzuckte den Schwarzhaarigen, kleine Füße aus Eis trippelten sein Rückgrat hinunter.
"Das Opfer heißt Xu Minghao. Geboren in Haicheng, Anshan, China. Zwanzig Jahre alt. Sein fester Freund hat ihn hier vor circa einer Stunde gefunden."

Hyunjin umtänzelte den Mann, während seine Kamera unwiderruflich klickte, um Aufnahmen des Grauens zu machen.
"Das heißt also, die Tat liegt kaum ein bis zwei Stunden zurück", überlegte Minho laut. Darauf vermochte sich jedoch niemand festlegen, das würde der Pathologe bestätigen oder widerlegen.
"Wetten er hat in einem Café gearbeitet?", warf Hyunjin ein.
"Wo ist sein Freund jetzt? Ich möchte mit ihm sprechen", sagte der Schwarzhaarige und erhob sich aus seiner hockenden Position. Chan zeigte ihm den Weg zum Wohnzimmer. Es war schlicht eingerichtet und trotzdem fühlte man sich behaglich. Bilder zierten die Wände. Es waren immer die beiden, oder mal mit einer Gruppe mit Weiteren.
Der junge Mann sah bleich und müde aus, als sie zu ihm kamen. Changbin erkannte eine schreckliche Leere in seinen Augen.
"Ich bin Seo Changbin, Leiter einer Einheit der OACI", erklärte er sich kurz und nickte anschließend in Chans Richtung.
"Das ist Christopher Bang. Er ist ebenfalls für diesen Fall zuständig und ein Kollege von mir."
Ihr Gegenüber reagierte nicht, stattdessen nestelte er nervös an dem Reißverschluss seiner Jacke herum. Erst jetzt bemerkte Changbin, wie unnormal kühl es hier drin war. Beinahe schon eisig.
Einige Momente herrschte weitere Stille.
"Ich bin Wen Jun-hui."
"Okay, Jun-hui", sagte der Schwarzhaarige mit freundlicher Stimme.
"Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen. Über das, was hier passiert ist. Würden Sie mit uns darüber reden?"
Der Braunhaarige musterte ihn mit einem Blick, in dem eine Gleichgültigkeit lag, die er schon früher bei Opfern beobachtet hatte. Dadurch fiel es ihnen leichter mit ihren Erlebnissen umzugehen.
"Ich glaube schon", entgegnete er ausdruckslos.
Chan und er setzten sich gegenüber von ihm auf die Couch.
"Wissen Sie, wer es getan hat?"
Die Schlüsselfrage, obwohl sich Changbin sicher war, dass in diesem Fall nichts rauskommen würde.
Jun-hui schüttelte den Kopf.

Coffee Love {ChangLix}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt