Dream [2]

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Das Meer rauschte in seinen Ohren.
Er sah wie die blauen, starken Wellen gegen die Brandung krachten, während seine Welt hinter ihm brannte und erlosch.
"Hier ist ein Überlebender!"
Er drehte seinen Kopf nicht, starrte weiter auf das prickelnde, lebendige Wasser. Er wünschte, er könne hinab tauchen und nie, nie wieder in die Realität zurückkehren, denn die Realität war grausam.
Alles schmerzte. Seine Glieder, sein Kopf, sein Herz.
Binnen Sekunden brach das Bild vor ihm zusammen. Nun stand er auf einer Wiese. Die Sonne strahlte mit ihrer durchdringenden Hitze auf sie herab und das war viel zu warm für einen schwarzen Anzug. Ein Pfarrer sprach mitfühlende Worte. Er hörte kaum zu. Er sah den Blumen beim Sich-in-der-Sonne-wiegen zu. Er wäre gern eine Blume. Sie lebten ihr Leben in Frieden zwischen Sonne und Erde.
Dann war es Zeit an die frisch zu gebetteten Gräber zu treten. Er fühlte gar nichts. Doch etwas in ihm wollte schreien, ausbrechen, explodieren. Er hielt es zurück. Jetzt war nicht die Zeit dazu. Bevor er jedoch auch nur ein Wort herausbringen konnte, bewegte sich die Erde. Zuerst kam eine Hand empor, dann der Kopf. Die Gestalt, welche sich selbst zu Tage förderte, sah nicht menschlich aus. Nicht im geringsten. Die verkohlte Haut schien an einigen Stellen abzublättern wie die Seiten eines alten Buches. Die Zähne hingen nur an einigen Stellen, wo noch Zahnfleisch vorhanden war. Die letzten Büschel Haare fielen, bei dem Versuch sich aus der Erde zu ziehen, aus. Unverwandt starrte die Kreatur ihn an. Die Kreatur war seine Mutter und sie hatte ihn geliebt.
"Du bist Schuld!", schrie sie in einer Stimmlage, die viel zu hoch klang.
"Du bist ein Mörder."
Er schloss die Augen. Versuchte das Bild zu vergessen. Sie zu vergessen.
Alles zu vergessen.
Denn die Welt war keineswegs in Ordnung.

Schreiend wachte er auf und starrte in das leere Zimmer. Sein Atem ratterte wie eine alte Dampflok, während er sich aus dem Bett schälte. Sein Blick wandte sich dem Spiegel zu. Er sah müde aus, obwohl das wahrscheinlich die Untertreibung des Jahrhunderts war. Viel mehr musterte ihn ein ausgelaugtes, erschöpftes Wesen. Neben seinem Spiegel stand ein Wecker. Er wusste, dass er nicht mehr schlafen würde. Diese Zeit zwischen halb vier und sechs Uhr morgens, wenn man sich fühlte, als wäre man der einzige Mensch auf Erden. Er entschied sich dafür nach draußen zu gehen. Die kühle Nachtluft würde ihm guttun, zumindest hoffte er das. Er wohnte in einem schäbigen alten Viertel, wo man des Nächtens eigentlich nicht rausgehen sollte, und doch tat er das gerade. Irgendwann fing er an zu rennen. Und er rannte und rannte und rannte, bis sein Körper nass war von Schweiß, bis der Schweiß seine Kleidung tränkte und seine Schuhe ausfüllte und er rannte weiter. Seine Lungen fühlten sich wie vereist durch die Kühle der morgendlichen Luft, aber er hielt nicht an. Er rannte schneller und schneller, so schnell, dass seine Arme und Ellbogen pumpten genau wie sein Herz.
Er landete irgendwo auf einem Stück Rasen, wo er Magensäure hochwürgte und nach Luft rang. Ohne auf etwas zu achten, schmiss er sich auf das Gras. Er wischte sich über die Lippen und blickte zu den Sternen. Streckte eine Hand nach ihnen aus. Manchmal fragte er sich, ob er der Einzige war, der nachts einen halben Marathon lief, um seine Vergangenheit zu vergessen und dann schüttelte er den Kopf, weil er sich wie ein Idiot vorkam. Als die Sonne begann sich am Horizont gen Himmel zu strecken, machte er sich auf den Rückweg. Erst jetzt bemerkte er wieder, dass diese ganze Rennerei nichts für ihn war. Seine Lungen schmerzten bei jedem Atemzug. Seitenstechen hatte er ebenfalls und jede Faser seines Körpers kreischte nach Ruhe. Die würde er ihnen nicht geben können, da er in weniger als vierzig Minuten zur Arbeit musste. So zeigte es die Uhr in seiner Wohnung. Also beschloss er sich schleunigst zu duschen und noch einen Bissen zu essen, bevor das Geschäft ihn wieder völlig vereinnahmte.

Pünktlich stand er vor der Hintertür des Cafés, in welchem er arbeitete. Er klopfte und wartete, da wurde ihm keine zwei Sekunden später auch schon geöffnet.
"Felix!", rief Seungmin und stürzte auf ihn zu. Er ließ sich von ihm in eine Umarmung ziehen und erwiderte diese. Nach einer Minute trat der Braunhaarige zurück und hielt ihn auf Armeslänge, während sie einander betrachteten. Seungmin war größer als er selbst, zwar nur ein paar Zentimeter, doch das reichte aus, um ihn als beinahe Zwerg abzustempeln. Allgemein war er recht klein für einen Koreaner.
Seungmin war auf eine besondere Art und Weise schön. Es war viel mehr eine Mischung aus dem Äußerlichem und der reinen Kraft seiner Persönlichkeit. Er war einer dieser Menschen, deren Tiefe und Güte die gesamte Präzenz durchzogen. Sie weckte in einem die Sehnsucht in seiner Nähe sein zu wollen. Er strahlte wortlos und unterschwellig seine Liebe aus, weshalb Felix nur ein Wort dafür fand, welches auf solche Menschen zu traf: Naturgewalten. Wann immer er oder seine Freunde Probleme hatten, Seungmin war zur Stelle und fand mit seinem Einfühlungsvermögen eine Lösung. Es war unglaublich.
"Du siehst gar nicht gut aus. Lass uns einen Kaffee trinken, bevor die Arbeit losgeht."
Bereitwillig nickte der Blonde. Einen Kaffee konnte er jetzt vertragen. Oder fünf. Sie traten durch die Hintertür und standen auch schon sogleich in dem Umkleideraum, der gleichzeitig auch als Pausenraum diente. Hier hinten war das Reich des Personals. Hier konnte man ein paar Minuten ausruhen, ehe man sich wieder ins Getümmel stürzte, dass sich Arbeit nannte. Während Felix sich umzog, hörte er von vorne die Kaffeemaschine zischen und arbeiten. Ein herrlich angenehmer Duft stieg ihm in die Nase, als er nach vorne ging, um den Braunhaarigen abzupassen. Unter seinen Freunden kannte er Seungmin bisher am längsten. Er war letztes Jahr von Australien nach Korea gezogen, um Abstand von seiner Vergangenheit zu gewinnen. Jedoch hatte er keine Ahnung, wie er hier zurechtkommen sollte. Er brauchte eine Wohnung, einen Job und sein Koreanisch war ebenfalls unglaublich spärlich gewesen. Heute war es ein bisschen besser.
Seungmin traf er bei seinem ziellosen Umherirren in Seoul. Aus Versehen war er in ihn hineingelaufen. Hingegen allen Erwartungen ist dieser damals nicht pöbelnd auf ihn losgegangen, sondern hatte ihm geholfen und irgendwie sind sie in ein Gespräch gekommen. Der Braunhaarige hatte ihm von dem Café seines Kumpels erzählt und das dieses Mitarbeiter suchte. Mit dem wenigen Ersparten, was Felix zu dem Zeitpunkt dabei hatte, lebte er vorübergehend in einem Hostel, bis er sich eine kleine Wohnung, durch sein erstes Gehalt, mieten konnte. Er war glücklich. Irgendwie.
"Dann erzähl mal dem Onkel Doktor, was los ist. Obwohl. Halt. Ich denke, ich weiß was passiert ist."
Widerwillig musste der Blonde lächeln, nachdem er den ersten Schluck seines unglaublich köstlichen Kaffees genommen hatte.
"Du hattest wieder diesen Alptraum, nicht wahr?"
Felix nickte stumm und versuchte die aufkommenden Bilder und Erinnerungen hinter einer Stahltür in seinem Kopf wegzuschließen. Seungmin nahm seine Hand. Irgendwas, dass geeignet war, diese Schranken in seinem Inneren zu zersprengen, strömten von seinem Gegenüber auf ihn ein. Doch er schüttelte den Kopf und zog die Hand zurück. Er konnte nicht. Nicht jetzt. Nicht vor der Arbeit. Der Braunhaarige war ihm keineswegs böse, sondern lächelte ein bisschen.
"Irgendwann. Irgendwann", schnurrte er.
Der Blonde nickte. Danach klatschte der Jüngere begeistert in die Hände.
"So, jetzt wird der Laden geöffnet!"

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Guten Abend, meine liebe Leser und Leserinnen!
Ich hatte die Idee, die Kapitel jeweils aus unterschiedlicher Sicht von Felix und Changbin zu schreiben, ob ich es durchziehen kann, ist eine andere Sache xD

Oben sieht man Felix!

Und hier sieht man Seungmin!

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Und hier sieht man Seungmin!

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Erin🌸

Coffee Love {ChangLix}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt